Rechtsextreme Ideologie:Nadelstreifen statt Springerstiefel

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Reichsbürger bei einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor. Auch die ehemalige Lehrerin Elisabeth R. ist eine Anhängerin, jetzt ist sie in Untersuchungshaft. (Foto: imago stock/imago images/Future Image)

Wie Neonazis auftreten, um Anhänger zu rekrutieren: Holger Nitsch referiert bei der Senioren-Union Fürstenfeldbruck.

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Das erste Bild der Powerpoint-Präsentation zeigt Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, ein bis heute gerne verwendetes Symbol für Neonazis, aber irreführend, denn die Szene ist wesentlich differenzierter. Eine wesentliche Taktik bestand immer schon darin, Parolen, Begriffe, Kleidung oder Musik des Gegners, etwa der politischen Linken und sozialen Bewegungen, zu übernehmen und in einen gegenteiligen Kontext zu stellen. Die Bezeichnung Nationalsozialistische Arbeiterpartei ist dafür paradigmatisch, denn der Hauptgegner des Faschismus waren Gewerkschaften, Sozialisten und Kommunisten.

Holger Nitsch beginnt seinen Vortrag vor den Mitgliedern der Brucker Senioren-Union im Kurfürstensaal der Polizeischule denn auch mit dem Verweis, dass die Springerstiefel als Metapher ausgelatscht sind. Er zeigt ein Foto von Neonazis, die sich als Autonome verkleidet haben und auf der Demo ein Transparent mit der Aufschrift "Autonome Nationalisten" vor sich her tragen. Manche Ideologen der sogenannten Neuen Rechten, die sich bemühen, Auftritt und Sprache des Nazismus zu modernisieren, die Kultur statt Rasse sagen, kleiden sich leger und tragen auch mal Nadelstreifen.

Neonazis seien schließlich keine Wesen vom anderen Stern

Schließlich sind Neonazis keine Wesen vom anderen Stern. Es sei ein "nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung, der zum Teil rechtsextremes Gedankengut mit sich trägt", betont der Fachgebietsleiter für Soziologie, Psychologie und Politologie. Dennoch bemüht der Experte das schiefe Bild vom Rand und der Mitte der Gesellschaft, das zum Extremismusbegriff passt, als ließe sich das so klar abgrenzen. Zur Terrorgruppe NSU bemerkt Nitsch, davon habe man nichts wissen können, weil die Gruppe nur aus drei Personen bestand. Das ist eine verkürzte Darstellung, weil die Mordserie nicht durchführbar gewesen wäre ohne ein Netzwerk und der Beitrag von V-Leuten der Inlandgeheimdienste längst nicht geklärt ist.

Nitsch beginnt seinen Vortrag mit einem Videoauftritt von Horst Mahler, der von der RAF zur NPD gewandert war. Die Aufnahme ist teilweise schwer verständlich, aber die Essentials werden deutlich: Der Mann leugnet den Holocaust, spricht von Fremdherrschaft und Besatzung wie ein Reichsbürger und halluziniert einen großen Plan, Deutschland und Europa in einem "Mischmasch" von Rassen untergehen zu lassen.

Elemente der Ideologie: Antisemitismus, Rassismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus

Menschen lassen sich nicht in Rassen aufteilen. Diese wahnhafte Vorstellung, die nicht der Stammtisch, sondern verehrte Dichter und Denker, Wissenschaftler und Politiker erfunden haben, verflüchtigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs. Im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht hielt sich das Recht der Blutszugehörigkeit, Ausfluss des völkischen Nationalismus, noch bis Ende des 20. Jahrhunderts.

Nitsch führt die einzelnen Elemente rechtsextremer Ideologie auf: Antisemitismus, Rassismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Führerprinzip, Verharmlosung des Nationalsozialismus, die Idee der Volksgemeinschaft und Kollektivismus. Er verweist auf die Agitation von Rechten auf Schulhöfen, auf die Rolle von Nazimusik und die Bedeutung des Internets bei der Verbreitung solcher Ideen. Der Dozent betont die Rolle von Symbolen für die rechte Szene, sie signalisieren eine Gruppenzugehörigkeit, aber auch Ausgrenzung, sie können provozieren, fallen aber als Codes oft nicht gleich auf. "Sie sind hintergründiger als früher", sagt Nitsch. Er verweist auf die Kleidermarke "Consdaple", deren T-Shirts so getragen werden können, dass das Kürzel "nsdap" sichtbar bleibt.

Die Corona-Pandemie habe dazu beigetragen, rechtsextreme Ideologie weiter zu verbreiten, behauptet Nitsch. Die jüngsten Schlappen der AfD bei Landtagswahlen sprechen nicht dafür, sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Querdenker-Szene eher aus alternativen, ökologisch-esoterischen bis linken Milieus speist. Was viele Studien allerdings zeigen ist der Umstand, dass sich der Antisemitismus in der Gesellschaft ausbreitet und auftritt.

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