Gröbenzell/München:Grundlose Ausraster

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Landgericht prüft, ob 33-jährige Gröbenzellerin, die mit einem Messer bei der Polizei erschien, dauerhaft eingewiesen wird

Von Christian Rost, Gröbenzell/München

Die Situation war brenzlig am 23. Juni 2013 in der Gröbenzeller Polizeiinspektion. Eine Studentin zeigte ihren Nachbarn an. Er habe sie im gemeinsamen Waschkeller ihres Wohnhauses in Gröbenzell an den Schultern gepackt und festgehalten. Während der Vernehmung durch einen Beamten zog die Frau plötzlich ein 30 Zentimeter langes Küchenmesser aus einer Tasche und kündigte an, dass sie ihren Nachbarn "abstechen" werde, wenn er ihr "die Jungfräulichkeit" nehme. Nur mit Mühe konnten Polizisten ihr das Messer abnehmen. Zwei Wochen vor diesem Vorfall war in Starnberg ein verwirrter Mann erschossen worden, der in der dortigen Polizeiinspektion ebenfalls mit einem Messer aufgetaucht war.

Seit diesem Mittwoch beschäftigt sich das Landgericht München II mit dem Fall der Studentin. Die Staatsanwaltschaft sieht die unter einer paranoiden Schizophrenie leidende und deshalb als schuldunfähig geltende 33-Jährige als allgemeingefährlich an und hat ihre dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie beantragt. Vorläufig ist die Frau in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden. Sie will dort aber nicht bleiben: "Ich würde lieber in Freiheit leben", sagte sie zur Vorsitzenden Richterin Michaela Welnhofer-Zeitler. Verteidigerin Eva Loy-Birzer ergänzte: Die Beschuldigte habe einen Platz in einer betreuten Wohngruppe zugesagt bekommen und sei durch die Medikamente, die sie als Depotspritzen erhalte, nun wieder stabil.

Auch in der Vergangenheit hatte die Studentin laufend Medikamente bekommen, um ihre Psychose zu dämpfen. Allerdings setzte sie die ihr damals verordneten Tabletten immer wieder ab mit der Folge, dass sie Wahnvorstellungen entwickelte. Besonders ihr Nachbar in Gröbenzell spielte in ihren Phantasien eine tragende Rolle. Sie glaubte, der Mann, den sie nur flüchtig kannte, wolle sie vergewaltigen. Deshalb erhob sie bei der Polizei auch falsche Anschuldigungen gegen ihn.

Aber auch bei anderen Gelegenheiten zeigte sich, dass die Frau ohne laufende medikamentöse Behandlung zu überschießenden Reaktionen neigt. Am 17. Januar 2014 schlug sie im Kaufland in Gröbenzell auf einen Mann und zwei Frauen ein. Der Mann hatte sie an der Schulter berührt, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie soeben mehrere Kartons umgestoßen hatte. Die Gröbenzellerin schlug daraufhin ohne Vorwarnung gegen die Brust des Mannes und trat ihn. Zwei Zeuginnen, die sich einmischten, verprügelte die Studentin mit ihrer Handtasche. Herbeigerufenen Polizisten erklärte sie hinterher, dass sie von den anderen Kunden attackiert worden sei. Sie bestand auch auf eine Anzeige gegen den Mann und die beiden Frauen.

Verschlechtert hatte sich der Zustand der Beschuldigten nach dem Tod ihrer Mutter 2011. Die Frau hing sehr an ihr und brachte sie nach einer Krebsdiagnose in zahlreiche Kliniken in der Schweiz und in Deutschland, wo die Ärzte aber keine Heilung versprechen konnten. Aus einem Krankenhaus in Fulda flüchteten die beiden in einer Nacht- und Nebelaktion, als dort ebenfalls keine positive Prognose gestellt werden konnte. Um ihre Mutter aus dem Krankenbett zu bekommen, schnitt die Tochter kurzerhand zwei Drainageschläuche an der Brust der Patientin durch und fuhr mit ihr davon. Die Klinik ließ die Polizei nach Mutter und Tochter suchen.

Nach dem Tod der Mutter wollte die Studentin ins Kloster, wurde aber von Orden in Bayern, Italien und der Schweiz abgewiesen. "Das war die Psychose, ich fühlte mich berufen", erklärte die Beschuldigte vor Gericht. Inzwischen wolle sie nicht mehr Nonne werden, sondern als Verkäuferin arbeiten und ein normales Leben führen. Ob sie dazu in der Lage ist, darüber wird auch das Gutachten von Gerichtspsychiater Béla Serly mitentscheiden. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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