Eichenau:Eine Rebellin von Kind auf

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Uta Titze-Stecher feiert daheim in Eichenau ihren 80. Geburtstag. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Uta Titze-Stecher wird nicht müde, für die Demokratie zu streiten und gegen das Vergessen anzugehen. Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete feiert ihren 80. Geburtstag.

Von Gerhard Eisenkolb, Eichenau

Die "Schwarzen" waren für die Sozialdemokratin und ehemalige Bundestagsabgeordnete Uta Titze-Stecher, die an diesem Mittwoch in Eichenau den 80. Geburtstag feiert, immer ein rotes Tuch. Deshalb ist es ihr im Haushaltsausschuss des Bundestags, den sie als dessen Königsausschuss bezeichnet, sowie im Parlament nicht leichtgefallen, das zu tun, worauf es in der Politik letztlich ankommt: Kompromisse zu finden und sich mit CDU und CSU zu einigen. Nach zwölf Jahren im Parlament hatte sie die Nase voll von diesen Deals und der damit verbundenen "Heuchelei". Mit solchen Hinweisen begründet sie ihren Verzicht auf eine vierte Kandidatur im Jahr 2002. Auch das Angebot, stattdessen Vizepräsidentin des Bundesrechnungshofes zu werden, lehnte sie damals ab. Sie wollte Versäumtes nachholen: Reisen, Freundschaften pflegen wie die mit dem ehemaligen und inzwischen verstorbenen KZ-Häftling Max Mannheimer, sich um ihren zweiten Mann und die Familie kümmern oder einfach nur den Ruhestand genießen.

Die kleine Episode zur Heuchelei ist so etwas wie ein Schlüssel, mit dem sich der Charakter und die zwei Seiten der streitbaren und selbstbewussten Politikerin erklären lassen. Bis sie sich aus der Politik zurückzog und als Ehrenvorsitzende der Landkreis-SPD auf die Rolle der Ratgeberin beschränkte, vertrat sie ihre Ansichten und sozialdemokratischen Grundpositionen immer kämpferisch und prinzipientreu, auch bei ihren Auseinandersetzungen mit sozialdemokratischen Führungskräften. Sie war rebellisch und bevorzugte ein offenes Wort, tat das aber auf freundliche Weise. Damit verschaffte sie sich Respekt, gab der SPD ein Profil und wuchs in die Rolle von deren Galionsfigur im Landkreis hinein.

Als Titze-Stecher 1990 in den Bundestag einzog, war die Fürstenfeldbrucker SPD so weiblich wie nie zuvor und danach. Ihre Partei stellte mit Rosemarie Grützner die Landrätin, mit Eva-Maria Schumacher in der Kreisstadt die Bürgermeisterin und zudem noch zwei Landtagsabgeordnete. Der Landkreis hatte damals deutschlandweit den Ruf, mit fünf Frauen in allen politischen Spitzenpositionen eine weibliche rote Hochburg zu sein. Die Phase der Euphorie währte jedoch nicht lang. Auch weil die fünf SPD-Frauen Einzelkämpferinnen blieben, kein gemeinsames Narrativ entwickelten und der Landkreis blieb, was er immer war: konservativ.

1942 in Posen im heutigen Polen geboren, ist sie ein Kriegskind mit einem schweren Start ins Leben. Ihre schwangere Mutter floh allein mit ihr im Kinderwagen und einer weiteren Tochter an der Hand vor der Sowjetarmee. Das Schicksal ihres an der Front gebliebenen und seither vermissten Vaters ist noch immer ungeklärt. Die spätere Abgeordnete wuchs bei einer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter und Kriegerwitwe auf, die drei Töchter großziehen musste und es schaffte, allen ein Studium zu ermöglichen. Der heranwachsenden Uta vermittelte die Mutter, die eine Bibliothek leitete, das Interesse an Politik. Sie nahm das Kind mit zu politischen Kundgebungen mit Adenauer und Brandt. Zu Hause waren Qualitätszeitungen und politische Magazine so etwas wie eine Pflichtlektüre. Das Rebellische übernahm sie von ihrer Mutter. Zu ihrer feministischen Prägung trug Alice Schwarzer bei, die sie schätzt.

Der Aufbau der KZ-Gedenkstätte Dachau liegt Uta Titze-Stecher besonders am Herzen. Das Foto entstand 2005 bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des Lagers. (Foto: Stefan Salger)

Bevor sie in den Landkreis Fürstenfeldbruck zog, gestaltete sie in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit im Landkreis und zwölf Jahre lang als Gemeinderätin in Karlsfeld Politik mit. Die Sonderpädagogin trat 1971 der SPD bei. Sie war vier Jahre lang Sprecherin der Jungsozialisten. Das Haus, in dem sie in dieser Zeit mit ihrem 1979 tödlich verunglückten ersten Mann in Karlsfeld lebte, war jahrelang das Hauptquartier der linken, innerparteilichen Opposition. Diese mischte die SPD im damaligen Unterbezirk Amper-Lech mit den Landkreisen Dachau, Fürstenfeldbruck und Landsberg nach Art der widerspenstigen Jungsozialisten bei den damaligen Flügelkämpfen gehörig auf. Sie gehörte später dem oberbayerischen SPD-Bezirksvorstand an und saß bis 1996 im Landesvorstand.

Besonders am Herzen lag ihr die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und hier insbesondere der Aufbau der KZ-Gedenkstätte in Dachau. Dieses Engagement begründet sie damit, zeit ihres Lebens gegen Rechtsextremismus zu sein. Als Lehrerin habe sie nicht toleriert, dass Schüler mit Springerstiefeln zum Unterricht kamen. So wirkte sie als Autorin mit ihrem zweiten Mann, dem pensionierten Stabsoffizier Peter Stecher, unter anderem an dem von Norbert Göttler herausgegebenen Buch "Nach der ,Stunde null' - Stadt und Landkreis Dachau 1945 bis 1949" mit.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse überreicht Uta Titze-Stecher im Juli 2002 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, das ihr Bundespräsident Johannes Rau verliehen hatte. (Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)

Auch im Ruhestand ist sie sich treu geblieben. Als sich ihre ehemalige Kontrahentin Gerda Hasselfeldt im Bundestagswahlkreis Dachau/Fürstenfeldbruck aus der Politik zurückzog, stimmte sie nicht in die Lobeshymnen auf die CSU-Spitzenpolitikerin mit ein. "Ich habe sie als Sprachrohr der CSU empfunden, da stand von Bewunderung nichts an", sagte sie. Um noch zu ergänzen: "Wir haben uns nicht besonders gut vertragen." Tagespolitik interessiert sie nach wie vor brennend. "Katar ist zum Kotzen", findet sie, weil das Land die Vizepräsidentin des Europaparlaments mit unlauteren Mitteln beeinflussen wollte. Trotzdem genoss sie es mit ihrem Mann, während der Weltmeisterschaften die Spiele im Fernsehen zu verfolgen. Das nicht zu tun, wäre für sie ein zu großes Opfer gewesen.

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