Gründungsjubiläum:Gröbenzells steiniger Weg zur Selbständigkeit

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Ein undatiertes Luftbild zeigt Gröbenzell so aus der Zeit der Gründung als eigenständige Gemeinde. (Foto: Stadt Olching/Repro Fritz Scherer)

Drei Jahrzehnte dauern die Bemühungen, bis die Siedlung am 1. August 1952 ihre Unabhängigkeit erreicht. Es hatte die Eingemeindung nach Olching oder München gedroht.

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Seit 1. August 1952, also seit genau 70 Jahren, ist Gröbenzell eine Gemeinde. Eine Woche zuvor befürwortete der Landtag die Eigenständigkeit der auf vier Kommunen aufgeteilten Siedlung. Damit endeten sich über drei Jahrzehnte hinziehende Bestrebungen. Bei Recherchen zur Archivserie in Olching, das neben München, Puchheim und dem damals noch selbständigen Geiselbullach eine der "Muttergemeinden" von Gröbenzell ist, fand sich ein mehrere hundert Blätter umfassender Akt zur Vorgeschichte. Daraus erwuchs die Idee, anhand dieser Unterlagen aufzuzeigen, was ein Gemeindearchiv bietet. Die Olchinger Archivalien sind lückenhaft. Aber sie zeigen, wie steinig und umstritten zwischen 1924 und 1952 der Weg zur Selbstständigkeit war. Sie vermitteln erste Eindrücke, aber kein vollständiges Bild des Geschehens. Dazu bedürfte es weiterer Recherchen.

Die Straßenkarte ist am 25. März 1929 von Josef Angermaier per Hand auf Karton angefertigt worden. Der Ortsteil Gröbenzell ist enthalten, mit Bleistift wurde offensichtlich nachgearbeitet. (Foto: Stadt Olching / Repro Fritz Scherer)

In einem Punkt sind sich die Gröbenzeller bis jetzt treu geblieben, sie sind sich oft nicht einig und machen es sich nicht einfach. Dokumentiert sind Intrigen, Streit und Animositäten. Es ging nicht immer fair zu und es gab zwei weitere Alternativen: die Eingemeindung zu Olching und den Versuch einer ins Umland ausufernden "Landeshauptstadt der Bewegung", wie sich München während der Nazi-Herrschaft nannte, die Siedlung im Niemandsland zwischen München und Fürstenfeldbruck zu schlucken. Ersteres wollten die bäuerlichen Olchinger nicht, weil für sie die nach München orientierten Gröbenzeller ein anderer Menschenschlag waren. Der Anschluss an München scheiterte an internen Machtkämpfen von NS-Bonzen. Während Ersteres in dem Konvolut nachzulesen ist, stellt Letzteres Kurt Lehnstaedt in dem Buch "Gröbenzell in den Jahren 1933 bis 1945" ausführlich dar.

Mit diesem Schreiben initiiert der Gröbenzeller NSDAP-Ortsgruppenleiter Martin Steger 1935 den dritten vergeblichen Anlauf zur Selbstständigkeit. (Foto: Archiv Olching)

In der NS-Zeit scheitert 1935 bis 1939 der dritte Anlauf. Die Initiative ergreift in dem gleichgeschalteten Staat der Gröbenzeller NSDAP-Ortsgruppenleiter Martin Steger, was ihn als Interessenvertreter der Siedlung legitimiert. Im Archiv wird ein Brandbrief Stegers vom 6. November 1935 an übergeordnete Parteigliederungen, an den Kreistag München sowie an die Bezirksämter München und Fürstenfeldbruck verwahrt. Darin lässt er sich über den miserablen Zustand der Kreisstraße in Gröbenzell aus, was er auf die Grenzlage zwischen den Bezirken München und Fürstenfeldbruck zurückführt. Im Nazijargon fragt er: "Glaubt man denn wirklich, dass man an der Grenze der Bezirksämter nur mehr den Auswurf der Menschheit vor sich hat?" Er benennt mit dem Hinweis, es sei ein Unding, wenn in einem Ort verschiedene Gemeinden nach Gutdünken schalten und walten, die Ursache des Missstands. Ohne Erwähnung des Ziels: die Eigengemeinde.

Berechtigter Wunsch

Die Angesprochenen verstehen trotzdem. So bezeichnet das Bezirksamt Fürstenfeldbruck in der Antwort den Wunsch nach Selbständigkeit als "voll berechtigt". Auf der maßgeblichen höheren Parteiebene läuft Stegers Vorstoß in Leere. Obwohl er damit wirbt, die "Einwohner Gröbenzells haben ein Recht auf eine grundlegende Änderung der Dinge, damit Wohn- und Lebensrechte der Volksgenossen garantiert werden können nach dem Willen des Führers". Dass das aussichtslos ist, teilt am 24. Mai 1937 in einem nur mit "der Bürgermeister" unterzeichneten Brief wohl der Olchinger Rathauschef dem Vorsitzenden des Interessenvereins Gröbenzell mit. Die Siedlung werde wie Aubing und Langwied von München eingemeindet, schreibt er.

