Lesenswert:Zwischen den Zeiten

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"Das andere Tal" von Scott Alexander Howard, Diogenes Verlag, 25 Euro. (Foto: Nicola Bräunling)

In ihrer Buchkolumne stellt Nicola Bräunling den Roman "Das andere Tal" von Scott Alexander Howard vor - eine düstere und doch berührende Zukunftsvision.

Kolumne von Nicola Bräunling

Was mir neben der furchtbar erschreckenden weltpolitischen Lage im Moment viele Gedanken und große Sorge macht, ist die KI, die Künstliche Intelligenz, und die damit einher gehende Möglichkeit, Menschen zu beherrschen und zu steuern. Mit jedem Klick, mit jedem Tastendruck auf unseren Geräten schicken wir persönliche Informationen in die Welt, die gnadenlos und unkontrolliert verwendet werden. "1984" ist längst keine Utopie mehr, Informationen, Fotos und Nachrichten müssen genau auf Echtheit und Wahrheitsgehalt überprüft werden und der kompletten Überwachung steht nicht mehr viel entgegen.

Vor diesem Hintergrund mit all seinen technischen Möglichkeiten hat Scott Alexander Howard seinen hervorragend konstruierten Roman "Das andere Tal" geschrieben. Irgendeine Zeit in irgendeinem Land. Nebeneinander liegen mehrere Täler mit je einem Ort, in dem so ziemlich jeder jeden kennt. Mit Bergen, einem großen See und einem unüberwindbaren Zaun drumherum. Alle Orte sind absolut identisch und es leben im Prinzip dieselben Personen, dieselben Familien dort. Aber, die Orte sind durch jeweils 20 Jahre getrennt. Sie sind Vergangenheit oder Zukunft - je nach Sichtweise. Wanderungen zwischen den Welten sind absolut untersagt und werden mit brutaler Härte von den Regierungen verhindert. Einzige Ausnahmen: Antragstellenden wird es eventuell erlaubt, einen Blick auf verstorbene Angehörige zu werfen, um Frieden zu finden. Dies aber nur unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen, anonym und in Begleitung von unerbittlicher Gendarmerie.

Im Mittelpunkt des Romans steht Odile Ozette, ein 16-jähriges, blitzgescheites Mädchen, das den Tod ihres Freundes verhindern könnte, weil sie die Zukunft gesehen hat. Man setzt sie aber so unter Druck, dass sie schweigt. Zwanzig Jahre und viele bitte Erfahrungen später holt sie die Vergangenheit ein und vielleicht kann sie den vermeintlichen Fehler von damals korrigieren.

Nach der Hälfte des Buches dachte ich, es wäre eigentlich fast zu Ende erzählt, aber dann nahm es nochmals gewaltig Fahrt auf. Man fiebert und leidet mit Odile, fühlt oftmals Beklemmung und manchmal verknotet sich das Hirn ob des zeitlichen Hin und Hers. Der Autor sagt, er hat sich von Erpenbecks "Aller Tage Abend" inspirieren lassen. Zusätzlich erinnert es mich an "Die Anomalie". Beide Bücher haben mich ebenfalls sehr beeindruckt. Ein ganz, ganz großes Erstlingswerk. Hoffentlich schreibt der Autor mehr derartige Bücher.

Nicola Bräunling ist Inhaberin der Buchhandlung Bräunling in Puchheim. Regelmäßig stellt sie im Wechsel mit Katrin Schmidt und Helen Hoff von der Buchhandlung Lesezeichen in Germering ihr aktuelles Lieblingsbuch vor.

Der Laden von Nicola Bräunling ist als "Bayerns Buchhandlung des Jahres 2021" ausgezeichnet worden. (Foto: Nicola Bräunling)
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