Asylbewerber:Ein Marsch für Flüchtlingsrechte

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In der Fürstenfeldbrucker Unterkunft bekommen Schulkinder nicht genug zu essen. Bewohner kritisieren, wie Sicherheitsleute vor allem die Frauen behandeln. Am Samstag wollen sie friedlich demonstrieren

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Geflüchtete, die in der Unterkunftsdependance am Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst untergebracht sind, wollen an diesem Samstag erneut gegen die Zustände in der Unterkunft demonstrieren. Von den etwa 970 Menschen, die dort leben, sind etwa 920 Nigerianer. In dem Aufruf zur Demo erheben sie schwerste Vorwürfe. Die Sicherheitsleute hassten alle Nigerianer, heißt es, sie behandelten die Flüchtlinge wie Sklaven. Insbesondere Frauen würden von den Sicherheitskräften nicht respektiert.

Wörtlich heißt es: "Das FFB-Lager hat unsere ungeborenen Kinder getötet." Eine Frau klagt: "Die Sicherheitskräfte schubsten mich während der Schwangerschaft. Ich wurde umgehend ins Krankenhaus gebracht, aber verlor am Ende des Tages meine Zwillinge." Ob es diese Vorfälle gegeben hat, ist momentan unklar. Die Regierung

von Oberbayern hat dazu noch nicht Stellung genommen.

Die Geflüchteten betonen, sie seien weder Terroristen noch Kriminelle. Einige seien seit mehr als zwei Jahren in dem Lager, obwohl man ihnen gesagt habe, sie würden nur sechs Monate dort bleiben. Sie dürften nicht arbeiten, wollten sich aber integrieren. Menschen mit schwersten Depressionen bekämen keine Hilfe und würden, obwohl ihre Ärzte das für notwendig hielten, auch nicht verlegt. "Es gelten keine Menschenrechte innerhalb des Lagers. Deshalb werden wir für unsere Rechte demonstrieren."

Vielen Kindern geht es offenbar wirklich nicht gut. Wie Bürgermeister Christian Götz (BBV) berichtet, haben sich zwei Leiterinnen von Fürstenfeldbrucker Grundschulen an die Stadt gewandt und übereinstimmend berichtet, die Kinder aus der Unterkunft kämen ohne Frühstück und ohne Pausenbrot in die Schule. Götz hat auch gehört, das Mittagessen werde so früh eingenommen, dass die Schulkinder auch nach ihrer Rückkehr kein Essen bekämen.

Der Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi (SPD) berichtet in einem Schreiben an die Regierung vom Freitag ebenfalls, das Frühstück komme nach Beginn des Unterrichts und das Mittagsessen vor dessen Ende in die Unterkunft. Weiter äußert Schrodi den Verdacht, es gebe in der Unterkunft Zwangsprostitution und Menschenhandel.

Seinem Schreiben zufolge leben 200 Kinder in der Einrichtung, 120 sind jünger als drei Jahre. Schrodi fragt auch, ob es richtig ist, dass bis zu sechs Mütter mit ihren Säuglingen in einem Raum untergebracht sind. Götz berichtet, in der Unterkunft sei es ständig laut, es gebe keine Rückzugsmöglichkeiten für Schwangere, Wöchnerinnen und ihre Babys. Zudem hätten die Frauen keinen Zugang zu Hebammen. Für die knapp 1000 Menschen in der Dependance des sogenannten "Anker-Zentrums" Manching gibt es offenbar nicht genügend Sanitäranlagen. Schrodi fragt auch, ob es stimme, dass im Männerbereich das warme Wasser ausgefallen sei, so dass es weniger Sanitärräume gebe als vor einem halben Jahres und gar keine getrenntgeschlechtlichen mehr.

Unterdessen fand am 31. Oktober bei der Regierung von Oberbayern in München ein Gespräch von Regierungspräsidentin Maria Els mit dem Fürstenfeldbrucker Oberbürgermeister Erich Raff, den Bürgermeistern Christian Götz und Karin Geißler, Vertretern aller Stadtratsfraktionen sowie der Polizeiinspektion Fürstenfeldbruck und dem Polizeipräsidium Oberbayern Nord statt. Dabei wurde besprochen, dass die Situation der Schwangeren und Wöchnerinnen, der Babys und der schulpflichtigen Kinder verbessert werden soll. Außerdem sollen 80-Cents-Jobs angeboten werden. Die Stadt sucht Götz zufolge nach Möglichkeiten, Geflüchtete im Bauhof und bei der Stadtgärtnerei einzusetzen. Außerdem soll demnächst eine sozialpädagogische Fachkraft eingestellt werden.

Götz und Schrodi hatten sich vergeblich um Besuchstermine in der Unterkunft bemüht. Schrodi bezeichnet die Verweigerung eines Termins als völlig unangemessen und stellt die Vermutung auf, dies könnte an den Zuständen im Lager liegen, die sich wohl seit seinem Besuch im Mai noch verschlechtert hätten. Für Götz ist klar, dass die Unterkunft einfach zu groß ist. "Solange da 1000 Menschen untergebracht sind, wird das nichts", sagt er. 500 bis 600 wären die "Grenze des Machbaren". Er will nach dem Gespräch mit Regierungspräsidentin Els auf den versprochenen Besuchstermin im Januar warten.

Die Demonstration, die am Samstag um 14 Uhr beginnen soll, sieht Götz wie manche andere eher kritisch. Sie wurde von der Internet-Plattfom "Klasse gegen Klasse" angemeldet, die nach eigener Aussage "tägliche Nachrichten der revolutionären Linken" verbreitet. Der nigerianische Journalist Miracle Ogar, der als Pressesprecher der Flüchtlinge fungiert, sagte, die Demonstration solle auf jeden Fall friedlich vor sich gehen. Treffpunkt ist in Fürstenfeldbruck an der Bushaltestelle Neufeld Nord.

Der Bayerische Flüchtlingsrat unterstützt die Demo. "Massenlager und Anker-Zentren scheinen sich immer mehr zu einem rechtsfreien Raum zu entwickeln, in dem Sicherheitskräfte walten können wie sie wollen und die Polizei in die Privatsphäre der Bewohner eindringt und wahllos Menschen inhaftiert", sagt Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Wir fordern eine sofortige Schließung aller Anker-Zentren und Massenlager, in denen Menschen teils über viele Monat hinweg isoliert und auf engstem Raum leben müssen."

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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