Tierschutz:"An den Igeln sieht man, wie schlecht es unserer Umwelt geht"

Lesezeit: 3 min

Iris Bodensteiner ist die "Igel-Mama" in Gröbenzell. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Iris Bodensteiner kümmert sich in Gröbenzell um die stacheligen Tiere, die ihr gebracht werden. Gemeinsam mit anderen baut sie derzeit eine neue Schutzstation auf.

Von Clara Dünkler, Gröbenzell

Mit fachkundigen Händen streicht Iris Bodensteiner über das stachlige Haupt des kleinen Tieres. Daraufhin gibt der Igel seine kugelförmige Schutzhaltung auf, öffnet die schwarzen Knopfaugen und betrachtet seine Umgebung. Jetzt wird sichtbar, warum sich der Igel in der Obhut Bodensteiners befindet. Einige Stellen auf seinem Rücken sind kahl und die graue Haut ist sichtbar. "Pilzbefall", sagt Bodensteiner.

Der Kleine blinzelt ins helle Licht und beginnt mit seiner Nase schnuppernd die Suche nach etwas Fressbarem. Iris Bodensteiner hat schon eine Schale mit schmackhaften Mehlwürmern und Katzenfutter bereitgestellt, der Igel muss sich nur noch bedienen. Sie weiß, was die Tiere mögen und gut für sie ist. Seit mehreren Jahren nimmt Bodensteiner Igel bei sich auf. Sie wiegt sie, untersucht sie, behandelt sie gegen Parasiten - bei Pilz- oder Milbenbefall badet sie sie und ölt ihre Stacheln. Solange, bis die Tiere wieder bei Kräften sind, dann lässt sie die Tiere im Frühjahr wieder frei.

Die 53-Jährige aus Gröbenzell ist mehr durch Zufall zur Igelexpertin geworden. Als die über den Landkreis hinaus bekannte "Igel-Mama" Waltraud Eckl ihre privat organisierte Station 2016 in Germering schließen musste, wandten sich immer mehr Hilfesuchende mit ihren gefundenen Schützlingen an Bodensteiner. Zu Beginn sei das sehr fordernd gewesen, doch sie habe sich informiert und mittlerweile ein breites Wissen erworben. Gemeinsam mit anderen Helferinnen und Helfern hat sie 2021 die Igelhilfe ins Leben gerufen und plant, mit dem Tierschutzverein Fürstenfeldbruck im Sommer 2023 eine Igelstation im Gröbenzeller Industriegebiet zu eröffnen.

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Der Bedarf ist groß. Allein im vergangenen Jahr versorgte der Verein mehr als 300 Igel. Das Problem sei nicht nur, dass es ansonsten keine Anlaufstellen gebe, manchmal würden sich Tierärzte nicht genau mit Igeln auskennen, oder sie behandelten gar keine Wildtiere. Verletzungen erleiden Igel laut Bodensteiner auch durch Mähroboter und unvorsichtig umgesetzten Kompost.

Gutes Igelfutter enthält viele Insekten. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Wenn Igel jetzt im Winter herumlaufen, sind sie vermutlich kurz vorm Verhungern", sagt Bodensteiner. Behutsam hebt sie das vor ihr sitzende Exemplar hoch und setzt es auf die Waagschale. "Eigentlich ernähren sich die Igel zu 90 Prozent von Insekten. Weil es die aber aufgrund von Pestiziden und monokultureller Landwirtschaft nicht mehr in ausreichender Menge gibt, weichen die Tiere auf Schnecken aus." Diese würden Parasiten übertragen und die Igel krank machen. "Sie nehmen nicht mehr zu und bekommen Husten", erklärt Bodensteiner.

