25-jährige Beziehung der Kommunen:Von der Patenschaft zur Partnerschaft

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Ein Raum im Kinderhaus Nowi Petriwzi im Landkreis Wischgorod, das vom Freundeskreis Wischgorod 2002 gebaut wurde. (Foto: Erich C. Setzwein)

Bei offiziellen Gelegenheiten wie informellen Gesprächen machen die Wischgoroder klar, dass sie nach der jahrelangen Hilfe aus Eichenau nun ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit anbieten wollen.

Von Erich C. Setzwein

Die Überraschung steht den Kindern ins Gesicht geschrieben. Überraschender Besuch so früh am Tag, aber woher? Die Kleinen reagieren irgendwie cool, fragen zwar nicht nach, lassen sich aber auch nicht weiter stören. Sie scheinen sich sicher zu fühlen, sie sind ja hier zu Hause. Diese Sicherheit haben ihnen auch jene Besucher ermöglicht, die an diesem Morgen so ganz ohne jede Ankündigung das kleine Anwesen betreten haben. Unter ihnen ist einer, der das Haus wie seine eigene Wohnung kennt. Auch ein Bild von ihm hängt im Wohnzimmer des Kinderhauses in Novi Petrivzi. Werner Blab, 78 Jahre alt, Gründungsvorsitzender des Freundeskreises Wischgorod, ist Mitglied einer Delegation, die für die 25-Jahr-Feier der Städtepartnerschaft zwischen Eichenau und Wischgorod in die Ukraine gereist ist. Jetzt steht Blab Valentina Skurpat gegenüber, die den unerwarteten Gästen entgegeneilt ist. Sie leitet seit 2002 das Kinderhaus, das mit Eichenauer Spenden seinerzeit gebaut werden konnte, und legt gleich mit einer Führung durch die farbenfroh ausgemalten Räume los.

Es ist der dritte und letzte Besuchstag der Eichenauer in der Ukraine, und er führt sie an diesem Morgen von der Stadt Wischgorod ein paar Kilometer weiter in den gleichnamigen Landkreis. Für den Jugend- und Sozialreferenten der Gemeinde, Gemeinderat Andreas Zerbes, eine neue Erfahrung. Bislang kennt er dieses Kinderhaus nur aus Berichten. Jetzt kann er sich davon überzeugen, wohin die Spenden von Eichenauern geflossen sind, wofür das Geld ausgegeben wird, um "die Kinder ins Leben zu begleiten", wie Valentina Skurpat es nennt.

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Von Erich C. Setzwein

Das Kinderhaus gilt als Vorzeigeobjekt

28 Kinder können gleichzeitig in dem Heim leben, das von Kolja Schadan verwaltet wird. Schadan stößt wenig später dazu und berichtet, dass in den vergangenen 15 Jahren etwa 180 Kinder dort gelebt haben. Mehr als 100 seien adoptiert worden, auch von Ausländern. Die Mitglieder des Freundeskreises wissen, dass Schadan vor und auch nach einer Adoption die Verhältnisse bei den neuen Eltern zu prüfen versucht. Das Kinderhaus Ljubystok gilt als Vorzeige-Heim in der Ukraine.

Mit dem eingeschossigen Haus mit dem kleinen gepflegten Garten und dem Hartplatz hat die Partnerschaft des ukrainischen Wischgorod mit der Gemeinde Eichenau 2002 ein besonderes Symbol bekommen. Die Kinder haben dem Anschein nach alles, was Kinder zum Leben, Lernen und Spielen brauchen, auch an Herzlichkeit und Liebe scheint es nicht zu mangeln. Valentina Skurpat zeigt den Unterrichtsraum, wo die Jüngsten sich sofort an die Computer setzen und zeigen, was sie dort alles spielen können.

