Experimentelle Archäologie:Brauen wie in der Steinzeit

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Eine Arbeitsgruppe des Historischen Vereins probiert sich am Bierherstellen

Von Ingrid Hügenell

Die hellbraune Brühe in dem ausgehöhlten Baumstamm soll einmal Bier werden. Es ist nicht ganz leicht, sich vorzustellen, dass man das Ergebnis irgendwann trinken kann, denn in der Brühe liegen große Steine, Zweige und Beeren schwimmen herum. Aber es duftet appetitlich, nach Malz und ein bisschen auch nach Wacholderzweigen. Ulrich Bähr, Thomas Huber, Ernst Mayer und Florian Döring rühren abwechselnd in dem Trog. Die vier gehören zur Arbeitsgemeinschaft Steinzeitbier des Arbeitskreises Archäologie im Historischen Verein Fürstenfeldbruck. Die Brühe ist die Maische, die die Männer an diesem Tag angesetzt haben. Sie muss bei einer Temperatur von etwa 60 Grad lange gerührt werden, damit aus der Stärke in den Getreidekörnern Zucker wird. Den vergären Hefen zu Alkohol, und wenn alles gut läuft, ist drei Tage später aus der Brühe eine Art Bier geworden, und man kann damit anstoßen. Dann trinkt man am besten alles schnell aus, denn lagern lässt sich das Bier nicht - es würde schnell sauer.

Seit gut zwei Jahren bemüht sich die AG, mittels experimenteller Archäologie "nachzuweisen, dass man am Ende des Mesolithikums ein schmackhaftes Bier brauen konnte mit den Mitteln der Zeit", wie Bähr erklärt. Der 52-Jährige ist wie die anderen auch ein Bierliebhaber. Alle können sie ausführlich über Biere fachsimpeln, einige brauen nach modernen Verfahren selbst zuhause. Ernst Mayer ist sogar Brauingenieur. Die andern haben beruflich nichts mit Bier zu tun. Bähr ist Softwareberater, Huber Elektroniker.

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(Foto: Ingrid Hügenell)

Im großen Holztrog, einem ausgehöhlten Baumstamm, ist die Maische angesetzt. Sie wird lange gerührt.

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(Foto: Ingrid Hügenell)

Im Feuer werden die Steine erhitzt.

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(Foto: Ingrid Hügenell)

Den Läuterkorb hat eine Frau aus der Arbeitsgemeinschaft selbst geflochten, die Wacholderzweige wurden gespendet.

Ernst Mayer (links) und Ulrich Bähr schöpfen die fertige Maische in den Korb, zum Einsatz kommt eine Kasserolle aus Emaille. Dass man in der Steinzeit hölzerne Schöpfer fertigen konnte, sei bekannt, erklärt Bähr.

Bähr hatte zusammen mit Toni Drexler, dem Leiter des Arbeitskreises Archäologie, die Idee, schon vor 8000 Jahren hätten die Menschen, die in der Gegend des heutigen Haspelmoors lebten, Bier gebraut. Denn dort war ebenso alter Weizenpollen gefunden worden - die Pflanze war also dort gewachsen. "Gehandelter Weizen blüht nicht", erklärt Bähr. Zudem gab es da noch das Buch des Münchner Professors Josef Reichholf "Warum die Menschen sesshaft wurden". Darin vertrat der Evolutionsbiologe schon 2008 die These, die Menschen hätten begonnen Getreide zu züchten, um es fürs Brauen nutzen zu können. Der berauschenden Wirkung des Bieres misst er überragende Bedeutung bei. Reichholf vermutet, die Steinzeitmenschen hätten große Feste abgehalten und dafür Bier gebraucht.

Bähr und Drexler hatten also die Schnapsidee", wie Bähr sagt, auch die Steinzeitleute des Haspelmoors könnten Bier gebraut haben. Er beschloss, auszuprobieren, ob das mit den Mitteln der Mittelsteinzeit geht - also ohne Gegenstände aus Metall oder Keramik, denn beides kannten die Menschen vor 8000 Jahren in Oberbayern noch nicht. Sie hatten Werkzeuge aus Stein, Knochen und Holz, konnten auch schon flechten und weben. Und sie waren ebenso intelligent wie heutige Menschen.

