Fürstenfeldbruck:"Wir haben Blut geleckt"

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Die Handballer des TuS Fürstenfeldbruck sind aus der zweiten Bundesliga abgestiegen. Trainer Martin Wild spricht mit der SZ über die Gründe, was sich mittelfristig ändern muss und warum er seinem Heimatverein vorerst treu bleibt

Von Ralf Tögel

Ein bisschen immerhin kann sich Martin Wild zurücklehnen. Die extrem anstrengende Saison ist seit einer Woche vorbei, die Handballer des TuS Fürstenfeldbruck sind aus der zweiten Bundesliga abgestiegen. Es war eine aufregende Spielzeit, mit sensationellen Höhen, wie den Siegen gegen ehemalige Champions-League-Sieger und deutsche Meister, und erwartbaren Tiefen - inklusive dem letzten Tabellenplatz. Das Fazit des Fürstenfelbrucker Trainers Martin Wild, der die Mannschaft als treibende Kraft in diese Profiliga geführt hat, ist dennoch positiv. Der 42-Jährige, der im Hauptberuf Sportlehrer am Münchner Pestalozzi-Gymnasium ist und die erste Männermannschaft seit elf Jahren anleitet, will den Weg ambitioniert fortsetzen und den TuS mittelfristig in der zweiten Liga etablieren. Viel Zeit zum Grübeln über verpasste Chancen bleibt nicht, am 15. Juli beginnt die Vorbereitung auf die kommende Saison.

SZ: Der TuS Fürstenfeldbruck ist als Aufsteiger in die Zweitliga-Saison gestartet und als Tabellenletzter wieder abgestiegen. Wie enttäuscht sind Sie?

Martin Wild: Natürlich sind wir enttäuscht, aber es überwiegt das Positive. Wir haben Erfahrungen sammeln dürfen, die uns keiner mehr nehmen kann. Die Saison hat unglaublichen Spaß gemacht, auch wenn es im Endeffekt nicht gereicht hat.

Sie haben Champions-League-Sieger HSV Hamburg und den zig-maligen deutschen Meister VfL Gummersbach geschlagen, vielen Top-Teams einen heißen Kampf geboten, macht sie das stolz?

Ja klar, wir haben oft am Limit gespielt und uns viel Respekt erarbeitet.

Gegen vermeintlich schwächere Gegner, auch Teams in Reichweite, hat es eher selten geklappt. Warum?

Wir haben häufig schlecht ausgesehen, wenn uns der Gegner nicht unterschätzt und an seiner Leistungsgrenze gespielt hat. Haben wir das nicht zu 100 Prozent geschafft, kamen Ergebnisse heraus, die den Qualitätsunterschied deutlich gemacht haben. Wenn uns die Gegner aber Raum gelassen und wir am Limit gespielt haben, konnten wir zeigen, dass wir an guten Tagen gegen jede Mannschaft punkten können.

Martin Wild während der zweiten Bundesliga. (Foto: Hartmut Bösener/imago)

Eine Frage der Motivation?

Das kann ich zu 100 Prozent ausschließen, die Jungs waren über ein Jahr lang in jedem Spiel maximal motiviert. Aber natürlich ist es ein grundlegendes Problem eines Aufsteigers, über 34 Spieltage eine konstante Leistung abzurufen. Wenn wir das schaffen könnten, wären wir eine Topmannschaft.

Sie waren aber die Amateurtruppe in einer Profiliga.

Deshalb haben wir in Spielen, in denen wir an unserer Leistungsgrenze waren und der Gegner nicht, gepunktet. Haben beide Teams ihr Leistungsniveau abgerufen, haben wir häufig den Kürzeren gezogen, das kam aber auch wenig überraschend.

Dann haben sie also nur gewonnen, wenn sie unterschätzt wurden?

Ich stecke ja nicht in den Köpfen der Gegner, waren sie allerdings voll da, wurde es schwer für uns.

Gummersbachs ehemaliger Nationalspieler Timm Schneider hat dem nach der Niederlage in Fürstenfeldbruck aber deutlich widersprochen.

Das ehrt uns, wenn der Gegner unsere Leistung anerkennt, auch dass wir mit ganz anderen Voraussetzungen in die Saison gegangen sind. Das waren unsere Highlight-Spiele, die uns sicherlich viele Jahre in Erinnerung bleiben werden. Wir nehmen, wie gesagt, sehr viele positive Momente mit.

Jetzt ist es vorbei mit der großen Handballbühne, werden Sie es vermissen?

Das Jahr war unglaublich lehrreich für uns und ich kann definitiv sagen: Wir haben Blut geleckt. Auch wenn gerade auswärts deutliche Unterschiede offenbar wurden.

Und zwar?

Allein wenn du in die großen Arenen einläufst und sieht, welches Personal da aufgefahren wird. Zuschauer haben wir ja leider nicht erlebt. Aber in vielen Gesprächen vor und nach Spielen haben wir hautnah mitbekommen, wie strukturiert und professionell in diesen Vereinen gearbeitet wird.