Golfplatz und künstliche Flüsse

Die Gäste aus Deutschland machen trotz der positiven Berichte von Skurpat und Schadan einen nachdenklichen Eindruck, als sie das Grundstück verlassen, um kurze Zeit später noch viel nachdenklicher zu werden. Denn sie erleben auf ihrer letzten Station vor dem Abflug einen kleinen Kulturschock. Im selben Ort, nur ein paar Kilometer entfernt, werden sie die Opulenz, den Prunk und Protz in der 137 Hektar großen ehemaligen Residenz des ukrainischen Staatspräsidenten Viktor Janukowitsch sehen, die von den Ukrainern heute als "Museum der Korruption" bezeichnet wird. Villen, Golfplatz, künstliche Flüsse und Parkanlagen sind für in- wie ausländische Touristen ein Anziehungspunkt wie Neuschwanstein in Bayern. Der Guide spricht von Millionen Besuchern. Und zwischen der Promenade am Dnjepr-Ufer und der Sporthalle des Ex-Präsidenten taucht nicht nur einmal die Frage auf, was mit all dem Geld, das dort sinn- und geschmacklos verbaut worden ist, alles für Kinder und alte Menschen getan hätte werden können.

So geht es am Ende wie am Anfang der Delegationsreise von Eichenau nach Wischgorod ums Geld. Zwar bringen Bürgermeister Peter Münster und die Gemeinderäte Claus Guttenthaler, Andreas Knipping, Gertrud Merkert und Andreas Zerbes keine Koffer voller Geld mit in die 35 000 Einwohner zählende Stadt nördlich von Kiew, dafür aber die Fördermittelzusage aus dem Topf "Kommunen in der einen Welt". Damit sollen Energieprojekte gemeinsam angegangen und in Wischgorod verwirklicht werden. Wert: bis zu 50 000 Euro. Münster verkündet dies bei der offiziellen Feier im Rathaus und überreicht symbolisch eine LED-Leuchte.

Im Amtszimmer von Bürgermeister Olexiy Momot erfährt Peter Münster (links) die Unterschiede der Wischgoroder Rathausverwaltung. (Foto: Erich C. Setzwein)

Doch um die LED-Technik geht es den Wischgorodern gar nicht so sehr. Bürgermeister Olexiy Momot teilt Münster mit, dass die flächendeckende Umstellung der Beleuchtung in der Stadt schon zum Ende dieses Jahres geplant sei. Das kommentiert der Eichenauer Bürgermeister mit den Worten, man habe in Eichenau bislang einen Weg mit solchen Lampen ausgestattet. Worum es Momot geht, sind Projekte, die eine deutliche Verbesserung in der Infrastruktur bringen. Deshalb wird mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, dass Verkehrsreferent Knipping mitgekommen ist. Dessen Funktion im Gemeinderat wird mit "Verkehr und Transport" übersetzt.

Das Projekt, das von Deutschland aus gefördert wird, wird mit Energieeffizienz zu tun haben. Erste Ergebnisse sollen bis Ende des Jahres vorliegen. Die benötigten Daten, damit sich ein Fachbüro mit Energiesparvorschlägen an öffentlichen Gebäuden befassen kann, sind aus der Ukraine nach Eichenau übermittelt worden. Auch wenn sich die Beziehungen zwischen den Kommunen derzeit deutlich zu erneuern scheinen, gibt es dabei noch einiges zu verbessern. Wie zu erfahren ist, hätte diese Datenübermittlung aus Eichenauer Sicht durchaus schneller gehen können. Eine Partnerschaft mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Doch Wischgorod will aufholen. Die Energiethemen sind nur ein Baustein, auf dem die Beziehungen weiter gebaut werden sollen. Es ist bei der kurzen und sehr formellen Feier im Rathaus viel von der Hilfe die Rede, die seit der Vertragsunterzeichnung der Städtepartnerschaft 1992 aus Eichenau kam und in Eichenau angeboten wurde. Die vielen Kindergruppen, die aus der Nach-Tschernobyl-Zeit in den Westen reisen durften, um untersucht zu werden und um sich zu erholen. Von den Deutschkursen, die in Eichenau für die Kinder und Jugendlichen gegeben werden und natürlich durch den Familienanschluss, den die jungen Wischgoroder bekamen. Es werden die Vorsitzenden des Freundeskreises Werner Blab, Magdalena Holzner und Dieter Berg beglückwünscht, doch in den Übersetzungen der Reden schwingt außer Dank noch etwas anderes mit.