Das ist für den Igel lebensbedrohlich. Wenn das Tier vor dem Winterschlaf nicht mindestens 500 Gramm wiege, sei es unwahrscheinlich, dass es überlebe. Hinzukommen die frühlingshaften Temperaturen wie beim Jahreswechsel. "Die Igel wachen zu früh auf, verbrauchen dabei viel Energie und finden in der kargen Landschaft keine Nahrung", Bodensteiner hält den Igel davon ab, aus der Schale zu klettern. "Auch er hier ist zu früh wach." Ein weiteres Problem der steigenden Temperaturen sind die dadurch begünstigten Bedingungen für Pilzbefall. Sie zeigt erneut auf die kahlen Stellen: "Die Stacheln fallen ihnen aus. Und bis die wieder nachgewachsen sind, ist ihre Haut ohne Schutz."

Kein Unterschlupf im penibel sauberen Garten

Sie stellt die Veränderungen an den Tieren fest. "An den Igeln können wir sehen, wie schlecht es unserer Umwelt geht", sagt Bodensteiner. Weder fänden die Tiere Unterschlupf in den penibel hergerichteten Gärten, noch gebe es genug zu fressen. Die Igel haben es immer schwerer, über die Runden zu kommen. Bodensteiner berichtet von einem Fall, bei dem ein Igel-Weibchen ihre Jungen auf dem kalten Betonboden einer Garage zur Welt brachte, weil sie keinen geeigneteren Ort finden konnte. Die 25 Mitglieder der Igelhilfe FFB sehen großen Handlungsbedarf, der nicht mehr nur privat gestemmt werden könne.

Die geplante Igelstation wird die erste ihrer Art im Landkreis sein. Dort will sich der Verein vor allem auf Notfälle spezialisieren, da nur etwa 35 Tiere gleichzeitig gepflegt werden können. Außerdem soll sie als Beratungsstelle fungieren. Zwar werde die Igelstation von einem Tierarzt betreut werden, jedoch größtenteils seien es freiwillige Helfer und Helferinnen, die die Versorgung der Igel übernehmen werden. Finanziert wird das Projekt momentan durch Spenden und den Tierschutzverein. Mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne seien einige der Kosten gedeckt worden, trotzdem hoffe man auf staatliche Unterstützung für die Igelstation, sagt Bodensteiner.

Wer den geplagten Igeln etwas Gutes tun wolle, solle seinen Garten naturnah lassen. "Wenigstens ein paar Blumen stehen lassen, damit es Insekten gibt, und nicht alle Blätter wegrechen", rät Bodensteiner weiter. Auch zufüttern ist gut. Besonders gerne fressen Igel Katzennass- und -trockenfutter oder getrocknete Insekten. Auf keinen Fall sollten rohes Ei oder Milch verfüttert werden. Wenn man einen Igel findet, komme es vor allem auf den Zustand des Tieres und die Jahreszeit an. Im Winter sei davon auszugehen, dass der Igel unterkühlt und hungrig sei. "Trotzdem ist es besser, nicht sofort zu füttern. Erst mal in einem hohen Karton sichern und eine in ein Handtuch eingeschlagene Wärmflasche dazu legen. Wenn sich der Igel aufgewärmt hat, kann nach und nach vorsichtig gefüttert werden", sagt Bodensteiner.

Nach dem Wiegen, vollendetem Mehlwurmmahl und ausführlicher Begutachtung durch die Expertin sitzt der Igel wieder in seinem Karton und macht das, was ihm vertraut ist. Er verzieht sich in sein Häuschen und igelt sich zusammen. Er hat Glück gehabt, hier gelandet zu sein. Draußen hätte er vermutlich nicht überlebt.

Durch die Pilzerkrankung hat der Igel einen Teil seiner Stacheln verloren. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Bei Notfällen, insbesondere bei verletzten Igeln, hat der Verein ein Notfall-Telefon eingerichtet (0157/51584588). Ausführliche Informationen zu richtiger Pflege, Futter und Unterschlupf findet man zudem auf der Website des Vereins www.igelhilfe-ffb.de .

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