Ausstellung:Mehr als nur ein Hobby

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Auf den Fürstenfelder Modellbautagen sind wieder großartige detailverliebter Miniaturen zu bestaunen

Von Marija Barišić, Fürstenfeldbruck

Wolfgang Gerlich hält eine Fernsteuerung in seinen Händen und spaziert gemütlich durch das Veranstaltungsforum in Fürstenfeldbruck. Wo auch immer er kurz stehen bleibt, um Bekannte zu begrüßen, beginnen sich sechs- bis zehnjährige Kinder um ihn herumzutummeln und ihren Eltern laut "Schau mal!" zuzurufen. Dabei ist es gar nicht Gerlich, der die kleinen Sprösslinge so begeistert, sondern viel mehr der etwa fünfzig Zentimeter große Lastwagen, der langsam hinter ihm herfährt. Bei dem 2,50 Meter langen Fahrzeug mit seinen drei grauen Anhängern und der lila Fahrerkabine handelt es sich allerdings um keinen echten Wagen, sondern, und das ist eigentlich das Faszinierende daran: um ein selbstgebautes Modell.

Etwa zwei Monate und acht Stunden pro Tag braucht Gerlich im Schnitt, um so ein Modell zu bauen. Am Wochenende ist der gebürtige Münchener ins Veranstaltungsforum gekommen, um seine Modelle bei den sechsten Fürstenfelder Modellbautagen zu präsentieren. Damit ist Gerlich nicht alleine. Etwa 300 leidenschaftliche Modellbauer, die meisten aus Deutschland, einige sogar aus Frankreich oder Italien, haben ihre Bauwerke im Veranstaltungsforum ausgestellt. Dabei waren den Ausstellern keine Grenzen gesetzt oder, um es mit Veranstalter Hermann Unverdorben zu sagen: "Es gibt eigentlich nichts, was es hier nicht auch als Modell gibt." Und das stimmt. Die etwa 2000 Besucher können an diesem Wochenende nicht nur Mini-Lastwägen, sondern auch nachgebaute Busse, Autos, Eisenbahnen, Panzer, Giraffen, Eulen, ja sogar ganze Gebäudekomplexe im Miniaturformat bestaunen.

Zum Jubiläum seiner Heimatstadt Fulda hat Rüdiger Hain den Papstbesuch von 1980 nachgebaut - im Maßstab 1:87. Etwa 12000 Figuren "preisen" Papst Johannes Paul II. in Miniaturgröße. (Foto: Marija Barisic/oh)

Einige Modelle sind statisch, andere können fliegen oder fahren. Alle Aussteller bauen die Modelle in ihrer Freizeit und orientieren sich dabei oft an originalen Bauplänen von Fahrzeugen, Flugzeugen oder Gebäuden, die alle tatsächlich existieren. So geht dem eigentlichen Modellbauen oft eine intensive Recherchephase voraus, in der Baupläne angefragt und Bilder von Originalobjekten studiert werden müssen, bis es dann ans Eingemachte gehen kann. Fast alle Modelle, die ausgestellt sind, wurden aus Kunststoff angefertigt, auf einem Tisch stehen allerdings auch Kartonmodelle von Touristenattraktionen wie dem Eiffelturm, von Gebäuden aus München oder Schiffen. Die meisten der Modellbauer verdienen kein Geld mit ihrem Hobby, viele arbeiten als Ingenieure, kommen nach der Arbeit nach Hause und tüfteln dann wochen-, manchmal sogar monatelang, in ihren eigenen vier Wänden an den kleinen Bauwerken weiter.

Warum eigentlich? "Weil es einfach Freude bereitet", hört man sehr oft. "Um zu entspannen, um abzuschalten", fast noch öfter. Und je länger man mit den Modellbauern über ihre Leidenschaft spricht, desto eher wird man das Gefühl nicht los, dass das hier für den ein oder anderen mehr als nur ein altmodisches Hobby ist. Für Chris Blednicki zum Beispiel.

