Esting:Auf der Pirsch ohne Gewehr

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Christian Veitweber muss als Jäger nicht nur Tiere erlegen. Seine Aufgaben in Wald und Flur reichen viel weiter

Von Franziska Schmitt, Esting

Es dämmert bereits, als die ersten Rehe aus dem schützenden Dickicht heraustreten. Christian Veitweber nimmt das Fernrohr: Drei trächtige Geißen, so heißen die älteren weiblichen Rehe. Sie machen sich über das saftige Gras her. Ein paar Minuten später gesellt sich ein Bock zu ihnen. "Drei Jahre alt", vermutet Veitweber. Das könne man am Wuchs des Geweihs sehen. Durch Vogelgezwitscher und Autolärm hallt der Ruf eines Kuckucks. "Der Erste, den ich in diesem Jahr höre", sagt Veitweber, der sich bereits gesorgt hat, dass diese Vogelart aus seinem Revier verschwunden ist.

Schon von klein auf begleitete Christian Veitweber seinen Vater in die Natur. Die Jagd hat in seiner Familie Tradition. "Ich bin Jäger in vierter Generation", sagt er. Im Alter von 16 Jahren machte er seinen Jugendjagdschein. Doch eigentlich schaut er die Tiere lieber an. "Die Jagd macht nur einen winzigen Teil des Aufgabenbereichs eines Jägers aus. Meine wichtigste Aufgabe ist es, für Ruhe zu sorgen", erklärt er. Als gelernter Tischler arbeitet er in einer Möbelfirma in Maisach Vollzeit, seiner Liebe zur Natur geht der 50-jährige Familienvater in der Freizeit nach. Seit sieben Jahren ist er Pächter eines gut 370 Hektar großen Reviers, das sich von Geiselbullach über Esting Richtung Fliegerhorst Fürstenfeldbruck erstreckt. Morgens und abends dreht er hier seine Runden.

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Der erste Zwischenstopp: ein kleiner Weiher. Mit lautem "Bäp, Bäp, Bäp" lockt Veitweber die Enten an und wirft Brotstücke in hohem Bogen ins Wasser. Schon kurz danach wird die Wasseroberfläche von den herbeischwimmenden Enten bewegt. Er zählt die männlichen Stockenten, gut erkennbar an ihren dunkelgrünen, schimmernden Köpfen. "Es sind zu viele", sagt er und erklärt, dass es wichtig sei, sie zu bejagen, denn er habe schon gesehen, wie drei Erpel sich auf eine Entendame gestürzt hätten und sie am Schluss ertränkten. Am Rande des Gewässers sind drei Röhren aufgestellt, die aus Hasendraht geformt und mit Stroh ausgekleidet sind. "Das sind Brutstätten für Entenvögel, die wir gebaut haben", sagt Veitweber. Mit "wir" meint er sich und die anderen Jäger, die ihm bei der Revierpflege und Jagd helfen. Doch eigentlich ist er zum Wasserholen gekommen. Er möchte heute zwei Apfelbäume pflanzen. Mit gefülltem Kanister geht es weiter.

Brot für die Enten hat Christian Veitweber mitgebracht. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ohne Eile, teils im Schritttempo, fährt der Jäger die Feldwege ab, sichtet einen Feldhasen und da gleich noch einen. In der nächsten Kurve hält er, zückt das Fernglas, deutet auf einen hellen rundlichen Fleck: ein Rebhuhn. Anderswo bemühe man sich um einen Bestand, sagt er. Auch in seinem Revier seien Rebhühner verschwunden gewesen, doch eine kleine Population habe sich von selbst wieder aufbauen können. Grund dafür sei die Dezimierung der Rabenkrähen. Ungefähr hundert davon - nicht zu verwechseln anhand des Flugbilds und des grauen Schnabels mit den Saatkrähen - werden in seinem Revier jedes Jahr geschossen. Natürliche Fressfeinde der Rabenkrähen, Greifvögel wie Habichte, gebe es derzeit noch zu wenige. Ihre Population sei gewachsen, sagt er.

