Fürstenfeldbruck:Vom Einheitsgrün zur Blumenpracht

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Emmering wird Beispielgemeinde für die Initiative "Brucker Land blüht auf". Acht weitere Gemeinden und der Landkreis werden Verkehrsinseln und Grünstreifen umwandeln

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Reinhard Witt hockt auf einer Verkehrsinsel beim Aldi in Eichenau und schaut sich an, welche Pflanzen dort wachsen. Sie sind kaum zwei Zentimeter hoch, aber Witt identifiziert trotzdem schnell Kriechendes Fingerkraut, Löwenzahn, Ferkelkraut und die Gräser Schafschwingel und Weidelgras. Es blüht nichts. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Flächen werden etwa alle zwei Wochen sehr kurz gemäht. Die Verkehrsinsel ist grün, aber kein Lebensraum. Außerdem ist die Arbeit mitten auf der Straße für die Bauhofmitarbeiter nicht ungefährlich und für die Gemeinde relativ teuer.

Das soll sich jetzt ändern. Schon im kommenden Jahr könnten auf den Verkehrsinseln in Eichenau und in vielen weiteren Gemeinden im Landkreis blauer Natternkopf und gelbe Färberkamille ebenso blühen wie das purpurne Nelkenleimkraut und viele andere heimische Wildblumen. Die blühenden Inseln werden so Lebensräume für Schmetterlinge und Bienen, Hummeln, andere Insekten, aber auch Vögel.

Der Initiative "Brucker Land blüht auf" der Solidargemeinschaft Brucker Land haben sich neun Gemeinden und der Landkreis angeschlossen. Sie alle haben Flächen gemeldet, die in Mager- oder Fettwiesen oder Blühstreifen verwandelt werden sollen. Außer den Verkehrsinseln sind Grünstreifen entlang von Straßen, Böschungen und Wiesen dabei. An zwei Tagen war Naturgartenplaner Reinhard Witt in Mammendorf, Günzlhofen, Althegnenberg, Adelshofen, Emmering und der Stadt Fürstenfeldbruck sowie in Olching, Puchheim und Eichenau unterwegs. Auf dem Plan stehen auch Flächen, die der Landkreis vorgeschlagen hat. Mit dabei ist Margit Pesch von der Solidargemeinschaft Brucker Land, die das Projekt koordiniert. Barbara Sandmeir vom Brucker Land fotografiert und dokumentiert die Flächen. Witt arbeitet im Team mit der Naturgartenplanerin Katrin Kaltofen, die gleich aufschreibt, welche Bepflanzung oder welches Saatgut sie und Witt für welche Flächen als sinnvoll erachten. Die Naturgartenplaner haben unter anderem schon Gemeinden in den Landkreisen Ebersberg, München und Bad Tölz-Wolfratshausen zum Blühen gebracht, nun ist der Landkreis Fürstenfeldbruck dran.

Am Parkplatz der Blombergbahn in Bad Tölz gibt es schon einen Blühstreifen. (Foto: LBV)

Emmering wird nach der Begehung als Beispielgemeinde ausgewählt. Das bedeutet, dass Reinhard Witt und sein Team in der Gemeinde die ausgewählten Flächen bearbeiten. Emmering wurde wegen der Vielfalt an angebotenen Flächen ausgewählt, aber auch, weil Rathaus und Verwaltung voll hinter der Aktion stünden, wie Pesch erklärt. Bürgermeister Michael Schanderl (Freie Wähler) war selbst bei der Begehung dabei. Der Agraringenieur und Bio-Landwirt im Nebenerwerb freut sich sehr, dass Emmering Beispielgemeinde ist. Er sieht zwei Vorteile in der Anlage von Blühstreifen und blühenden Wiesen.

Einer liegt natürlich im ökologischen Nutzen, "für die Insekten, vor allem für die Bienen", wie Schanderl sagt. Aber auch für den Klimaschutz ergäben sich Vorteile. Denn viele Flächen würden bisher gemäht und das Mahdgut bleibe dann auf den Flächen liegen. So entstehe Lachgas, das noch klimaschädlicher sei als Kohlendioxid, erklärt Schanderl. Seit etwa einem Jahr bringt die Gemeinde Emmering deshalb das Kompostiergut nach Mammendorf in die Biogasanlage, wo daraus Methangas, Strom und Heizenergie entstehen. Ob das mit dem Mahdgut von den mageren Flächen auch funktioniere, müsse man aber erst sehen, sagt Schanderl.

Reinhard Witt (links) prüft, was auf einer Verkehrsinsel in Eichenau wächst. Daneben (v.l.) Barbara Sandmeir (Brucker Forum), Werner Egle (Bauhof), Karin Schmid (Ordnungsamt), und Planerin Katrin Kaltofen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Er schätzt, dass etwa 15 000 Quadratmeter in Emmering umgewandelt werden. Die größte Fläche ist eine Obstwiese am Westanger mit etwa 10 000 Quadratmetern, die kleinste eine Böschung am Kinderhaus an der Amper mit etwa 150 Quadratmetern. Eine weitere Wiese an der Siedlerstraße, einige Verkehrsinseln an der Dachauer Straße, eine Böschung am Sportplatz und ein langer Streifen am Lauscherwörth, gegenüber vom Bürgerhaus, werden ebenfalls verwandelt. Vertreter der übrigen Gemeinden sind eingeladen, bei der Anlage dabei zu sein und so die nötigen Schritte kennenzulernen.