Schnell fand sich die Arbeitsgruppe zusammen, die nun nach und nach alle Schritte des Brauens ausprobiert. Der wissenschaftliche Anspruch an die Experimente ist Bähr zufolge hoch. Schließlich handelt es sich um experimentelle Archäologie, es ist eine Veröffentlichung der Ergebnisse angedacht. Die Schritte sollen wiederholbar sein und werden deshalb akribisch dokumentiert. Alles wird gemessen und gewogen: Das Gewicht und die Temperatur der Steine, mit denen das Wasser im Trog erhitzt wird - 300 bis 600 Grad. Das Gewicht des Malzes - fünf Kilogramm auf 30 Liter Wasser. Der Zuckergehalt der fertig gekochten Maische, der Alkoholgehalt des Bieres und vieles mehr.

Gebraut wird nach mutmaßlicher Steinzeitart in einem ausgehöhlten Baumstamm. Zunächst wird darin Wasser aufgekocht. Dazu werfen die Experimental-Brauer Steine hinein, die sie in einem Lagerfeuer erhitzt haben. Das geht erstaunlich schnell, etwa 15 faustgroße Brocken reichen, dass es nach etwa zehn bis 15 Minuten brodelt. Dann lassen sie das Wasser wieder abkühlen, bei etwa 65 Grad geben sie das Malz hinzu.

Den Stamm haben die Fürstenfeldbrucker Steinzeitbrauer mit der Motorsäge ausgehöhlt. "Dass man so einen Trog mit Steinbeilen herstellen kann, weiß man schon. Das müssen wir nicht noch mal machen", erklärt Bähr. Denn das sei ja nicht die Fragestellung. Aus dem gleichen Grund kommen auch andere heutige Werkzeuge zum Einsatz, etwa zum Schöpfen. Dass Menschen mit Steinwerkzeugen hölzerne Schöpfer machen konnten, ist ebenfalls bekannt.

Im Holzfeuer werden Steine erhitzt, die dann die Maische zum Kochen bringen. (Foto: Ingrid Hügenell)

An diesem heißen Augusttag verwenden die Experimentalbrauer fertiges Malz, das man im Internet bestellen kann. Auf einigen Äckern im Landkreis wachsen aber drei mehr oder weniger ursprüngliche Getreidesorten: Tiroler Pfauengerste, ein russischer Hartweizen und Einkorn, ein Weizenvorläufer. Das Korn soll mit Sicheln aus Holz und Steinklingen geerntet und dann zum Keimen gebracht werden. Dann wird die Gruppe probieren, ob man auch mit diesem Malz brauen kann. Schon einmal hat Mayer selbst erfolgreich Malz hergestellt, auf eine Weise, wie es auch die Mesolithiker hätten tun können.

Beim Ausprobieren werden manche Fragestellungen gelöst, andere tauchen erst auf. So habe sich das Handling der heißen Steine als einfacher herausgestellt als gedacht, erklärt Thomas Huber, in dessen Garten im Moorenweiser Ortsteil Steinbach das jüngste Brauen stattgefunden hat. Andererseits sei es gar nicht so einfach, Kochsteine zu finden, die schön heiß werden und trotzdem nicht zerspringen oder zerbröseln, erklärt er. Man könne aber auf jedem Acker fündig werden, wenn man erst einmal wisse, wonach man Ausschau halten müsse.

Das Material liegt bereit: Feuerholz und Wachholderzweige. Die Plane ist ein modernes Zugeständnis. (Foto: Ingrid Hügenell)

Der Brauprozess ähnelt dem heutigen stark. Mälzen - Einmaischen - Läutern - die Gärung in Gang setzen, so macht man das im Prinzip immer noch. Einer der gravierendsten Unterschiede ist, dass in der Steinzeit und noch lange danach ohne Hopfen gebraut wurde. Ob die Hefepilze zufällig in die Maische gerieten oder die Menschen in der Steinzeit Beerenhefe zugaben, so wie Bähr das nun tut, weiß man nicht. "Wenn man frische Beeren zerquetscht und ein paar Tage stehen lässt, fängt die Masse spontan an zu gären", erklärt Bähr. Denn Hefen sind überall. Tatsächlich riechen die Beeren in dem Marmeladenglas, das er mitgebracht hat, schon leicht nach Alkohol. Heute verwendet man speziell gezüchtete Hefestämme, die entweder bei höheren oder niedrigeren Temperaturen gären. Ein anderer großer Unterschied ist, dass heute das Bier nach beendeter Gärung einige Wochen reift, bevor es getrunken wird. So lange war das Steinzeitbier aber sicher nicht haltbar, zumal es noch keine Kühlschränke gab.

