Frühling:Wo die Isar flimmert

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Am langen Wochenende bemüht sich die Stadt sehr, all die Klischees vom Flaucher bis zum Olympiaturm auf das Schönste zu erfüllen.

Von Franz Kotteder

Spaziergang an Ostern - da hängt die Latte hoch, seit Goethe seinen "Faust" einen ebensolchen machen ließ, ziemlich am Anfang des ersten Teils der Tragödie. Da kann man nicht mehr einfach so durch die Landschaft schlendern, da muss man zwangsläufig die Zeilen des Dichters im Hinterkopf behalten. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche", beginnt Faust im Stück seinen Weg vor die Tore der Stadt, und damit fängt es dann schon an: Wenn die Stadt in diesen Tagen von etwas befreit zu sein scheint, dann handelt es sich nur um die seltsamen Geothermie-Messkabel der Stadtwerke, die sind seit dem kalendarischen Frühlingsbeginn nämlich weitgehend verschwunden aus dem Stadtbild.

Dafür naht - Folge des Klimawandels - die Zeit des Eises eigentlich erst jetzt, und zwar in Gestalt von Speiseeis. Wer sich vom U-Bahnhof Thalkirchen in die lange Karawane der Kinderwagen auf dem Trail gen Osten über die Brücke zum Tierpark einreiht, der kann schon die ersten Kinder quengeln hören: "Mama, wann krieg' ich ein Eis?" Es wird eine Weile dauern, mein Kind, denn vor den Kassenhäuschen, die in den Zoo und zum ersten Kiosk führen, steht eine dichte Traube von gut 250 Menschen, die auf Einlass warten.

Wer nicht mehr der Pflicht zum österlichen Tierparkbesuch obliegt, der wendet seine Schritte nun nach links gen Isar. Ist er beim Queren der Fahrradtrasse den mordlüsternen Mountainbike-Rasern entgangen, die mit einem geradezu abartigen Affenzahn (Tierpark!) hier entlangbrettern, so erwartet ihn an der Kiesbank eine stolze Population imposanter Schwäne, die sich von vereinzelten Spaziergängern auf den Kiesbänken gnädig füttern lässt.

Der erste Nackerte ist auch schon aufgetaucht

Das Licht flirrt und die Isar flimmert wie in Willy Michls berühmten Lied. Wäre man ein Werbegrafiker, man müsste schier verzweifeln, weil man nicht weiß, wie man einen solchen Anblick mit Photoshop oder irgendeinem x-beliebigen anderen Computerprogramm noch verschönern könnte.

Die Stadt bemüht sich aber auch sehr, all die Klischees über sie zu erfüllen. Kurz vor dem Flauchersteg heizt ein Pärchen schon den Holzkohlengrill an; bald kommen die Spezl mit einem Träger August oder Tegernseer vorbei. Die Kiesbänke nördlich des Flaucherstegs beginnen sich langsam zu füllen, und siehe da: Der erste Nackerte ist auch schon aufgetaucht! Nur mit einem Smartphone bekleidet liegt er da, sonnengebräunt, wettergegerbt und leicht ramponiert, er ist nicht mehr der Jüngste. Man denkt wieder an Goethe: "Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!" Mal abgesehen davon, dass der Münchner nicht so arg zum Jauchzen neigt, kommt das schon hin.

Manche Menschen haben zum Beispiel gerne ein Helles oder ein Weißbier vor sich stehen. Gleich beim kleinen Ausschank neben der Wasserwachthütte trifft man die Durstigen, darunter auch das eine oder andere vom Alkoholabusus gezeichnete Gesicht, das von nun an die sonnigeren Tage wohl hier an diesem Ort verbringen wird. Die Familien zieht es mehr in den Flaucherbiergarten weiter nördlich, er ist an den beiden Ostertagen noch eher locker gefüllt.

Wie samstags auf der Wiesn

Kurz vor dem Heizkraftwerk erinnern die Flaucheranlagen direkt an einen Laubwald, aber dann kommt schon die Brudermühlbrücke, und wer jetzt eine Pause braucht von der Osteridylle, der nehme den Bus in Richtung Münchner Freiheit, landläufig "Vierafuchzga" genannt. Man lernt da die Soziostruktur der Stadt ein bisschen kennen, fährt über Giesing - wo man keine Osterspaziergänge macht, jedenfalls ist kaum jemand auf der Straße - und den Ostbahnhof nach Bogenhausen durch Viertel aus Zeiten, als Villenbesitzer neben Geld auch noch Geschmack hatten, kommt am Chinaturm vorbei, wo der Biergarten schon richtig voll ist. An der Münchner Freiheit empfiehlt es sich dann, zur Abrundung noch die U-Bahn in den Olympiapark zu nehmen.

Dort, vor dem Olympiaturm, wird nämlich gnadenlos Familienunterhaltung zelebriert. Kinder dürfen kindergroße Ostereier bemalen und bekommen dafür weiße Plastikschürzen, die jedoch im leichten Wind lustig flattern und die Eierfarben so noch besser auf der Kleidung verteilen. Es gibt Hüpfburgen, Ostereierlaufen, verkleidete Hasen, unzählige Imbissstände und die mit Recht weithin gefürchtete Showbühne eines lokalen Rundfunksenders mit penetrant super gelaunten Moderatorinnen.

Es geht tatsächlich zu wie samstags auf der Wiesn, und man darf sich aussuchen, ob man lieber einen Radlreifen in die Kniekehle bekommt oder ein Kinderwagenrad in die Ferse. "Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge durch die Gärten und Felder zerschlägt", schrieb der Dichter in Faust I, aber vermutlich hat er das damals ganz anders gemeint.

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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