Witt wird die drei Methoden zeigen, nach denen er arbeitet: Bei Verkehrsinseln entfernt er alle Erde und Pflanzen aus der Insel, füllt mit Kies und Sand auf und bedeckt alles mit einer dünnen Schicht unkrautfreiem Kompost. Auf größeren Flächen kommt die Burri-Methode zum Einsatz. Dabei werden breite Streifen der bestehenden Wiese frei gefräst, so oft, bis nichts mehr wächst. In beiden Fällen werden dann spezielle Pflanzenmischungen gesät und einzelne Pflanzen eingesetzt, damit bald etwas blüht. Die dritte Methode ist die Artenanreicherung, bei der auf Flächen, die schon recht artenreich sind, die Pflanzen ergänzt werden, die fehlen.

Der Kiesstreifen am Lauscherwörth in Emmering soll nächstes Jahr blühen. (Foto: Margit Pesch/oh)

Dass man bei Anlage und Pflege Fehler machen kann, zeigt eine Fläche am Fürstenfeldbrucker Graf-Rasso-Gymnasium, die der Landkreis schon vor etwa zehn Jahren als Magerrasen anlegen ließ. Witt und Kaltofen nehmen sie bei der Begehung auf Wunsch von Stefan Guth vom Bauamt des Landkreises unter die Lupe. Die Wiese wirkt eigentlich schon ganz naturnah, es blüht Klee, doch die Naturgartenplaner sehen, dass dort noch viel mehr Arten wachsen könnten. "Die Magerrasen-Arten fehlen", erklärt Kaltofen. Zwei Streifen sollen nun aufgefräst werden, gesät werden zum Beispiel Glockenblumen, Heide- und Kartäusernelken und die lila blühende Taubenskabiose. Die gelbe Goldhaar-Aster und die pinke Steinnelke sollen gepflanzt werden. So ergibt sich eine gestaffelte Blütezeit, und es werden sich wohl noch mehr Schmetterlinge und andere Insekten einfinden.

Der Landkreis Fürstenfeldbruck hat einige andere Projekte, etwa den Grünstreifen zwischen Roggensteiner Straße und Radweg in Emmering oder den an der Kreisstraße zwischen Schöngeising und Mauern. In Emmering wird eine niedrige Mischung gesät von Pflanzen, die nicht höher als 20 bis 30 Zentimetern werden, damit Autofahrer und Radler nicht beeinträchtigt werden. Bei Schöngeising werden Natternkopf, Thymian und einige andere Arten nachgesät.

Am liebsten ist Gartenplaner Witt, wenn schon bei der Planung an Blühstreifen gedacht wird. Er empfiehlt, bei Neuanlagen gleich auf Oberboden zu verzichten und aus Kies und Schotter einen Magerstandort herzustellen. Dann kann eine Wildblumenmischung eingesät werden. Wichtig ist die richtige Mischung. Die Blühstreifen und Wiesen sollen über viele Jahre blühen, weshalb Witt von Mischungen aus einjährigen Pflanzen abrät und nur einheimische Arten verwendet. "Ästhetik spielt dabei natürlich eine Rolle, es soll auch schön sein", sagt der Naturgartenplaner. Deshalb empfiehlt er zum Beispiel die Aussaat des Nelkenleimkrauts, einer einjährigen Pflanze, die schnell und wunderschön purpurfarben blüht. Im zweiten Jahr wird sie von den langsamer wachsenden Arten abgelöst.

Bei der Begehung in Eichenau äußert Karin Schmid vom Ordnungsamt der Stadt Bedenken, die Bürger könnten nicht verstehen, warum die vorher grünen Flächen plötzlich für einige Zeit kahl seien. Deshalb werden Schilder aufgestellt, die das Projekt erklären. Dass den Emmeringern die neuen Blühflächen missfallen könnten, fürchtet Schanderl nicht. Denn zum einen hat der Bürgermeister im Mitteilungsblatt der Gemeinde immer wieder auf die Bedeutung von Blühflächen hingewiesen. Zum anderen gibt es in Emmering schon einige Blumenwiesen. Überhaupt hat die Blüh-Initiative viele offene Türen eingerannt, auch in Eichenau, wie Karin Schmid sagt. Schon seit einigen Jahren engagiere sich die Gemeinde dafür, dass wieder mehr Blumen wachsen können.

So wurde beispielsweise zwischen Donauschwaben- und Ostpreußenweg die erste Blühwiese angelegt, die, wie Bürgermeister Peter Münster (FDP) sagt, im vorigen Mai einen "überwältigenden Eindruck" verbreitet habe. Grundsätzlich seien die meisten Kommunen heute viel offener für das Thema als noch vor wenigen Jahren, hat Witt festgestellt - das Insektensterben ist inzwischen vielen Menschen bewusst geworden. Und bei manchen wandelt sich so auch das ästhetische Empfinden: Werner Egle, Vorarbeiter des städtischen Bauhofs von Eichenau, sagt bei der Begehung, früher habe er gedacht, nur eine sauber gemähte Fläche sei schön. Seit er die neue Blumenwiese kenne, habe sich seine Einstellung geändert.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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