Während heute das Brauen eine Männerdomäne ist, waren es wahrscheinlich die Steinzeit-Frauen, die das Bier brauten. So vermutet es die Gruppe. Zum einen waren sie die Sammlerinnen, also für das Getreide zuständig, während die Männer auf die Jagd gingen. Und auch in der germanischen Tradition hätten die Frauen gebraut, sagt Bähr. Er holt sich aus dieser Tradition, die rund um die Ostsee und in Kärnten noch lebendig ist, immer wieder Inspiration. Deshalb blubbern im Trog diesmal auch Wacholderzweige. Die seien viel genutzt worden, weiß Bähr. Vielleicht wirken sie keimhemmend.

Die kochende Maische muss gut gerührt werden. (Foto: Ingrid Hügenell)

Eines jedenfalls ist klar: "Der Aufwand ist immens - er war auch damals immens", sagt Bähr. Allein das Einbrauen dauert gut einen halben Tag. Man muss aber auch den Trog bauen, immer wieder neue Steine sammeln, genug Holz fürs Feuer bereithalten. Ganz zu schweigen davon, dass das Getreide gepflanzt, während des Wachstums betreut, geerntet und zum Malz gemacht werden muss. Das Malz muss dann geschrotet werden, von Hand - eine langwierige und schweißtreibende Arbeit, wie Thomas Huber weiß, der sich daran schon versucht hat.

Wenn man im Frühjahr sät, im Sommer erntet, die einmonatige Keimruhe einhält, dann mälzt und braut, ist das Bier nach Bährs Rechnung im Herbst fertig - zu der Zeit, zu der heute Erntedank gefeiert wird. Dann, so die Theorie, konnten auch die Mesolithiker feiern. "Ein Herbstfest", sagt Bähr. "Es ist ein Oktoberfestbier."

Was dabei getrunken wurde, war warm und eher lack, es enthielt wenig Kohlendioxid und schäumte kaum, und es war mit größter Wahrscheinlichkeit nicht gehopft. Vermutlich ging das Brauen auch manchmal schief. Der Sud mit der Beerenhefe beispielsweise begann nicht richtig zu gären. Bähr setzte Trockenhefe zu. Sechs Tage nach dem Einbrauen probieren die Steinzeitbrauer das Ergebnis. Es hat eine schöne Bernsteinfarbe, schäumt aber gar nicht und hat auch keine Kohlensäure. Es riecht fruchtig. Aussehen und Geruch sind aber schon das Beste an dem Getränk, das nicht wirklich Bier ist, auch wenn es 5,4 Volumen-Prozent Alkohol enthält.

Bähr verzieht den Mund. Ihm schmeckt das fertige Produkt nicht. Dabei fand er die Würze "spektakulär lecker". Jetzt aber ist das Getränk ziemlich sauer. Fritz Aneder vom Historischen Verein schmeckt bei der Verkostung Rhabarberschorle, andere entdecken Grapefruit-Aromen, Mayer eher rote Früchte. Die Gesamtnote: eine gute Vier.

Bährs Fazit: "Ein interessantes Experiment, wenn auch nicht zur Gänze gelungen. Die Beerenhefe hat's verdorben."

Sollten die Haspelmoor-Bewohner der Mittelsteinzeit wirklich gebraut haben, wird ihnen der Geschmack nach den ersten Halben aber egal gewesen sein. Denn ihnen ging es ja vermutlich in erster Linie um den Rausch. Ob sie wirklich Bier hergestellt haben, wird man vermutlich nie wissen. Das wissen auch Bähr und die Steinzeitbrauer-Gruppe. Aber ihre Experimente haben gezeigt, dass es möglich war. Und manches Gebräu sei tatsächlich sehr trinkbar gewesen, erzählen sie.

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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