Der 40-jährige Augsburger ist schon seit mehr als zehn Jahren Mitglied beim Plastik-Modellbau-Club in Erding, der vor allem Flugzeug- und Automodelle baut, und bezeichnet seine Leidenschaft als "meine Therapie, die mir Halt gibt." Blednicki leidet nämlich unter einer Borderline-Störung, die ihn regelmäßig auf emotional unkontrollierbare Achterbahnfahrten schickt. In schwierigen Phasen geht Blednicki dann in seinen "Bastelkeller", wie er ihn nennt, greift zu den Plastik-Bausätzen und beginnt an seinen Modellen zu arbeiten: "Aus einer halben Stunde wird dann oft die halbe Nacht, mein Kopf schaltet ab und ich bin wieder entspannt", sagt der 40-jährige Augsburger. Was in solchen Nächten entstehen kann, können die Besucher der Messe in der Glasvitrine begutachten, die vor Blednicki steht und in der einige seiner Automodelle ausgestellt sind. Er beugt sich nach vorne und nimmt den BMW 325i E30, in die Hand, den er im Maßstab 1:24 aus Kunststoffteilen zusammengeklebt und in ein glänzendes Hellrot gefärbt hat. Was dabei besonders auffällt, nicht nur bei dem Modell von Blednicki, sondern bei fast allen Modellen, die hier im Veranstaltungsforum zu sehen sind, ist die fast schon obsessive Detailliertheit, mit der die Aussteller an ihren Modellen tüfteln. So kann man selbst im Inneren von Blednickis Mini-BMW alles entdecken, was in einem echten Auto auch zu sehen wäre: ein Fahrer hinter dem Steuer, vier Gurte und sogar eine kleine rote Kappe, die am Beifahrersitz liegt und vermutlich dem Fahrer gehört.

Zwei Jahre und fünf Menschen hat es gebraucht, um das bayerische Dorf Steining nachzubauen. (Foto: Günther Reger)

Ein paar Schritte weiter sitzt Reinhard Dörr. Auch für ihn, der ausschließlich Schiffsmodelle anfertigt, ist das Modellbauen mehr als nur ein netter Zeitvertreib. Zehn Jahre lang war der 73-jährige Münchener Vizepräsident der Bayerischen Gartenbaugesellschaft, bis er vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitt und das Sprechen verlernte. "Das Einzige, was mir damals geblieben ist, waren meine motorischen Fähigkeiten", sagt Dörr, "das Modellbauen hat mich damals aufgefangen". Im Gegensatz zu vielen anderen Ausstellern hier ist Dörr kein Mitglied eines Vereins, sondern holt sich die Inspiration für seine Modelle aus dem Internet. Dort ist er vor kurzem auf das Bild des chinesischen Schiffs Nam Van gestoßen und wusste sofort: "Das will ich nachbauen." Dafür fertigte Dörr zunächst ein Kartonmodell von dem Schiff an, bevor er es in einem zweiten Schritt mit weißem Kunststoff und Kupfer nachbaute. Wie alle anderen Modelle, die Dörr baut, ist auch dieses mit einem Motor ausgestattet und wassertauglich. Was er mit seinen nachgebauten Schiffen macht, wenn sie einmal fertig sind? "Eigentlich nichts. Sobald ich fertig bin, interessieren sie mich nicht mehr", sagt der 73-Jährige und lacht. So geht es allerdings nicht allen Modellbauern.

Für Jakob Stangl, 82 Jahre alt, beginnt der Spaß oft erst nach dem Bauen. Stangl ist Mitglied bei der Flugsportgruppe in Alling und wie der Name schon verrät, bauen die Vereinsmitglieder hauptsächlich Flugzeuge nach, die sie dann auf ihrem Flugplatz in die Luft steigen lassen. Der Pilatus B4, ein Schweizer Flugzeug, das Stangl vor 40 Jahren in einem Maßstab von 1:5 nachgebaut hat und der nun von der Decke des Veranstaltungsforums hängt, besteht aus Kunststoff, Styropor und Holzfurnier. Auch die Steuermotoren, die man braucht, um das Flugzeug später zum Fliegen zu bringen, hat Stangl selbst installiert. "Etwa 150 Stunden Arbeit, viel Geduld und Liebe" habe es gebraucht, bis das Modell zum ersten Mal abheben konnte, sagt Stangl, der schon als kleiner Bub eine Faszination für Flugzeuge hegte. Weil das Geld fürs "echte Fliegen" aber fehlte, begann der 82-Jährige schon als Teenager seine ersten Modelle zu bauen.

Wahrscheinlich sind es gerade Geschichten wie diese, die all die fahrenden, fliegenden und statischen Modelle hier noch einzigartiger erscheinen lassen, als sie ohnehin schon aussehen. So konnte man auf der diesjährigen Modellbaumesse nicht nur penibelst gebaute Modelle bestaunen, sondern auch noch lernen, wie es dieses doch eher altmodische Hobby bis heute geschafft hat zu überleben.

© SZ vom 03.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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