Gesundheit:Ärzte klagen über Mangel an Medikamenten

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Die Ärzte Hermann Schubert (links) und Emanuel Nies (rechts) und die Fachapothekerin Claudia von Sachs klären in einer Pressekonferenz über den Lieferengpass bei Antibiotika auf. (Foto: Leonhard Simon)

Vor allem Antibiotika sind rar auf dem Markt. Eine Fürstenfeldbrucker Initiative warnt vor den Folgen für die Patienten.

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Dass bestimmte Dinge auf dem Markt nicht verfügbar sind, war bis zu den Pandemiejahren oder dem Krieg in der Ukraine für die meisten Menschen nicht als einschneidendes Phänomen wahrnehmbar. Seither mehren sich Lieferschwierigkeiten in den unterschiedlichsten Branchen. Längst auch bei wichtigen Medikamenten. Betroffen sind vor allem Antibiotika. Auf das Problem und seine Auswirkungen macht deshalb die Brucker Antibiotika-Resistenz-Initiative (Bari) jetzt aufmerksam.

"Lieferengpässe bei Medikamenten beeinträchtigen die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung", sagt Hermann Schubert, Leitender Oberarzt der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin im Klinikum Fürstenfeldbruck sowie dessen Hygiene- und Pandemiebeauftragter. Vor vier Jahren hatte Schubert die Idee zur Gründung der Initiative. Deren Ziel: Antibiotika gezielt einsetzen und unnötige Verschreibungen reduzieren.

Die Erfindung des Antibiotikums war und ist ein Segen in der Medizin. Es hilft dem Abwehrsystem des Körpers, krankmachende Bakterien zu bekämpfen. Es hilft allerdings nicht bei Erkältungskrankheiten oder einer Grippe, denn diese werden von Viren ausgelöst. Viele Patienten kennen diesen Unterschied nicht. Werden Antibiotika jedoch zu häufig verschrieben und eingenommen und nicht punktgenau genug eingesetzt, erhöht sich das Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln und die Antibiotika daraufhin weniger wirksam sind.

Die Mediziner müssen auf Alternativen zurückgreifen, die nicht die erste Wahl sind

Gleichwohl bleiben sie enorm wichtig, und ihre Nichtverfügbarkeit stellt die Ärzte vor das Problem, auf ein Ersatzprodukt zurückgreifen zu müssen, das im speziellen Fall eben nicht die erste Wahl ist und damit die Therapie für den Patienten nicht mehr die optimale. "Wenn ich die zweite Wahl verwenden muss, dann ist das eine qualitative Verschlechterung", weiß Schubert. Denn dann hat der Arzt nur die Option, statt des nicht lieferbaren ein anderes Antibiotikum zu geben, das für den Patienten aber möglicherweise "zu breit angelegt ist, Nebenwirkungen hat und zusätzliche Resistenzen generiert".

Laut dem Allgemeinmediziner Emanuel Nies, der in Mammendorf eine Praxis betreibt, fehlen "Standardantibiotika" wie Penicillin- oder Amoxicillinsäfte, die gegen Streptokokkeninfektionen oder Mittelohrentzündungen zum Einsatz kämen, aber auch Fiebersäfte für Kinder. Nies macht den Medikamentenmangel an einem weiteren Beispiel deutlich: Der Wirkstoff Tamoxifen, der bei der Behandlung von Brustkrebs eingesetzt wird, sei lange Zeit überhaupt nicht lieferbar gewesen. "Da waren betroffene Frauen regelrecht verzweifelt." Ein weiteres Beispiel: Betablocker für Patienten mit Herzinsuffizienz sind nicht in allen Stärken vorhanden. In einem solchen Fall wählt der Arzt laut Nies eine andere verfügbare Variante und muss dem Patienten gleichzeitig zumuten, eine Tablette nicht nur zu halbieren, sondern sogar zu vierteln, was sich gerade für ältere Patienten als äußerst schwierig erweise.

Patienten kämen oft aus der Apotheke in die Praxis zurück mit der Mitteilung, dass das soeben verordnete Rezept nicht einlösbar sei, weil das Medikament nicht lieferbar sei, erzählt Nies. Er empfehle den Patienten dann, es bei einer anderen Apotheke zu versuchen, weil die eventuell andere Lieferanten hat. "Die Patienten sind schon verunsichert", sagt Nies.

Was sind die Gründe für diese Lieferschwierigkeiten? Einmal seien es die Wirkstoffe selbst, die nicht lieferbar sind, dann fehle es bisweilen am nötigen Zubehör wie etwa kleinen Fläschchen zum Abfüllen, erläutert Claudia von Sachs, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und Allgemeinpharmazie. Als Leiterin der Klinikversorgung der Johannes-Apotheke in Gröbenzell kümmert sie sich um die Beschaffung von Medikamenten für insgesamt 28 Kliniken in der ganzen Region, darunter das Klinikum in Fürstenfeldbruck. Auch die Tatsache, dass die meisten Medikamente in Asien hergestellt werden, mache die Beschaffung für europäische Länder nicht einfacher, sagt sie. Zudem schreite die Konzentration auf dem Markt fort, von bestimmten Wirkstoffen gebe es nur wenige Anbieter. "Vieles federn wir ab, und irgendetwas kriegen wir dann schon. Aber es kostet dann eventuell mehr." Vollständige "Lieferabrisse" seien zwar selten, das Problem aber ist für den Medizinsektor auch kein ganz neues, sondern besteht bereits seit einigen Jahren und hat sich verschärft.

Auf fünf Din-A-4-Seiten sind die derzeit nicht lieferbaren Medikamente aufgelistet

Hermann Schubert zeigt eine Liste: Auf fünf Din-A-4-Seiten stehen die Namen von derzeit nicht lieferbaren gut 90 Medikamenten sowie Alternativempfehlungen. Die Liste wird laufend aktualisiert - und verlängert. Für die Johannes-Apotheke, die die Liste herausgibt, ist es ein gehöriger Zusatzaufwand. Es sei schwierig, dem Problem beizukommen, sagt Schubert. Sinnvoll könnte deshalb sein, die Produktion wieder ins Land zurückzuholen: "Da muss in den Markt eingegriffen werden. Es handelt sich um eine Basisversorgung, wie etwa auch beim Trinkwasser. Das kann man auch nicht aus der Hand geben." Claudia von Sachs ist der Ansicht, dass sich das Problem nur lösen lässt, wenn es den Krankenkassen nicht mehr erlaubt wird, Rabattverträge mit einzelnen Herstellern abzuschließen.

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