SZ-Serie, Folge 23: Ortsgedächtnis - ein Blick in die Archive:Die Geheimnisse der Dienstboten

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Kreisarchivar Stefan Pfannes erklärt die Besonderheiten des Oberschweinbacher Archivs. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ein Register vom Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt die Stellung von Knechten und Mägden in Dörfern wie Oberschweinbach.

Von Gerhard Eisenkolb, Oberschweinbach

Das Archiv der Gemeinde Oberschweinbach ist klein und übersichtlich. Aber es verfügt über Raritäten, die es anderswo im Landkreis nicht mehr gibt. So wird hier ein Dienstbotenregister aus Günzlhofen für die Zeit von 1902 bis 1918/1919 verwahrt. In dem Nebenregister zum Einwohnerstand listete der Bürgermeister auf, wer bei welchem Bauern, Handwerker oder auch beim Pfarrer als Knecht, Magd oder Bub, was Minderjährige waren, in Diensten stand.

Die sozialpolitisch aus heutiger Sicht wohl wichtigste Information steckt in der Angabe über die jeweilige Heimatgemeinde. Dienstboten, die meist aus anderen Orten stammten, gehörten nämlich rechtlich weiter zu der Gemeinde, in der sie ein Heimatrecht hatten. Das war meist die Geburtsgemeinde. Damit waren sie den Günzlhofenern nicht gleichgestellt.

Für die Dienstherren war diese Regelung mit Vorteilen verbunden. Dem sowieso schon der Herrschaft ausgelieferten Gesinde brachte sie erhebliche Nachteile ein. Als Ortsansässige ohne Heimatrecht konnten Knechte oder Mägde jederzeit ausgewiesen. Eine Heiratserlaubnis sowie die Gründung einer Familie konnten ihnen verweigert werden, für die eine "Ansässigmachung" aufgrund von Grundbesitz oder ein gesicherter ausreichender Lohnerwerb erforderlich waren. Über beides verfügten Knechte und Mägde in der Regel nicht. Wurde ein Dienstbote bedürftig, lag nach Armenrecht die Fürsorgepflicht, heutzutage würde man von Sozialhilfe sprechen, weiter bei dessen Heimatgemeinde. Im Fall eines beim Sattler in Günzlhofen Beschäftigten war das Eußenheim in Unterfranken.

Eine Seltenheit ist das Dienstbotenregister, das es im Oberschweinbacher Archiv noch gibt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Wurde ein Knecht infolge eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig oder eine Magd geschwängert, hatte der Dienstherr keine Verpflichtung, sich weiter um sie zu kümmern. Er konnte sie entlassen oder vom Hof jagen. Nur die wenigsten der zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschäftigten etwas mehr als 50 Knechte und Mägde sind im Dienstbotenregister als Ansässige mit Heimatrecht in Günzlhofen vermerkt. Die meisten stammten aus den Nachbargemeinden und blieben nachweislich des angeführten Diensteintritts- und -austrittsdatums nicht lange.

Im Pfarrerhof von Günzlhofen dienten ein besser gestellter Baumeister, der über dem Knecht stand und ein Art Ökonomieleiter war, ein Knecht und eine Köchin. Der Wirt hatte einen Postillion, einen Baumeister und einen Knecht, der Krämer eine Magd. Wie Kreisarchivpfleger Stefan Pfannes berichtet, wurden solche Dienstbotenlisten und damit die Diskriminierung des Gesindes erst mit dem Ende der Monarchie 1918 abgeschafft. Als Verwaltungsexperte und Geschäftsleiter der Gemeinde Egenhofen ist Pfannes mit dem Archivwesen und der Geschichte von Melderegistern vertraut. Erst seine Erläuterungen lassen erkennen, wie wertvoll ein solches Dienstbotenregister für die Heimat- und Familienforschung sein kann.

Die Turmuhr. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Als besondere Rarität, die er als Betreuer der Archive der kleineren Gemeinden im westlichen Teil des Landkreises bisher noch nirgends sah, bezeichnet Pfannes eine Urkunde aus dem Jahr 1931 über die Errichtung eines Nottestaments vor dem Gemeindevorsteher. In Gegenwart des Hauptlehrers Karl Weiß und des Bauern Georg Strobl dokumentiert Bürgermeister Kaspar Göttler den letzten Willen des schwer kranken, aber voll verfügungsfähigen Kleinbauern oder Gütlers Isidor S..