Zu Olching fehlt die Bindung

Dass in dieser Zeit der Wille der Bürger keine Rolle spielte, belegt ein vertrauliches Schreiben des Brucker Landrats vom 31. März 1939. Dieser kündigt die später nicht vollzogene Zusammenlegung von Olching, Esting und Geiselbullach ohne vorherige Einvernahme der betroffenen Gemeinden an. Der Olchinger Bürgermeister ist dem Vorschlag des Landrats gewogen und berichtet ihm von Bestrebungen in Geiselbullach und Esting, nach Olching angeschlossen zu werden. An Gröbenzell, das für Olching eine Last und kein Gewinn ist, ist er dagegen nicht interessiert. Daher lehnt er eine Eingemeindung von Gröbenzell nach Olching konsequent ab. Der Grund: gegensätzliche Verhältnisse und die fehlende innere Bindung zu Gröbenzell. Da man in Olching auf Distanz zur ungeliebten Siedlung geht, gilt deren Selbstständigkeit als das Zweckmäßigste. Es wird dort sogar bereits ein fiktiver Haushalt für die künftige Gemeinde erstellt, mit der Biersteuer als höchstem Einnahmeposten.

Schon 1937 hatte man im Münchner Rathaus ganz andere Pläne. Man bereitete die Eingemeindung der Moossiedlung vor. Neben einem nicht verwirklichten Plan für einen Sportplatz mit einem Heim für die Hitlerjugend am Gröbenbach enthält der Akt auch die interne Empfehlung an die Stadtverwaltung, das hierzu benötigte Areal zu erwerben.

Nach dem Untergang des Dritten Reichs informiert das Brucker Landratsamt am 6. Februar 1948 die Gemeinde Olching über den Antrag von Gröbenzellern, ihre Siedlung zur Gemeinde zu erheben. Damit beginnt der vierte Anlauf.

Die Mehrheit im Olchinger Gemeinderat hat keine Bedenken

In Olching bleibt man der alten Linie treu. In der Antwort heißt es, 11 der 15 Gemeinderäte hätten "keine Bedenken" gegen das Ansinnen. Daraufhin wird das Landratsamt beauftragt, Vorverhandlungen zu führen. Es soll demokratisch zugehen. Der Wille der Betroffenen soll den Ausschlag geben. Um den zu ermitteln, ordnet das Innenministerium eine geheime Abstimmung der in Gröbenzell lebenden Wahlberechtigten an. Weil nur die Bewohner des östlich vom Gröbenbach gelegenen Münchner Ortsteils mit großer Mehrheit gegen die Eigengemeinde votieren, erteilt das Innenministerium am 6. November 1950 sein Einverständnis.

Ohne Debatte, so steht es im Protokollbuch, stimmt der Gemeinderat Olching-Gröbenzell am 27. 8. 1951 der Abtrennung zu. Zur Abstimmung im Landtag ein Jahr später findet sich in den Unterlagen nur ein Bericht der Heimatzeitung. Wie berichtet wird, machte der SPD-Abgeordnete und Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer vergeblich geltend, die Einwohner des noch zu München gehörenden Teils der künftigen Gemeinde seien nicht gewillt, sich "vergewaltigen zu lassen".

Kein Rathaus, kein Wasser, keinen Friedhof

Am umfangreichsten sind die Akten zu den Vermögensstreitigkeiten zwischen Olching und Gröbenzell, die sich mit diversen Schlichtungsversuchen über Jahre hinziehen. Vieles blieb in den Anfangsjahren beim Alten. München verwaltet auf Bitte der neuen Gemeinde seine ehemaligen Bürger wie gehabt weiter mit, Olching erstellt den Gröbenzeller Haushalt und kümmert sich um die Finanzverwaltung und dergleichen. Die junge Gemeinde besitzt 1952 weder ein Rathaus, noch eine Wasserversorgung, noch einen Friedhof, noch Mitarbeiter, sie ist also auf Hilfe angewiesen.

Eine Zeichnung von 1915 dokumentiert die Siedlung an der Bahnlinie. (Foto: Stadt Olching, oh)
Eine Postkarte aus dem Jahr 1925 gewährt vom Kirchturm aus einen Blick ins Moos. Die Kirche wurde am 3. Mai 1925 eingeweiht. (Foto: Stadt Olching, oh)

Das Archiv verfügt nur über wenige Unterlagen zum allerersten Anlauf in die Selbständigkeit 1924. Es findet sich ein Dokument zur Abstimmung einer Einwohnerversammlung, bei der im Juni mit 80 gegen 6 Stimmen die Gründung einer Eigengemeinde befürwortet wird. Mit der Ablehnung durch das Innenministerium im September endet diese Episode. Zum zweiten Anlauf zwischen 1928 und 1932 gibt es nur vereinzelte Dokumente über nicht einzuordnende persönliche Auseinandersetzungen wegen Beleidigungen und dergleichen, die zeigen wie vergiftet das politische Klima damals war.

Eigentlich könnten die Gröbenzeller zum 70. Jubiläum stolz darauf sein, dass die Erhebung ihres Orts zur Gemeinde auf einer basisdemokratischen Entscheidung aller Wahlberechtigten beruht. Sie wurde nicht von der Nazidiktatur per Dekret angeordnet und ist auch nicht die Folge von Ränkespielen Einzelner oder politischer Gruppierungen.

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