Tanzen mit Handicap:Freiheit bei Hip-Hop-Beats

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Die Tänzer sind zwischen 14 und 21 Jahren alt. Manche haben Trisomie 21, manche andere Einschränkungen. Freitagnachmittags "battlen" sie sich im Freisinger Tanzsportzentrum.

Von Clara Lipkowski, Freising

Es ist Freitagnachmittag, die fünf Tänzer stehen bereit und die Hip-Hop-Beats sind laut aufgedreht. Maxi und Fabian haben sich gegenüber von Angelina, Maurice und Tobias positioniert, der Battle kann beginnen. Die fünf Tänzer proben im 1. Tanzsportzentrum in Attaching für einen Auftritt in einem Gymnasium. Höhepunkt der Show: Der Battle, in dem jeder zeigen kann, was er tänzerisch drauf hat.

Der 15-jährige Maxi geht mit zwei Schritten im Rhythmus der Musik zur Mitte. Er bewegt den Kopf, die Beine und holt Schwung für einen Handstand. Er verlagert das Gewicht auf einen Arm und schwingt sich wieder nach oben. Da kommt schon Tobias von der anderen Seite auf ihn zu. Er zuckt mit den Schultern, bewegt die Arme wie ein Roboter und schaut Maxi an. Im Takt der Musik messen sie einander an ihren tänzerischen Ideen.

Nach und nach kommen die anderen auf die Bühne, Maxi und Tobias weichen, denn jeder darf hier seine Tricks und Schritte zeigen. Angelina ist jetzt an der Reihe, sie macht ein einhändiges Rad und versucht sich dann im Takt der Musik, hintenüber in die "Brücke" gleiten zu lassen. "Die Brücke ist noch echt schwer", sagt die 15-Jährige später, aber nicht mehr lange, und auch die gelinge ihr. Im geschützten Raum des Kurses will sie noch viel mehr probieren. Angelina kommt wie die anderen Breakdancer von der Lebenshilfe.

Die Tanzgruppe "Creatives" gibt es seit vier Jahren

Der Verein fördert Menschen mit Behinderungen oder Handicap und hat die Tanzgruppe "Creatives" vor vier Jahren gegründet. Die Tanztherapeutin Kirstin Wengler leitet die Schüler an und wird von der Erzieherin Fatlinda Gajtani unterstützt. Beide verstehen sich aber als Begleiterinnen. "Wir unterrichten nicht im klassischen Sinn. Wir lassen die Tänzer machen", sagt Wengler, "jeder kann hier seinen eigenen Stil entwickeln und sich ausprobieren." Ein Falsch gebe es nicht. "Wenn wir aber etwas gefährliches sehen, sprechen wir das an. Dafür machen wir auch Wahrnehmungsübungen." Vor und nach dem Kurs setzen sich alle im Kreis zusammen und besprechen die kommende Stunde. "Wir machen alles im Team", sagt Maxi. Der Zusammenhalt macht sich beim Tanzen bemerkbar, die fünf gehen gegenseitig auf die Bewegungen ein, imitieren sie und fügen eigene Figuren hinzu. "Wir sind einfach super zusammen", sagt Maurice, das gebe auch Sicherheit im Alltag, in der Schule etwa würden sie angesprochen, sie sollten doch mal ein paar Tricks zeigen. Dann folgt noch ein Battle, diesmal zeigen die fünf ganz andere Schritte. "Für uns ist das jedes Mal eine Überraschung", sagt die Tanztherapeutin." Bei den letzten Takten holen die fünf noch einmal alles aus sich heraus und bleiben plötzlich wie angewurzelt stehen. "Freeze" heißt der Move zum Finale des Stücks. "Das war eine gute Probe", sagt Maurice. Der Auftritt kann kommen.

Tänzerwechsel. Der Breakdance-Kurs ist nach eineinhalb Stunden vorbei, langsam trudeln die Teilnehmer des Kurses "Ausdruckstanz" ein. Als alle zehn da sind, wird im Sitzkreis die anstehende Stunde besprochen. "Erst freies Eintanzen?", fragt Kirstin Wengler in die Runde. Ein paar sind ganz mit sich beschäftigt, die anderen nicken eifrig oder rufen "Ja!" "Wer ist für langsam, wer ist für schnell?" Ein paar heben die Hand für "schnell", die meisten wollen ein langsames Warm-Up. Also verteilen sich alle im Raum und lassen sich von der Musik zu "Sound of Silence" treiben.

Wie die Breakdancer kommen auch sie von der Lebenshilfe. Sie sind zwischen 18 und 21 Jahren alt. Manche haben Trisomie 21, manche andere Einschränkungen. Jakob kommt immer mit Josepha, seiner Betreuerin, die ihm aus der Jacke hilft oder etwas zu trinken gibt. "Er freut sich immer riesig auf die Stunde", sagt Kirstin Wengler. Jakob hüpft durch den Raum und lacht vor Freude.

Zum Song "Take me to church" interpretiert Franky das Thema "Traurige Liebe"

Währenddessen steht die Tänzerin Claudi nah vor der Spiegelwand und betrachtet ihre Bewegungen genau. Franky hat sich für die Tanzstunde schick gemacht und perfektioniert in Hemd und Sakko seinen Hüftschwung. Dann hat Korbinian einen Soloauftritt. Zum Song "Take me to church" interpretiert er das Thema "Traurige Liebe". Er dreht sich auf dem Boden, springt auf, läuft auf den Spiegel zu und zeigt Gebärden für Liebe. Dann tanzt Claudi mit Jakob ein Duo: Während Jakob hüpft, macht Claudi ihm Bewegungen vor, die er nachmachen soll. Jakob hüpft lieber und wippt mit dem Oberkörper schnell vor und zurück und strahlt über das ganze Gesicht. Genauso Claudi. "Ich liebe das Tanzen einfach", sagt sie danach und streicht sich eine Strähne aus der Stirn. Sie will gleich weiter machen. Hier kann keiner der Tänzer lange die Beine still halten.

Die Breakdance-Gruppe "Creatives" sucht noch ein achtes Mitglied - auch ohne Handicap. Beide Gruppen freuen sich über Spenden für Sportgeräte. Interessierte melden sich beim Tanzsportzentrum (Tel. 08161 144888 oder info@tsz-freising.de ) oder bei der Lebenshilfe Freising (Tel. 08161 48300).

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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