Fürstenfeldbruck:Der Schmerz vergeht, die Kunst bleibt

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Tattoo-Künstler Zoran Trajkovski von Inkster aus Germering bei der Arbeit (Foto: Johannes Simon)

In Fürstenfeldbruck treffen bei einer Tattoo-Convention Menschen zusammen, die auf der Suche nach einem neuen Motiv auf der Haut sind - oder einfach nur Inspiration.

Von Noah May, Fürstenfeldbruck

Es geht um mehr, als nur Stiche in die Haut. Es sind die Inspiration und das Gemeinschaftsgefühl, die Möglichkeit sich zu unterhalten und - natürlich - um sich tätowieren zu lassen. Die Tattoo-Convention in der Tenne des Veranstaltungsforums Fürstenfeld zählt inzwischen zu der Art von Veranstaltungen, bei der man aus der bloßen Betrachtung der Schlange vor dem Einlass nicht ganz abschätzen kann, was einen genau erwarten wird. Tattoos, sich tätowieren zu lassen, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Von Familien und Jugendlichen bis hin zu Rentnern schlendern die Menschen aus Fürstenfeldbruck, ja aus ganz Deutschland zu lautem Bass aus großen Boxen zwischen den verschiedenen Ständen der Tätowierer. Sie locken mit den krassesten Motiven, jeder will das Beste anbieten. Die Vorlagen sind auf den Tischen ausgebreitet und finden so viele Betrachter, die das Gespräch mit den Körperkünstlern suchen oder nach einer kurzen Abwägung zum nächsten Tätowierer mit vermeintlich noch krasseren und noch besseren Angeboten weitergehen. Die Auswahl der Bilder, die man sich unter die Haut stechen lassen kann, reichen von Hello-Kitty-Varianten bis zu Totenköpfen.

Vor allem Totenköpfe. Totenköpfe gibt es in beeindruckend vielen Formen und Farben, wie die Besucher schnell feststellen können. Diese symbolisieren allerdings nicht die Giftigkeit, der teils gesundheitsschädlichen Farbpigmente, die mit den Tattoo-Maschinen unter die Haut gestochen werden. Längst hat die EU bestimmte Tattoo-Farben verboten, weitere Reglementierungen werden folgen. Deshalb wurden vor dem Verbot die betroffenen Farben nochmal kräftig an den Mann und die Frau gebracht. Dennoch gehe es immer weiter, sagt eine Händlerin von Tattoo-Zubehör. Neben Tätowiermaschinen verkauft sie auch Farben. Rauchen könne tödlich sein, so könnten auch die Farben gefährlich sein, meint sie. Das Risiko werde also bewusst eingegangen.

Realistische Porträts werden gerne ausgewählt. (Foto: Johannes Simon)

Etwa 150 Tätowierer aus verschiedenen Teilen der Erde bieten ihre Künste den Besuchern an. So nimmt ein Mann auf dem Stuhl von Simon Valero Platz. Der Venezolaner ist Tätowierer in Berlin und für dieses Wochenende auch in Bruck. Vor allem realistische Motive seien sehr beliebt, aber auch geometrische Formen und Mandalas, erzählt er. Der Kunde aus Schongau hat auf seinem Unterarm einen Totenkopf. Den möchte er nun nachstechen lassen und ein weiteres Tattoo ergänzen. Was genau es wird, weiß er noch nicht. Er gehe gerne auf Conventions, denn dort benötige man keine Termine mit langen Wartezeiten. Es gehe einfach schneller, sagt er.

Im ersten Stock der Tenne wird die Totenkopf-Allee von zwei gegenüberliegenden Ständen von Studios aus Germering gesäumt. Als Konkurrenz sehe man sich nicht, erzählt ein Azubi von Inksters Tattoo. Viel eher lasse man sich von anderen Artists inspirieren und tausche sich aus. Neben der Realistik ist bei den Germeringern vor allem der japanische Stil beliebt, sagt er. Ein Stand, der mit rosa Luftballons geschmückt ist, sticht besonders zwischen seinen dunklen und metallisch dekorierten Nachbarn heraus. "Tattoo meets Beauty" steht auf einem Schild. Wie der Name schon erahnen lässt, werden dort Make-Up, Cremes und andere Beauty-Produkte verkauft, die - anders als der Name erahnen lässt - rein gar nichts mit Tattoos zu tun haben. Wie der Stand dort gelandet ist? "Na ja, wir sind alle tätowiert und dachten uns, das passt", erzählt eine der Vertreterinnen. Die unkonventionelle Marketingmethode scheint aufzugehen, viele Menschen tummeln sich unter den Luftballons, die eine willkommene Abwechslung für die schwarz-weiß gesättigte Retina ist, die Hello-Kitty kaum noch von einem Totenkopf unterscheiden kann.

