Fürstenfeldbruck:Geflüchtete zweiter Klasse

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Angehörige der Roma sind auf der Flucht im Westen der Ukraine gestrandet.. (Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Roma werden in der Ukraine und im Landkreis diskriminiert. Die Caritas will dagegen angehen.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Brucker Caritas hat jüngst zu einer Veranstaltung mit Radoslav Ganev eingeladen, dem Gründer des Vereins Romanity, um sich im Rahmen der Wochen gegen Rassismus mit dem Antiziganismus, dem speziellen Rassismus gegen Sinti und Roma, auseinanderzusetzen und über Gegenmaßnahmen zu sprechen. Romanity ist eine gemeinnütziger Verein aus München, der die Partizipation unter und mit Roma und Sinti fördern will und durch Begegnungen und Austausch dazu beitragen, dass Klischees und Vorurteile abgebaut werden.

Als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine in Fürstenfeldbruck ankamen, stellten Mitarbeiter der Caritas fest, dass sich darunter auch Roma befanden. Mit Hilfe der Dolmetscher für Russisch und Ukrainisch habe man sich kaum verständigen können, viele seien obendrein Analphabeten, berichtet Andrea Gummert vom Brucker Caritas-Zentrum. Die Roma wollten meist in größeren Gruppen zusammenbleiben, weshalb sie vor allem in Gemeinschaftsunterkünfte kamen. Wohnungen für diese Menschen zu finden, sei schwierig. Bei der Einschulung habe man oft festgestellt, dass die Kinder nur kurze Zeit oder noch nie eine Schule besucht hatten.

Politikwissenschaftler und Konfliktmanager Radoslaw Ganev. (Foto: Toni Heigl)

Der Politikwissenschaftler und Konfliktmanager Radoslaw Ganev, ein aus Bulgarien gebürtiger Roma, verwies auf den Antiziganismus, eine rassistische Haltung, die in Deutschland und Europa lange Tradition habe. Es handele sich um eine Einstellung, die sich aus Vorurteilen speist. Im 18. Jahrhundert habe man in Österreich und Preußen festgestellt, dass etwa 90 Prozent der Sinti und Roma sesshaft lebten, gleichzeitig entstand das Stereotyp vom "fahrenden Volk", vom "lockeren Leben im bunten Wohnwagen". Vermutlich projizieren Rassisten auf andere, was sie sich unter einem besseren Leben vorstellen, aber sich selber nicht zugestehen.

60 Prozent der Deutschen glauben, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen

Der Politikwissenschaftler zitierte Umfragen, wonach 60 Prozent der Deutschen glauben, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. "Roma-Millionäre, die Steuern hinterziehen, interessieren dabei niemanden, dafür umso mehr die Kleinkriminalität", so Ganev.

In ganz Osteuropa leben die meisten Roma in prekären Verhältnissen und extremer Armut. Diese soziale Lage, Ausfluss gesellschaftlicher Verhältnisse, werde durch die Vorurteile "ethnisiert", erklärte Ganev. Eine blonde, blauäugige Akademikerin habe kein Problem, solange sie nicht verrate, dass sie eine Roma ist, aber die anderen, die in Armut leben, erkennbar an schäbiger Kleidung und Verhalten oder Analphabetismus. Ein Marker sei aber auch eine dunklere Hautfarbe, und manchmal "erfüllen die Menschen auch die Klischees".

Während der realsozialistischen Herrschaft hatten es die Roma besser. Es gab Förderprogramme und Quoten, die Roma hatten Arbeit, wenn auch oft eine schlecht bezahlte. "Das alles ist weggefallen, seit 30 Jahren hat sich die Lage für die Roma in Osteuropa verschlechtert", sagte Ganev.

In der Ukraine lebten die meisten Roma im äußersten Westen, viele sind schon vor dem Krieg dorthin zurück geflüchtet, weil sie in Städten wie Lemberg immer häufiger das Opfer von Neonazis und Mobs wurden, während die Polizei tatenlos blieb, aber bei Diebstählen die Täter gerne in Roma-Vierteln sucht. Der Politikwissenschaftler wies darauf hin, dass die Ukraine "nie eine wirkliche Demokratie" geworden sei, das gelte insbesondere für den Umgang mit Minderheiten.

Der russische Überfall hat die Lage nicht verbessert. Ganev berichtete, dass sich Busfahrer in der Ukraine weigerten, Roma-Flüchtlinge mitzubringen. An der polnischen Grenze wurden sie zusammen mit Afrikanern und Indern aus der Schlange für "Weiße" aussortiert und mussten sich im Unterschied zu diesen erst einmal ausweisen, bevor sie Essen bekamen.

In Prag wurden Roma-Flüchtlinge mit Flaschen beworfen und in Mannheim durften sie nicht die Ruheräume der Bahn benutzen. Mehrheits-Ukrainer wollen oft nicht mit ukrainischen Roma in eine Unterkunft. "Es ist knallharter Rassismus", lautet Ganevs Bilanz.

In der Diskussion mit den mehr als 30 Teilnehmern dieser Online-Veranstaltung ging es vor allem um grundsätzliche Aspekte. So erklärte Ganev den Unterschied zwischen Sinti, die überwiegend in Nord- und Mitteleuropa lebten, und Roma, die überwiegend aus Ost- und Südosteuropa stammen. Während die Sprache der Sinti noch stärker mit dem Sanskrit verbunden sei, fänden sich bei den Roma starke altgriechische und slawische Einflüsse. Ihre Vorfahren verließen vor rund tausend Jahren das heutige Pakistan und Nordindien. "Sie leben seit 600 Jahren in Europa, das sind keine Exil-Inder", sagte Ganev.

Auf die Frage, was sich gegen Antiziganismus tun lasse, liegt Aufklärung nahe. Was die Geflüchteten betrifft, so riet Ganev vor allem, die Kinder zu unterstützen, damit diese zur Schule gehen und eine Ausbildung absolvieren können. "Mache das Beste draus, wenn du hier bist", sollte man ihnen auf den Weg geben. Bei der Überwindung von Sprachbarrieren könnte der bayerische Landesverband der Sinti und Roma helfen.

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