Der Erblasser unterzeichnete die Urkunde selbst und setzte seine Ehefrau als Universalerbin ein. Ausdrücklich wird vermerkt, dass Isidor S. voll verfügungsfähig ist. Die beiden Söhne werden nicht bedacht, weil einer bereits Geld erhalten hat, dem anderen die Ausbildung zum Wagner finanziert wurde. Wie es heißt, können die beiden Töchter nach dem Tod des Vaters kein Erbe von ihrer Mutter fordern. Ein solches Notfalltestament aufzunehmen, gehörte zu den Befugnissen eines Dorfbürgermeisters. Allerdings hatte die Urkunde nur eine begrenzte Gültigkeit.

Die Straftatenakte enthält nur einen Fall. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Der Akt über die Gefängnis- und Zuchthausträflinge der Jahre 1880 und 1889 enthält nur einen Fall. Es geht um einen Knecht, der wegen Meineids zu zwei Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Ehrverbot verurteilt worden war. Die Gemeinde wird angewiesen, den Gefangenen nach der Entlassung aus dem Zuchthaus zu überwachen und dem Bezirksamt in Fürstenfeldbruck über dessen Verhalten Bericht zu erstatten.

Erhalten hat sich auch die Seelennonnen-Verordnung von 1871 für Oberschweinbach. Seelennonnen waren Leichenfrauen. Die polizeiliche Vorschrift, heutzutage würde man von einer Gemeindesatzung sprechen, regelt das Bestattungswesen. Die amtlich bestallten Seelennonnen waren in etwa Vorläufer heutiger Bestatter. Diese Frauen hatten höflich, verschwiegen und bescheiden zu sein. Sie mussten zu jeder Zeit ihren Verpflichtungen nachkommen, eine Leiche unter anderem sechs Stunden lang nach dem Eintritt des Todes bewachen und bei allen Gebeten an der Leiche und bei allen Gottesdiensten für diese anwesend sein.

Manche Akten sind durch Wasser geschädigt oder haben Stockflecken. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Wie wichtig eine sachgerechte Aufbewahrung und ein schonender Umgang mit solchen Archivalien sind, demonstriert der ehrenamtlich tätige Kreisarchivar anhand des ältesten Dokuments, dem gebundenen Beschlussbuch der Gemeinde Oberschweinbach für die Jahre 1852 bis 1885. Das Buch enthält die Protokolle der Gemeinderatssitzungen von 33 Jahren.

Der Einband hat Schimmel-, Stock- und Wasserflecken. Er ist zerfleddert und löst sich bereits auf. In einem erbärmlichen Zustand befinden sich die handschriftlichen Protokolle. Laut Pfannes ist das Beschlussbuch ein Fall für den Papierkonservator. Werde es nicht in nächster Zeit konservatorisch behandelt, sei es nicht mehr zu retten, befürchtet er.

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Der schlechte Zustand des Protokollbuchs ist die Folge eines Wasserschadens vor längerer Zeit. Die Verluste an Dokumenten infolge von falscher Lagerung, Umzügen und der Gemeindegebietsreform sind groß. Den Archivraum bezeichnet Pfannes als einen der besseren der kleineren Gemeinden. Er liegt im Erdgeschoß des perfekt renovierten, zum Rathaus umfunktionierten ehemaligen Schlosses. Eigentlich sollte zum Archiv nur ein ehrenamtlicher Archivar, den die Gemeinde nicht hat, oder ein mit dieser Aufgabe betreuter Verwaltungsbediensteter Zutritt haben.

In Oberschweinbach dient der Archivraum auch als Lager und Registratur, also als Ablage für Akten, die später noch einmal gebraucht werden. Der Kreisarchivar hätte einen Vorschlag zur Lösung dieses Problems: Die Archive mehrerer Kommunen in einem gemeinsamen Depot unter der Betreuung eines hauptamtlichen Archivars aufbewahren und so den Erhalt der Archivalien sichern. Aber das ist Zukunftsmusik.

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