Marleen Strasser aus Nürnberg bereitet eine Tätowierung vor. (Foto: Johannes Simon)

Schwarz-weiß ist nach wie vor bei den Motiven sehr beliebt, erzählt eine Frau, die vor dem Stand von "Picasso Tattoo" Visitenkarten verteilt. Die zwölf rumänischen Tätowierer sind Künstler. Sie haben ein abgeschlossenes Kunststudium und nun neben Bukarest auch München als Studiostandort. Diese sind für scharf gestochene realistische Porträts bekannt und beliebt. Der Sohn der Frau und eine weitere Kundin lassen sich gerade ein mit den Pigmenten ein Stück Haut veredeln. Jeder der Tätowierer habe sein Spezialgebet, so würden alle Stile und Vorlieben abgedeckt, erzählt die Mutter.

Viele Leute kommen auch mit eigenen Motiven, sie wollen ihre Kinder, Haustiere oder andere (Vor-)Bilder auf sich festhalten. Beliebt sind auch Cover-Ups bei denen verblasste oder missratene Tattoos überstochen, erweitert und gerettet werden sollen. Das sei aber immer eine gewisse Herausforderung, der Erfolg hänge von der Größe und Farbzusammensetzung ab, fügt sie hinzu. "Mittlerweile sind Tattoos Kult geworden", sagt die Frau. Die Kunden kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Was "Picasso Tattoo" so besonders mache, sei, dass die Künstler mit den Leuten ehrlich redeten. Sie raten beispielsweise von Tattoos auf den Handflächen ab, da diese besonders schnell verblassen. Die beliebtesten Stellen seien sowieso nach wie auf den Armen.

Totenköpfe sind sehr beliebte Motive der Tätowierer. (Foto: Johannes Simon)

Die Pflege der Tattoos sei allerdings entscheidend, nicht immer seien die Tätowierer für ein verblassendes Tattoo verantwortlich, betont ein Mitarbeiter des Konstanzer Studios "Black Pearl". Die Besucher werden mit 3D-Tätowierungen an den Stand gelockt. Zur Begutachtung der ausgedruckten Beispiele liegt eine 3D-Brille aus. Die Motive werden in Blau und Rot gestochen, so wird der Effekt erzielt. Die Szene sei durch die Pandemie hart getroffen worden, lässt er wissen. Neben Corona mache sich nun auch die Inflation bemerkbar. Aber: "Was für die Ewigkeit auf der Haut ist, darf kosten, was es will", konstatiert der Mann.

Ein junges Pärchen sieht sich auf der Messe um. Es hat sich noch nicht entschieden, ob und wie viel Geld ausgegeben wird. Die beiden sind das erste Mal auf einer Messe und suchen Inspiration. Er interessiere sich vor allem für Realistik, sie für Fine Line. Die Frau erzählt, dass sie für jedes Tattoo mehrere Monate sparen müsse. Es ist ein teures Hobby.

Zur Tattoo Convention kommen Menschen, die gerne eine größere Auswahl an Motiven suchen und sich gleich stechen lassen. (Foto: Johannes Simon)

Auch eine 20-Jährige möchte sich gemeinsam mit einer Freundin inspirieren lassen. Sie selbst mache eine Ausbildung zur Tätowiererin und habe schon neun Kunstwerke auf ihrem Körper. Auf der Messe will sie sich nicht tätowieren lassen. Zu hoch sei der Grundpreis von 100 Euro, bei ihrer Bekannten bekomme sie ein besseres Angebot. Tattoos haben für sie eine große Bedeutung und werden lange im Vorhinein geplant.

Ein Stand bietet für Kinder und alle, die keine Nadel unter die Haut lassen wollen, Airbrush-Tattoos an. Dabei werden die Motive mit einer Schablone auf die Haut gesprüht. Nach zwei Wochen verschwinden die Drachen und Dinos wieder. Besonders beliebt sei das Ewigkeitszeichen, sagt der Gunzenhausener Betreiber. Auch um sich ein Bild davon zu machen, wie ein mögliches Tattoo aussehen würde, nutzen viele erstmal die harmlosere Variante. Die Pandemie habe die Branche stark unter Druck gesetzt, sagt auch er. Vor Corona habe es um die 200 Veranstaltungen im Jahr gegeben, nun sei man nicht mehr im dreistelligen Bereich, zu hoch seien die wirtschaftlichen Risiken bei kurzfristigen Absagen, erzählt der Mann. Man habe selten nachvollziehen können, nach welcher Logik die Subventionen und Unterstützungen verteilt worden sind, bemängelt er.

Simon Valero hat inzwischen begonnen, den Totenkopf auf dem Unterarm des Mannes nachzustechen. "Es ist immer ein Schmerz dabei", lächelt der Kunde gequält. Das neue Motiv hat sich inzwischen gefunden. Eine Maya-Symbolik soll auf die Finger gestochen werden. Stolz zeigt er ein Bild auf seinem Handy, wie das Endprodukt aussehen soll. Er habe sechs Tattoos und müsse zugeben, "es ist wie eine Sucht." Er und die anderen zahlreichen Kunden ließen die Messe für den Veranstalter Jürgen Kuhn zu einem "Riesenerfolg" werden. Man habe ausschließlich positives Feedback von den Tätowierern und den Besuchern erhalten.

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