Transsexualität:"Ich habe mir das nicht ausgesucht"

Lesezeit: 3 min

Dorothea Zwölfer, Pfarrerin aus Erding, im Hof der Erlöserkirche in Fürstenfeldbruck. (Foto: Jana Islinger)

Pfarrerin und Transfrau Dorothea Zwölfer berichtet über die Trauer in ihrer Kindheit und das Ende des Leidensdrucks nach dem Outing. Bei der Diskussion in der Erlöserkirche in Fürstenfeldbruck melden sich auch betroffene Eltern.

Von Davide De Luca, Fürstenfeldbruck

"Eine Frau soll nicht Männersachen tragen und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen; denn wer das tut, der ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel." (Dtn 22,5) Eine Bibelstelle, die Dorothea Zwölfer, Jahrgang 1964, gut kennt. Sie wurde ihr oft entgegengehalten, denn die evangelische Pfarrerin aus Erding hat sich 2013 das erste Mal öffentlich als transsexuelle Frau geoutet. Bei einem Vortrag im Gemeindehaus der evangelischen Erlöserkirche in Fürstenfeldbruck erzählt sie, wie ihr Leben sich seitdem verändert hat, wie ihre theologische Perspektive sich wandelte, wie ihr neue Ergebnisse aus der Wissenschaft eine Sprache gaben und wie sie eigentlich schon immer wusste, was in ihr vor sich geht.

"Mama, wann werde ich schwanger?", fragte Dorothea Zwölfer als Kind ihre Mutter. Als diese ihr sagte, dass sie keine Kinder haben könne, weil sie ein Junge sei, habe sie lange geweint. Es dauerte, bis sie diese tiefe Trauer damals einordnen konnte. Denn das Gefühl, dass etwas anders sei bei ihr, habe sie schon lange in sich getragen. Sie fand "typisches Verhalten" von Buben schon immer befremdlich. Und später, in der Pubertät habe sie sich in der Sportumkleide regelrecht geekelt.

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Zu der Zeit, als sie sich in jungen Jahren so fühlte, gab es die heutigen Möglichkeiten, sich zu informieren, noch nicht. Für sie hieß es, erst mal damit leben zu müssen. Nachdem sie aufgrund von Herzproblemen in Behandlung war, stieß sie in einer Zeitschrift in der kardiologischen Praxis auf einen Artikel, der mangelndes Testosteron bei Männern als mögliche Ursache für Herzprobleme anführte. Sie bekam eine Testosteronbehandlung, die aber alles nur schlimmer machte. Erst als sie diese Hormontherapie abbrach und sich langsam dem Thema Transsexualität annäherte, begann sie zu verstehen, was los war. Sie war eine Frau.

Die Beschwerden sind weg

Nach dem Outing hatte Dorothea Zwölfer keine körperlichen Beschwerden mehr. Sie sagt, ihr Leben sei seitdem sehr viel besser. Dabei sei es für sie ein großer Meilenstein gewesen, dass sie durch Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung endlich in Worte fassen konnte, was sie immer in sich trug. Aber auch ihre Arbeit als Theologin habe sich verändert. Es hätten sich ganz neue Wege aufgetan, beispielsweise in Kooperation mit Universitäten zu treten und Themen wie Transsexualität aus der theologischen Perspektive zu behandeln. Beispielsweise finde sie, die oben zitierte Stelle aus dem Deuteronomium sei nicht wörtlich zu verstehen.

Sie berichtet jedoch auch davon, dass es nach dem Outing häufig zu Situationen kam, in denen sie diskriminiert und ausgeschlossen wurde. Sie wurde beispielsweise aus einem Gebetskreis geworfen und es wurde ihr vorgehalten, sie vertrete eine "Gender-Mainstream-Ideologie". Doch um Ideologie ging es ihr nie. Sie wollte einfach verstehen, woher ihr Leiden kam, aber niemanden bekehren. "Doch die wichtigsten Personen standen mir bei", sagt sie. Besonders ihre Frau, mit der sie nunmehr 35 Jahre verheiratet ist, habe sie unterstützt.

Raunen im Publikum

"Glauben Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind?", unterbricht ein Teilnehmer den Vortrag. "Ja!", antwortet Dorothea Zwölfer prompt. "Dann sind Sie ein Phänomen! Das ist doch für den normalen Menschen zu viel!", entgegnet der Besucher. Im Publikum geht ein Raunen umher. "Stimmt nicht! Wir finden das gut!", ruft jemand aus den hinteren Reihen. Das Publikum ist auf der Seite von Dorothea Zwölfer.

"Ich tue niemandem etwas zuleide und meine Schmerzen sind weg. Ja, ich bin auf dem richtigen Weg", betont die Pfarrerin noch einmal. "Ich habe mir das nicht ausgesucht." Sie fährt mit ihrem Vortrag fort. Noch bevor dieser endet, unterbricht der Teilnehmer erneut. Dieses Mal verabschiedet er sich höflich und verlässt den Saal.

Als die Referentin zum Ende kommt, haben Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, Fragen zu stellen. "Wie soll man sich Ihnen gegenüber am besten verhalten?", möchte jemand wissen. "Ganz normal", sagt Dorothea Zwölfer. Eine Frau meldet sich zu Wort, sie spricht der Referentin ihren Dank aus und sagt, sie bewundere ihren Mut. Sie erzählt, auch sie habe eine Tochter, obwohl diese bei der Geburt als biologisch männlich definiert worden sei. Sie erzählt, wie es für sie zu Beginn sehr schwer gewesen sei, mit der Situation umzugehen. Wie sie ihr Kind, das in einer deutschen Großstadt studierte, vom Bahnhof abholte und dabei hoffte, es würde sie niemand sehen. "Es hat sich wie ein Versteckspiel angefühlt", sagt sie.

Schräge Blicke

Auch zwei andere Teilnehmer melden sich. Sie hätten nun einen Sohn, erzählen sie. Auch sie hätten anfangs Schwierigkeiten gehabt, ihnen sei aber besonders dann ein Stein vom Herzen gefallen, als nahezu das gesamte Umfeld positiv auf die Veränderung im Leben ihres Kindes reagiert habe. Ein paar schräge Blicke habe es dennoch gegeben. Und der rechtliche und medizinische Weg habe für sie gerade erst begonnen.

Im Anschluss an die Veranstaltung möchten einige Besucher allein mit der Pfarrerin sprechen. Sie erzählt, dass dies häufiger vorkomme. Bis man nicht selbst betroffen ist, wisse man vieles eben nicht. Es herrsche eine große Verunsicherung, auch darüber, was andere denken könnten. Auf die Frage, wo sie die Kraft für all dies nehme, zitiert sie Luther: "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders!" Es sei ihr Glaube, sagt sie, der sie antreibt. Sie ist Pfarrerin aus Leidenschaft. Und jede Hilfe, die sie geben kann, gibt sie. Dafür halte sie Vorträge und dafür habe sie auch den Verein Kreuzweise-Miteinander gegründet.

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