In der zweiten Bundesliga erlebte der A-Lizenz-Inhaber Martin Wild ein besonders intensives Jahr am Spielfeldrand. (Foto: Hartmut Bösener/imago)

Zum Beispiel?

Wir sind die einzige der 19 Mannschaften der zweiten Liga, die keine Trainingseinheiten am Vormittag hatte. Wir haben fünfmal pro Woche trainiert und oft auf viermal reduziert, um die Belastung zu steuern und zu regenerieren. Andere Mannschaften haben nach Spieltagen Regenerationstraining, die Spieler liegen bei den Physiotherapeuten auf der Liege. Unsere Jungs sind in die Arbeit gegangen und waren am Abend um 20 Uhr wieder in der Halle. Wir konnten kein Pensum fahren wie unsere Konkurrenten, das war der gravierendste Unterschied.

Und durch Corona wurde alles erschwert?

Auch wenn es böse klingt, davon haben wir sogar profitiert. Weil unsere Jugendmannschaften nicht trainieren durften, konnten wir früher und öfter in die Halle.

Und jetzt zurück in den Amateurmodus?

Das ist schon passiert. Jugend- und Erwachsenenteams wollen trainieren, die Halle platzt schon wieder aus allen Nähten. Das wäre aber ein entscheidender Schritt, frühere Trainingszeiten und Vormittagseinheiten einzuführen, das habe ich in diesem Jahr gelernt, sonst ist die zweite Liga auf Dauer nicht möglich.

Das klingt jetzt aber doch, als ob es ein einmaliges Abenteuer war.

Wir müssen ernsthaft aus diesem Jahr unsere Lehren ziehen. Wir müssen in den nächsten Jahren an unseren Strukturen arbeiten, für die zweite Liga müssen wir unseren Spielern zwei, drei Vormittagseinheiten ermöglichen.

Das geht aber nur mit Profis.

Nicht unbedingt, wir müssen den Spielern den Arbeitsausfall gegenfinanzieren, damit sie im Endeffekt Arbeitszeit reduzieren können. Die meisten Klubs haben zwar Vollprofis, aber es gibt auch Modelle wie Rimpar, dort arbeiten Spieler etwa 25 Stunden pro Woche. Unser Modell hat einen großen Charme, auf Dauer funktioniert das aber nicht.

Seit einer Woche ist die für Trainer Wild extrem anstrengende Saison vorbei. (Foto: Hartmut Bösener/imago)

Und wer soll das bezahlen?

Stand heute geht es nicht, das ist klar. Aber es ist doch nicht abwegig, Strukturen aufzubauen, neue Sponsoren zu gewinnen, alles weiter zu professionalisieren. Wir haben doch gesehen, dass wir nicht so weit weg waren, wie viele vor der Saison gedacht hätten.

Was meinen Sie mit Strukturen ändern?

Wir diskutieren seit geraumer Zeit, ob wir den Schritt wagen sollen, mit einem hauptamtlichen Geschäftsführer oder einem sportlichem Leiter zu arbeiten. In meinen Augen gehört auch ein Jugendkoordinator dazu. Das ist essenziell, wenn wir diesen Weg in den kommenden Jahren weitergehen wollen.

Also erst mal eine solide Saison in der dritten Liga und gleichzeitig an der Professionalisierung des Klubs arbeiten?

Genau, wir müssen uns ein Stück weit neu erfinden, auch die Mannschaft wird ein anderes Gesicht bekommen. Eine Hauruck-Aktion, ohne neue Strukturen geschaffen zu haben, macht wenig Sinn. Wir müssen konzeptionell und sportlich extrem gut arbeiten und viele junge Talente zu Führungsspielern entwickeln. Die werden immer das Korsett der Mannschaft sein. Technisch, taktisch und spielerisch waren wir nicht allzu weit weg von der Konkurrenz, im athletischen Bereich ist noch viel zu holen, dafür muss das Trainingspensum angepasst werden. Dann können wir mittelfristig die zweite Liga anpeilen.

Wie wird die Mannschaft in der kommenden Saison aussehen?

Johannes Stumpf und Johannes Borschel hören auf, Stefan Hanemann und Falk Kolodziej verlassen den Verein, wir werden weiter auf junge Spieler aus der südbayerischen Region setzen und mehr in Strukturen investieren.

Genügt das auf Dauer?

Glaube ich nicht, das ist auch eine Erkenntnis dieser Saison. Für die zweite Liga ist es unabdingbar, zwei, drei externe Profis zu verpflichten. Aber erst müssen dafür die Möglichkeiten geschaffen werden.

Trainer Martin Wild (Mitte) sagt, das Jahr sei unglaublich lehrreich für ihn und seine Mannschaft gewesen. (Foto: Noah Wedel/imago)

Der Etat war mit 350000 Euro der kleinste der Liga, die Konkurrenz hatte mindestens das Doppelte. Das könnte schwer werden.

