SZ-Adventskalender:Orientalisches Handwerk

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Nach einer lebensgefährlichen Flucht aus seiner Heimat lebt Hasan Khalil inzwischen in Eichenau als anerkannter Asylbewerber. (Foto: Günther Reger)

Der Syrer Hasan Khalil entfernt lästigen Haarwuchs im Gesicht mit einem Faden. Die traditionelle Technik seiner Heimat bietet der Friseur am Dienstag in einem Eichenauer Salon an. Den Erlös spendet der anerkannte Asylbewerber unter anderem dem SZ-Adventskalender

Von Anna Landefeld-Haamann, Eichenau

Erinnerungen an seine Heimat Syrien trägt Hasan Khalil immer bei sich. In Form von Fotos und Videoaufnahmen hat sie der 44-Jährige auf seinem Handy gespeichert. Eine dieser Erinnerungen ist knapp eine Minute lang und verwackelt: Es sind die letzten Eindrücke von Khalils Barbiersalon in Syrien. Sie zeigen eine weiße Steintreppe, die von einer staubigen Straße hinauf in den ersten Stock führt. Dort sieht man einen komplett eingerichteten Salon mit Frisierstühlen, Spiegeln und Waschbecken. Alles wirkt so, als mache hier jemand nur kurz Mittagspause. Dabei ist der Salon seit mehr als einem Jahr geschlossen.

"Meine Kunden kamen sogar aus der Ferne - Schauspieler, Offiziere, Angehörige des Assad-Clans", erzählt Khalil. Neben einem guten Haarschnitt sei für syrische Männer eine gepflegte Gesichtsbehaarung wichtig - von den Augenbrauen, Nasenhaaren bis zum Bart. Diese werden nicht rasiert, sondern mit einem Faden zurechtgezupft. Mit einem schnellen Ruck wird das Haar samt der Wurzel ausgerissen. Diese Technik gilt als ein wirksames Mittel, um lästigen Haarwuchs dauerhaft loszuwerden.

Seine Fertigkeiten zeigt Hasan Khalil am kommenden Dienstag, 22. Dezember, in einem Eichenauer Friseursalon. "Ich habe so viel Gutes erfahren. Ich möchte auch etwas zurückgeben", sagt Khalil. Die Einnahmen kommen zu je einem Drittel dem Asylhelferkreis Eichenau, dem Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung und einem weiteren Spendenwerk zugute.

Seit dem 3. Februar dieses Jahres lebt der syrische Barbier in der Asylunterkunft im Eichenauer Schreberweg. "In Syrien hatte ich die Wahl: Entweder getötet zu werden oder selbst zu töten. Beides ist falsch." Seine Brüder kämpften auf Seiten der Regierungsarmee, seine Cousins auf Seiten der Rebellen. Mehr als zehn Monate haderte er mit sich. In dieser Zeit starben sein Neffe und sein Bruder. Schließlich entschied er sich für Flucht. Für 8000 Dollar verkaufte er sein Haus, Frau und seine drei Kinder wollte er so schnell wie möglich nachholen. In seiner Vorstellung sei alles so einfach gewesen: Mit dem Flugzeug in die Türkei, von da aus weiter nach Deutschland. 15 Tage hatte er dafür eingeplant. Dass seine Flucht dann aber zwei Monate und zehn Tage dauern und ihn an seine seelischen und körperlichen Belastungsgrenzen bringen würde, daran habe er nie gedacht. "Ich bin unterwegs gestorben - mehrmals", erzählt Khalil.

Bereits am zweiten Tag seiner Flucht saß er in Istanbul fest. Über drei Wochen hauste er zusammen mit vier weiteren Flüchtlingen in einer Wohnung in der Nähe des Taxim Platzes. Der einzige direkte Weg nach Europa führte mit einem Boot über das Mittelmeer. 12 000 Euro sollte die Überfahrt nach Italien kosten - zu viel. "Es wäre natürlich Wahnsinn gewesen, aber ich hätte es gewagt. Wer vor dem Tod flüchtet, der versucht alles." Er entschied sich für die Route über Nordafrika. Khalil holt sein Handy hervor und zeigt die Facebook-Seiten, auf denen verschiedene Fluchtwege beschrieben werden. Die Seiten tragen Namen wie "Flucht vor dem Tod in den Tod" oder "Errettet uns". Auch Adressen und Telefonnummern von Schleusern kann man dort finden. "Dann muss man verhandeln, sich auf den geeigneten Zeitpunkt und das Geld einigen. Jeder Schritt kostet", sagt Khalil.

Es gebe Schleuser, die einfach nur verdienen wollen. Das seien die meisten. Die anderen nennt Khalil "Seelenverkäufer". "Das sind die, die mehr wollen, als nur dein Geld." An solche geriet er an der tunesisch-libyschen Grenze. Sichtlich schwer fällt es ihm, über die Erlebnisse dort zu sprechen. Darüber, wie er zwei Stunden in der Wüste ohne Wasser schmorte, wie er sich auf einer Autofahrt einen Wirbel brach, wie die Schleuser auf ihn schossen, ihn in einem verlassenen Haus ausraubten und ohne Kleidung zurückließen. 1000 Dollar blieben ihm. Er hatte sie in den Riemen seiner Schuhe versteckt und darum gefleht, sie anbehalten zu dürfen. 'Ich bin in Gottes Hand.' Diese Koransure hat Khalil in dieser Zeit immer wieder gebetet.

Angekommen in Deutschland, habe er sich zwar von Anfang an sicher, aber sehr isoliert gefühlt. Das ehemalige Asylbewerberheim am Moosfeld in München sei sehr abgelegen gewesen. "Ich habe lange nichts von Deutschland gesehen, keinen Kontakt zu Deutschen gehabt. Es ist, als ob ich für drei Monate weggesperrt wurde", erzählt er. In Eichenau sei es besser. Aber auch hier habe er oft das Gefühl, dass die Menschen ihn misstrauisch beäugen und Angst hätten. "Vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht oder haben ein schlechtes Bild vom Islam", mutmaßt Khalil. Nur durch persönliche Begegnungen und Berührungen könne man Vorurteile abbauen.

Seit vier Monaten ist er anerkannter Flüchtling. Das sei eine Erleichterung, habe auch neue Probleme geschaffen. So hätte er bis zum 11. Dezember die Unterkunft im Schreberweg verlassen müssen. "Ich bleibe erst einmal. Wie es weitergeht, weiß ich nicht." Im Mai nächsten Jahres soll seine Familie nach Deutschland kommen. Er hofft, dass er bis dahin Wohnung und Arbeit gefunden hat. Er wolle niemandem zur Last fallen.

Hasan Khalil stellt seine Fadentechnik unter Beweis am Dienstag, 22. Dezember, von 8 bis 12 Uhr im Salon Steininger in der Bahnhofsstraße 1 in Eichenau. Anmeldungen sind unter der Telefonnummer 08141/71 394 möglich.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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