Es ist ein gewisser Stolz der erst seit 26 Jahren unabhängigen Ukraine, jetzt auch etwas anbieten zu wollen. Es ist an Olexiy Momot anzukündigen, dass Wischgorod wirtschaftliche Projekte voranbringen wolle. Er spricht zwar davon, dass es zwar "riskant ist, bei uns wirtschaftlich aktiv zu sein", aber er meint die Ukraine insgesamt mit dem umkämpften Osten. "Kiew und der Landkreis Wischgorod sind wie ein Staat im Staat", wirbt er um Vertrauen. "Sie können ruhig und sicher sein, dass sich die Eichenauer wohl fühlen können." Es gibt dann noch den Hinweis, dass in Wischgorod deutlich günstiger produziert werden könne, Eichenauer Aufträge seien willkommen.

Dubioses Verfahren

Stadt und Landkreis Wischgorod, mit denen Eichenau die Partnerschaft seit 25 Jahren pflegt, machen derzeit eine wichtige Veränderung durch. Der 37 Jahre alte Bürgermeister möchte, dass Wischgorod eine kreisfreie Stadt wird. Die Verwaltung des Rayons, in Deutschland der Landkreis, würde in eine andere Stadt verlagert, und nur die Stadt Wischgorod würde die Partnerschaft mit Eichenau fortführen. Dieser Verwaltungsprozess, so ist zu erfahren, löse intern Unruhe aus und erzeuge extern Spannungen. Im Zentrum steht der Bürgermeister, der die Loslösung seiner Stadt betreibt, und gegen den seit einem Jahr ein dubioses Verfahren wegen Bestechlichkeit läuft. Momot ist wohl nur deshalb immer noch im Amt, weil Tausende Bürger für seine Freilassung aus der Untersuchungshaft demonstriert und Geld für die Kaution gespendet haben.

Nach offizieller Darstellung, die im Staatsfernsehen berichtet wird, soll Momot eine umstrittene Baugenehmigung erteilt und dafür Geld erhalten haben. Aus der angeblichen Schmiergeldsumme von einer Million Euro in bar seien offenbar nur noch 300 000 geworden, und die Staatsanwaltschaft suche nach Gründen für eine Anklage, berichtet dagegen ein privater Sender. Dessen investigativen Recherchen zufolge sind auch die Bilder von Momots Verhaftung falsch, und die angeblichen Nutznießer der Bestechung existieren möglicherweise gar nicht. Momot hat öffentlich alles abgestritten und versucht, seinen Ruf wiederherzustellen. Eine für ihn und seine Familie belastende Situation.

Partnerstädte in Deutschland und Frankreich

Wie weit ihm dabei die Unterstützung aus Eichenau gut tut, ist noch nicht abzuschätzen. Wischgorod unterhält ja auch zum Beispiel zur französischen Stadt Seins und zum baden-württembergischen Lörrach Partnerschaften. Momot betont, dass die Beziehungen zu Eichenau sehr intensiv seien. Aus den Ansprachen wie auch in den Grußworten und Trinksprüchen beim offiziellen Abendessen ist herauszuhören, dass die vergangenen 25 Jahre mit Eichenau wie eine Patenschaft empfunden worden sind und wie nun eine stabile Partnerschaft der Kommunen daraus werden kann.

Die Wischgoroder möchten "auf Augenhöhe" den Eichenauern begegnen, die sich erneuernde Freundschaft nicht nur auf den Besuchen von Schülergruppen aufbauen. Die Fußballer sollen nach Wischgorod kommen, endlich, wie es heißt. Denn schon 2014 sollte eine Mannschaft des FC Eichenau anreisen. Doch die Unruhen auf dem Majdan ließen die Pläne platzen. Auch kulturell soll es zum Austausch kommen. Münster würde sich wünschen, dass Wischgorod Ende Oktober eine Abordnung zum Fest der Kulturen schickt. Zunächst aber wird der Gegenbesuch zur 25-Jahr-Feier der Partnerschaft in Eichenau vorbereitet. Der Festakt findet am Mittwoch, 4. Oktober, in der Friesenhalle statt.

Die Kinder aus dem Kinderhaus Ljubystok werden nicht dabei sein. Sie gehen zur Schule oder machen eine Ausbildung. Kolja Schadan hat Pläne, das Kinderhaus noch einmal zu vergrößern, um auch Jugendlichen über 16 Jahren einen Aufenthalt zu ermöglichen. Noch ist das Projekt des Freundeskreises Wischgorod in Novi Petrivzi das nachhaltigste in der 25-jährigen Städtepartnerschaft.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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