Wir sind meines Wissens nach ohne Minus aus dieser Saison gekommen, obwohl die Zuschauereinnahmen gefehlt haben. Durch die Spieler, die uns verlassen, wird etwas Budget frei. Trotzdem müssen wir weiter einen Sparkurs fahren und Talente aufbauen.

Stichwort Zuschauereinnahmen, reicht auf Dauer eine Halle, die mit 900 Zuschauern voll ist?

Das Projekt neue Halle schwirrt schon länger durch Bruck, aber ich glaube, dass wir recht weit davon entfernt sind.

Also muss man realisieren, dass der TuS gute Arbeit leistet, aber bei seinen Möglichkeiten das Maximum erreicht hat. Wenn etwa ein Akteur wie Falk Kolodziej nicht gehalten werden kann?

Das ist nicht nur unser Schicksal, sondern das jeder Mannschaft, die in kurzer Zeit großen sportlichen Erfolg hat. Die Spieler geraten ins Rampenlicht, Falk hat eine tolle Saison gespielt, das weckt bei ihm und der Konkurrenz Begehrlichkeiten. Wir haben uns an der Schmerzgrenze bewegt und ihm ein tolles Angebot gemacht, er hat sich für ein besseres Angebot entscheiden, das müssen wir akzeptieren, das ist unser Los.

Wird Ihnen nicht unwohl, wenn sie an die Entwicklung von Stephan Seitz denken, der in dieser Saison in die Jugend-Nationalmannschaft berufen wurde?

Es wird uns wieder passieren, dass unsere besten Spieler gehen. Aber wir haben es auch geschafft, zum Beispiel mit unserem familiären Umfeld und unserer Mission, die weiter darin besteht, junge Spieler wie Seitz, Max Horner, Alex Leindl oder Tim Kaulitz zu halten. Wir haben es geschafft, die Jungs zu überzeugen, dass sie trotz lukrativer Anfragen aus höherklassigen Vereinen bleiben.

Martin Wild, 42, ist seit elf Jahren Trainer der Brucker Handballer. (Foto: imago)

Dann ist der TuS momentan ein Ausbildungsverein?

Das ist ein passender Begriff. Wir sind noch nicht in der Lage, alle Spieler zu halten. Und gestandene Spieler zu holen, fällt uns schwer. Aber das wollen wir ja ändern.

Hilfreich dürfte sein, dass der TuS in Südbayern den besten Namen hat?

Das ist so ziemlich der einzige Vorteil, den wir haben. Sonst wären Talente wie Seitz, Cedric Riesner oder Torhüter Louis Oberosler nicht in München zu halten.

Also steht der Kader für die kommende Saison?

Wir halten Augen und Ohren offen, aber Stand jetzt ist die Kaderplanung abgeschlossen. Zudem kommen in Felix Kerst, Alex Leindl, Cedric Riesner und Benedikt Hack vier Langzeitverletzte zurück. Alles Akteure, die uns weiterbringen werden.

Sie sagten vorher, die Spieler geraten in den Fokus der Konkurrenz, das gilt doch auch für den Trainer?

Natürlich gab es im Laufe der Saison Gespräche mit Spielern, Trainern oder Geschäftsführern, man tauscht sich aus, kennt sich. Auch ich habe wie viele meiner Spieler Blut geleckt, es macht einfach unfassbaren Spaß in der zweiten Liga. Wir alle wollen professionell arbeiten, tatsächlich hat sich in dieser Saison mit der A-Lizenz, die ich gemacht habe, auch meine Denke geändert.

Also hat sich Ihr Horizont erweitert?

Ein guter Ausdruck, ja, mein handballerischen Horizont hat sich erweitert.

So weit, dass ein Vereinswechsel, den Sie bisher kategorisch ausgeschlossen haben, nun doch in Frage kommt?

Ich halte es nicht mehr für ausgeschlossen, in der Zukunft auch mal im professionellen Handball zu arbeiten. Aber ich treibe das nicht aktiv voran, mit einem Berater etwa. Mein Hauptberuf ist nach wie vor Lehrer, aber die Lust, im professionellen Bereich zu arbeiten, ist gestiegen.

Es gibt interessante Klubs in der Nähe, Coburg oder Bietigheim.

Wahrscheinlich muss ich mal ganz konkret vor so eine Entscheidung gestellt werden, um mich absolut ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen. Ich habe hier die Festanstellung an der Schule, mein privates Umfeld, es passt alles zusammen. Ich müsste umziehen und vieles aufgeben,aber wenn ein Angebot kommt, das mich zu 100 Prozent sportlich reizt und das Finanzielle stimmt, ist es nicht ausgeschlossen.

Was hält Sie noch in Bruck?

Ich finde unser Projekt, trotz vieler Hürden in den vergangenen und auch den nächsten Jahren noch immer spannend. Und irgendwie macht es auch Spaß.

© SZ vom 03.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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