Nächste Station: ein großes weißes Gebäude zwischen den Feldern nahe Esting. Veitweber zeigt nach oben. Unter dem Giebel hängt ein Holzkasten mit rundem Schlupfloch in der Größe eines Getränkekastens. "Den habe ich mit einem Landwirt zusammen gebaut," sagt er. Ursprünglich sei er für Schleiereulen gedacht gewesen, die von dem Besitzer des Gebäudes gesichtet worden seien. Genutzt wird der Unterschlupf jedoch seit mehreren Jahren von Turmfalken. Der Platz ist außerdem eine Lagerstelle von Futtermitteln der Jägergemeinschaft. Quer verteilt in seinem Revier auf Feldern und in Böschungen am Waldrand stehen Futterspender, Wassertröge und Salzsteine. Im Frühjahr mische er dem Getreide "Kükenstarter", wie sie in der Vogelaufzucht verwendet werden, bei, sagt Veitweber und erklärt, dass mit dem Rückgang der Insekten besonders für Jungvögel eine wichtige Proteinquelle verloren gehe. Deshalb sei eine Zufütterung notwendig. Die Salzsteine liefern wiederum wichtige Mineralien für den Fellwechsel von Rehen im Frühjahr und Herbst. An Feldern hat er in Absprache mit Landwirten "Hasenapotheken" angelegt. Damit gemeint sind Saatmischungen aus verschiedenen Heilkräutern wie Huflattich, Wiesensalbei, Kamille und Schafgarbe. Hier könnten sich die Hasen selber behandeln, etwa gegen die Hasenpest, erklärt er.

Der Jäger teilt gerne sein Wissen über die Natur, das er sich durch tägliches Beobachten über Jahre hinweg angeeignet hat. Wenn es um die Jagd geht, wird er jedoch zurückhaltender. Nicht nur einmal wurde er für diese Tätigkeit als "Mörder" bezeichnet, erzählt er: "Die Jagd ist für mich angewandter Naturschutz" und dann in erster Linie "eine emotionale Sache." Dabei denkt er an einen Bock, den er im vergangenen Jahr erlegte. Fünf Jahre sei er ihm immer wieder begegnet, und er habe sich gefreut, ihn zu sehen, sagt Veitweber. Am Ende aber müsse Platz für den Nachwuchs geschaffen werden und Abschusslisten seien einzuhalten. Wie viele Exemplare welcher Tierart in einem Gebiet erlegt werden sollen, legt das Landratsamt fest, bei Rehen auf Grundlage eines Verbissgutachtens. Hierzu werden die angefressenen Triebe im Verhältnis zur Fläche gesetzt betrachtet. Warum er sich für diesen Rehbock entschieden hat? Er sei in die Jahre gekommen, habe Geißen mit seinem Geweih drangsaliert, erläutert Veitweber.

Christian Veitweber. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ebenso gehöre es mit dazu, Tiere zu retten. Einmal habe er zwei Tage ein Kitz gesucht, nachdem ein Muttertier überfahren worden war. Spätabends rief ihn dann ein Landwirt, weil er ein Fiepsen gehört habe. "Das war der Ruf des Kitzes nach seiner Mutter." Ein paar Stunden später - und das Kitz hätte nicht überlebt. Doch nicht jedem Jungtier kann er helfen. Am vorigen Wochenende habe er drei überfahrene Feldhasen gefunden. Einer von ihnen war eine Häsin. "Da hat mir das Herz geblutet", bekennt Veitweber. Trotzdem sei es eben auch seine Aufgabe, durch Jagd dort einzugreifen, wo sich die Natur nicht mehr selbst reguliere. Das sei wichtig, um die Artenvielfalt zu erhalten.

Angekommen am Zielort: ein kleiner Hügel neben einem Misthaufen, dahinter eine Wiese, an die ein Wäldchen angrenzt. Im Vorjahr hat Christian Veitweber hier bereits Brombeeren gepflanzt. Mit wenigen gezielten Spatenhieben gräbt er zwei Löcher. "Nun tun wir was für die Bienen und fürs Wild", sagt er, während er die kleinen Bäumchen aus dem Topf holt und sie in die Löcher hebt. Mit Erde auffüllen, festtreten und zum Schluss angießen. In Zukunft sollen sie eine nachhaltige Futterquelle für Tiere und Insekten sein. Nach getaner Arbeit macht er sich wieder auf den Weg. Bevor er nach Hause fährt, hält er noch ein letztes Mal.

Äste kratzen über das Wellblechdach des Hochsitzes. Veitweber hat heute kein Gewehr dabei, auch wenn laut Abschussplan noch 16 Rehe erlegt werden müssen. "Zwei sind schon überfahren worden", sagt er, also nur noch 14. Die drei trächtigen Geißen haben sich im Gras abgelegt, um zu verdauen. Das sei wichtig, damit möglichst viele Nährstoffe aus der Nahrung aufgenommen werden, sagt der Jäger. Seiner Einschätzung nach werden sie Ende Mai bis Anfang Juni ihre Kitze zur Welt bringen werden. Noch einmal streift sein Blick über das Feld. "Jäger zu sein ist eine Passion," sagt er. Im nächsten Augenblick sind die Rehe wieder im angrenzenden Wäldchen verschwunden. Für ihn der richtige Moment, ohne die Tiere zu stören, den Hochsitz zu verlassen.

© SZ vom 29.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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