Freising:Über der Belastungsgrenze

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Nach der Unwetterkatastrophe im Ahrtal hat das Freisinger THW beim Bau von Behelfsbrücken geholfen. (Foto: Dennis Zorn/THW/oh)

In einem Facebook-Post schreibt sich THW-Chef Michael Wüst von der Seele, was ihn aktuell bewegt - die Resonanz darauf ist enorm.

Von Petra Schnirch, Freising

Er wollte einfach nur mal seine Gedanken sortieren und sich alles von der "Seele schreiben". Wie sehr die Katastrophen-Einsätze, die sich seit 2015 aneinander reihen, die ehrenamtlichen Helfer fordern, dass er sich mehr Anerkennung wünschen würde. Mit der Resonanz darauf hatte der Freisinger THW-Chef Michael Wüst "nicht ansatzweise" gerechnet. Sein langer, nachdenklich stimmender Facebook-Post hat bisher mehr als 1220 Likes erhalten, ist mehr als 1140 Mal geteilt worden, 96 User kommentieren ihn.

Sieht die Belastungsgrenze für Ehrenamtliche erreicht: THW-Ortsbeauftragter Michael Wüst. (Foto: Marco Einfeldt)

Um eines klarzustellen, sagt Wüst, 50, gleich zu Beginn des Gesprächs. Er wolle nicht missverstanden werden, er habe nicht etwa die Nase voll von seinem Engagement beim Technischen Hilfswerk. Als er den Post verfasste, habe er sich aber gefragt, "wie zur Hölle schafft man das" neben dem eigentlichen Broterwerb, "seit 2015 sind wir fast durchgängig im Katastrophenmodus". Wüst listet auf: 2015/16 Flüchtlingskrise, 2016 die Flut in Simbach, 2019 das Schneechaos im bayerischen Oberland, 2020/21 die extrem belastende Corona-Pandemie, 2021 der Einsatz nach dem Unwetter im Ahrtal und jetzt 2022 die Aufnahme und Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge. "Viele von uns bewegen sich mehr und mehr oberhalb der maximalen Belastungsgrenze."

Der Zivil- und Katastrophenschutz sei zu recht ehrenamtlich aufgestellt, sagt Wüst. Die Frage sei aber, wie viel dem Ehrenamt zugemutet werden könne, denn "die Anforderungen steigen massiv". Das gelte nicht nur für das THW. Deshalb wünscht sich Wüst mehr "greifbaren Dank" und nicht nur lobende Worte aus der Politik, wenngleich er nicht bezweifelt, dass diese ernst gemeint sind.

In Moosburg haben Helferinnen und Helfer der Feuerwehren, von THW und Sanitätsorganisationen die Turnhalle der Realschule in den vergangenen Tagen für Flüchtlinge aus der Ukraine hergerichtet. (Foto: Marco Einfeldt)

Eine seiner Überlegungen: Warum sollte es für Einsatzkräfte der "Blaulichtfamilie", die auch nachts um drei oder vier Uhr ausrücken, nicht zusätzliche Rentenpunkte geben? Davon würden sie tatsächlich profitieren. "Jeder von uns nimmt gewisse Karriereeinbußen in Kauf", erklärt der THW-Chef, "denn wir stehen unseren Arbeitgebern nicht uneingeschränkt zur Verfügung". Bezahlung oder Prämien will er dagegen keine, das zu betonen, ist ihm wichtig. "Ich möchte nicht in den Ruch geraten, ich mache das, weil ich dafür Geld bekomme."

Einer, der ihm "hundertprozentig" zustimmt, ist der Freisinger Kreisbrandrat Manfred Danner. Gut findet er den Vorschlag mit den Rentenpunkten. Der Landesfeuerwehrverband sei mit einem solchen Ansinnen aber schon einmal gescheitert. Was viele nicht wissen: Auch ein Kreisbrandrat sitzt nicht den ganzen Tag im Landratsamt und koordiniert die Aufgaben. Danner ist an der TU München beschäftigt, Gott sei Dank habe sein Arbeitgeber viel Verständnis, sagt er. Auch privat sei nichts planbar. "Das geht irgendwann an die Substanz."

Auch nach den tagelangen Schneefällen im bayerischen Oberland 2019 hat das Freisinger THW mit angepackt, ebenso wie viele Feuerwehren aus dem Landkreis. (Foto: Binner/oh)

Zurzeit sehe er Michael Wüst öfters als seine Frau, sagt Danner, weil Unterbringungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge aus der Ukraine organisiert werden müssen. Er gibt zu bedenken, ob gewisse Funktionen, dazu zählt er auch die Kommandanten großer Feuerwehren, künftig nicht hauptamtlich ausgefüllt werden sollten.

Michael Wüst ist seit 30 Jahren beim THW, seit 21 Jahren ist er Ortsbeauftragter in Freising. Im Jahr komme er auf etwa 2000 Stunden, die er für das Ehrenamt aufwende, "schlanke 250 Arbeitstage", rechnet er vor. "Es ist tatsächlich ein kompletter zweiter Vollzeitjob."

Natürlich stehe außer Frage, dass THW, Feuerwehren und Sanitätsorganisationen auch in der aktuellen Situation wieder helfen, sagt Wüst. Seine Leute seien nach wie vor hoch motiviert. "Aber wir müssen uns was einfallen lassen, wenn der Zivil- und Katastrophenschutz auch in zehn Jahren so aktiv sein soll wie heute." Allein durch den demografischen Wandel würden die Leute, die sich engagieren, nicht mehr.

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