Grafrath:Lauter Applaus für den Klima-Aktivisten

Lesezeit: 4 min

60 Leute sind in die Grafrather Michaelkirche gekommen, um über die Klimakrise und die Letzte Generation zu diskutieren. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der achtfache Großvater Ernst Hörmann erklärt bei der Podiumsdiskussion der evangelischen Gemeinde, weshalb er bei der "Letzten Generation" aktiv ist.

Von Ingrid Hügenell, Grafrath

Ernst Hörmann aus Freising bekommt die größte Zustimmung an diesem Abend - den längsten und lautesten Applaus. Der 72-jährige Rentner, gelernter Maschinenbauingenieur, Vater von drei Kindern, Opa von acht Enkeln, gehört zur "Letzten Generation". Das sind die Menschen, die als Protest gegen zu geringe Anstrengungen gegen die Klimakrise zuletzt Autobahnen und Flughäfen blockierten, indem sie sich auf dem Asphalt festklebten, die Glasscheiben vor Kunstwerken mit Kartoffelbrei und Suppe bewarfen. Keineswegs sind es nur junge Leute, wie Hörmanns Beispiel zeigt.

Der evangelische Pfarrer von Grafrath, Karl Mehl, hat Hörmann eingeladen zu einer Diskussion mit dem Titel: "Die Welt brennt - Klimakrise: Endlich handeln, aber wie?" Die Veranstaltung stößt auf sehr großes Interesse. Vier Tage vor Weihnachten und mit einem recht kurzen Vorlauf kommen etwa 60 Leute in die Michaelkirche, die setzen sich seit Jahren für den Klimaschutz ein. Fünf Männer und Frauen, die das mit unterschiedlichen Mitteln tun, bilden das Podium, das nicht erhöht sitzt, sondern einfach auf fünf Stühlen vor dem Altar. Ernst Hörmann ist einer von ihnen und der erste, der ein Statement abgibt. Seine Motivation: "Die junge Generation soll nicht ins Elend kommen."

Ernst Hörmann fürchtet die Vernichtung der menschlichen Zivilisation. Er kämpft dafür, dass seine Enkel nicht im Elend leben müssen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Hörmann erklärt ruhig, aber doch mit tiefen Emotionen, warum er davon überzeugt ist, dass Fehler im System der Grund sind, warum die Klimakatastrophe nicht gestoppt wird. "Dieser Weg wird uns in die Vernichtung führen, in die Vernichtung der menschlichen Zivilisation", sagt er. Denn wenn weiterhin so viel Kohlendioxid ausgestoßen werde wie bisher, werde der Temperaturanstieg bis 2070 bei drei Grad liegen. 3,5 Milliarden Menschen müssten dann unter Bedingungen leben wie sie jetzt in der Sahara herrschen. "Die Menschen werden dort nicht bleiben", sagt Hörmann. "Es wird zu Kriegen, Hungersnöten und Elend kommen."

Der 72-Jährige ist überzeugt: "Die Regierung wird uns nicht retten." Deshalb müsse man "größtmöglich stören". Hörmann hat selbst einige Klebeaktionen hinter sich. Er stand bereits vor Gericht, habe "rechtlich einiges am Hals", sagt Thomas Prieto-Peral, evangelischer Theologe, der für die Grünen im Grafrather Gemeinderat sitzt.

Ernst Hörmann (rechts) und Tillmann Scholl plakatieren Anfang November die Fenster der Deutschen Bank. (Foto: Marco Einfeldt)

Er moderiert den Abend und legt einige Zahlen vor. In den vergangenen 30 Jahren habe der Mensch genauso viel CO2 ausgestoßen wie in der ganzen Menschheitsgeschichte davor. Und obwohl sich die Mehrheit der Wissenschaftler seit Jahrzehnten einig sei, dass es eine Kehrtwende brauche, sei der Kohlendioxid-Ausstoß 2021 so hoch gewesen wie nie zuvor. "Es ist kein Wunder, dass sich die Proteste nun anders artikulieren", sagt Prieto-Peral. "Die Letzte Generation hat es geschafft, das Thema nochmal ganz vorn in die Medien, in die Gesellschaft zu tragen", erklärt Pfarrer Karl Mehl.

Die Klima-Aktivisten wollten durch die Störungen "der Feueralarm sein, der nicht ignoriert werden kann", sagt Hörmann. Er hofft, dass bald "massenhaft Menschen auf die Straße gehen, um friedlich Geschichte zu schreiben". Der Applaus ist kräftig - die Zuhörer teilen offensichtlich seine Einschätzung, dass endlich etwas getan werden muss, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Unklar ist nur, auf welchem Weg man das erreichen kann.

Aktivisten der Letzten Generation haben sich Anfang November am Münchner Stachus festgeklebt. Ein Polizist erklärt ihnen, was passiert, wenn sie nicht selbst weggehen. (Foto: Florian Peljak)

Mit ihrer vorsichtigen Meinung tut sich Ella Wörrlein, eine junge Vertreterin von "Fridays vor Future" schwer. Sie persönlich habe Sympathien für die Aktivisten, halte die Aktionen aber für "zu polarisierend. Das holt nicht genug Menschen ab". Nur eine Person klatscht. Maiken Winter, Biologin, Kommunalpolitikerin und seit kurzem Karl Mehls Frau, hält dagegen: "Wir haben schon so viel gemacht." Seit 2007 halte sie Vorträge über den Klimawandel, aber: "Ich habe versagt, ich habe nicht geschafft, was die Letzte Generation schafft." Winter findet es "unakzeptabel, wie die Politik diese Menschen kriminalisiert, die alles geben, um uns zu retten", zumal ihr eigener Bruder bei den Aktivisten aktiv sei. Politiker wie Alexander Dobrindt, die die Aktivisten als Terroristen darstellten "machen sich schuldig an uns allen". Auch sie erhält viel Applaus.

Hier hakt Klaus Bundy ein, Ingenieur für Energie- und Gebäudetechnik aus Germering. Eigentlich, so sagt er, müsste man "Autofahrer einsperren, die mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs sind. Denn die tun das bestimmt wieder." Die Wiederholungsabsicht ist der Grund, warum Klima-Aktivisten in Bayern vorsorglich in Haft genommen werden. Bundy hält die Aktionen der "Letzten Generation" dennoch für kontraproduktiv. Er selbst versuche bei Terminen auf Baustellen, nicht als Spinner dazustehen, auch wenn er mit dem Fahrrad komme. "Klimafreundliches Verhalten soll die Normalität werden. Aber das ist bisher nicht besonders erfolgreich."

"Müssen wir nicht einen Schritt weitergehen?"

Für klimafreundliches Verhalten seien oft die Rahmenbedingungen zu schlecht, auch sie sei relativ frustriert, sagt Monika Glammert-Zwölfer, kommunale Klimaschutzreferentin und Mitglied bei "Klimaaktiv Grafrath". Sie frage sich: "Müssen wir nicht einen Schritt weitergehen?" In der Politik gehe es nur mit kleinen Schritten voran, und es gebe noch immer eine große Ignoranz. Die Form des Protests derer, die sich auf der Straße festkleben, "ist nicht meine Art des Protests. Aber ich möchte, dass ihr weitermacht", sagt sie zu Hörmann. "Es müssen auch welche stören und nerven." Sie fürchte, dass sich die Gegner radikalisieren, wolle aber keine Spaltung.

Die Frustration von Monika Glammert-Zwölfer teilen viele der Zuhörer. Die meisten gehören einer Generation an, die nach der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 über Umwelt und Entwicklung - dem "Erdgipfel" - aktiv wurden, in Agenda 21-Gruppen. Auch die Grafrather Bürgerinitiative "Klimaaktiv vor Ort" ist eine Gründung aus der Agenda.

Nun, 30 Jahre später, fürchten sie, dass trotz aller Bemühungen nicht genug Zeit bleibt, um die Klimakatastrophe noch aufzuhalten. Das wird aus den Wortmeldungen deutlich. Intensiv wird an diesem Abend um die richtige Form gerungen, wie man die Menschen und die Politik motovieren kann, endlich tätig zu werden. "Eigentlich weiß jeder, dass es fünf vor zwölf ist, aber es tut sich wenig", sagt Maria Leitenstern-Gulden, Vorsitzende des Grafrather Kulturvereins, nach eigener Aussage im selben Alter wie Ernst Hörmann. "Die Menschen behalten ihren Lebensstil bei, solange es geht."

Einige berichten, sie seien kurz davor gewesen, sich zu den Protestierern am Stachus zu setzen, hätten sich dann aber doch nicht getraut. Radikal wirkt das nicht, eher verzweifelt. Alice Vogel, Sprecherin von "Klimaaktiv vor Ort", sagt, sich klimafreundlich zu verhalten, sei zu teuer, zu anstrengend, nicht gerecht. Überdies müsse zwar jeder tun, was er könne, doch es liege nicht in der Verantwortung des Einzelnen, den Klimawandel zu stoppen. Vielmehr müsse das global geschehen, und: "Wir müssen Gerechtigkeit schaffen, weltweit."

Sind Klagen der richtige Weg? Alice Vogel, sagt, geklagt werde bereits, "aber das dauert zu lange". Müsste die "Letzte Generation" nicht viel mehr fordern als nur ein Tempolimit und ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket? Hörmann erklärt, man stelle absichtlich einfache Forderungen, die sofort umzusetzen seien. "Passiert das, unterbrechen wir unsere Aktionen. Und dann fangen wir wieder an. Erst wenn die Politiker genau so aktiv sind wie ich, hören wir auf." Ob der Protest rechtzeitig Erfolg haben wird? Hörmann sagt: "Eine Garantie haben wir nicht, nur eine Chance."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusHilfe bei Sorgen und Ängsten
:"Wir neigen oft dazu, zu lange durchzuhalten"

In der Weihnachtszeit steigt die Gefahr für psychische Belastungen - egal ob Liebeskummer, Einsamkeit oder Erkrankung. Eine niederschwellige Anlaufstelle ist da das Telefon des Krisendienstes Oberbayern. Ein Gespräch mit Gebietskoordinatorin Birgit Linsel.

Interview von Florian J. Haamann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: