Prozess gegen ehemalige Punks:Auf dem Weg ins bürgerliche Lager

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2008 prügelten und traten Punks auf Polizisten ein. Nun stehen sieben Männer und eine Frau vor Gericht - alle haben sich inzwischen von der Szene losgesagt.

Peter Becker

Es war einer der größten Polizeieinsätze der vergangenen Jahre in Freising: Am 23. Februar 2008 lieferten sich etwa zwei Dutzend junge Punks auf der Bahnhofstraße in Höhe des Cafés Da Noi eine Rangelei mit Polizisten. Die Lage drohte zu eskalieren. Erst als Unterstützung aus umliegenden Polizeiinspektionen zu Hilfe geeilt war, gewannen die Einsatzkräfte die Oberhand. Neun Polizisten wurden damals verletzt.

Eine Punkerszene existiert in Freising seit dem Volksfest 2008 nicht mehr - zwei Jugendliche kamen damals in Untersuchungshaft. (Foto: getty)

Mehr als zwei Jahre sind seitdem vergangen. Aus den Jugendlichen sind Erwachsene geworden, die einer geregelten Arbeit nachgehen.

Gestern mussten sich sieben Männer und eine Frau wegen ihres aggressiven Verhaltens vor dem Freisinger Jugendschöffengericht verantworten. Vorsitzender Richter Christian Baier ahndete die Tritte und Schläge, welche die Polizisten erdulden mussten, sowie die Befreiung von Gefangenen und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit einer Jugendstrafe auf Bewährung, einem Freizeitarrest und Sozialdiensten.

Die Stimmung am Freisinger Bahnhof war ziemlich explosiv. Die Jugendlichen, die aus dem Freisinger und benachbarten Landkreisen stammten, hatten von zehn Uhr morgens an "eine Saufparty" veranstaltet, um einen Geburtstag zu feiern. Erste Handgreiflichkeiten gab es, als ein Leiter der Bahnschutzstreife Platzverweise gegen betrunkene Punks aussprach. Dafür fing er sich eine Ohrfeige und einen Tritt mit einem schweren Stiefel ein.

Die Eskalationsspirale dreht sich eine Umdrehung weiter, als die angetrunkenen Punks am Bahnhof mit Türken aneinandergerieten. Wieder musste die Polizei dazwischen gehen. Als die jungen Leute auf die Gleise liefen, setzte es weitere Platzverweise. Die Punks zogen anschließend auf der Bahnhofstraße Richtung Freisinger Innenstadt ab.

Etwa auf Höhe des Cafés Da Noi stellten sich ihnen Polizisten entgegen, die ihre Personalien aufnehmen wollten. Dort ging es dann erst richtig rund. Ein Punk kletterte auf eine Bank und sprang einem Polizisten mit gestrecktem, stiefelbewehrtem Bein voran in den Rücken, um die Festnahme eines Freundes zu verhindern. Eine Polizistin bekam einen heftigen Schlag auf ihre Nase.

"Es gab ein Geschiebe und Gedränge", erinnert sich einer der Beamten vor Gericht. "Sie befreiten Gefangene und wir hatten Mühe, die Sache in den Griff zu bekommen." Insgesamt 48 Beamte der Bundes- und Landespolizei waren dazu nötig. Ein gutes Dutzend Punks sei schließlich noch vor der Freisinger Polizeiinspektion aufmarschiert. "Die haben gefordert, wir sollen unsere Gefangenen freilassen", sagt der als Zeuge geladene Polizist. Der Bundespolizei sei es schließlich gelungen, die aufgebrachten Jugendlichen zum Bahnhof zu begleiten. Dort fuhren sie mit dem Zug nach Moosburg, wo es damals eine Punker-WG gab.

Heute bereuen die jungen Leute ihr damaliges Verhalten und geben sich zerknirscht. Sie begründen es mit ihrem exzessiven Alkoholkonsum. Einige hatten schon im Alter von 13 Jahren zu trinken begonnen. Ein heute 20-jähriger Moosburger sagt, dass er sich bereits als Zwölfjähriger zu den Punks gezählt habe. Der Zusammenhalt und das Feiern hätten ihn damals fasziniert. Die Gruppendynamik und das Zusammengehörigkeitsgefühl machen auch andere Mitglieder der damaligen Punkergruppe für ihr Verhalten verantwortlich.

Man habe gesehen, dass da was los sei, hieß es, sei hingerannt und habe versucht, den Freunden zu helfen. Mittlerweile haben sie alle einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit gezogen. Alle geben an, aus der Szene ausgestiegen zu sein. Das Interesse beschränkt sich allenfalls noch auf Musik oder dem Bemühen, anders zu sein als "die Normalos", sagt einer der Beschuldigten. Natürlich ohne Gewalt. Die jungen Leute haben mittlerweile alle einen Arbeitsplatz und sind quasi auf bestem Weg ins bürgerliche Lager.

Die Punkerszene in Freising selbst existiert etwa seit dem Volksfest 2008 nicht mehr. Zwei aus der Szene waren damals in Untersuchungshaft genommen worden. Einer davon war offenbar der 20-jährige Moosburger. Er war verhaftet worden, als er versucht hatte, einem Polizisten von hinten eine Bierflasche auf den Kopf zu hauen. Ein weiterer Beamter konnte dies verhindern. Für den damaligen Jugendlichen hatte sein Austicken Konsequenzen. Er verlor seine Lehrstelle und "die U-Haft war schrecklich", sagt er vor Gericht.

Ein Polizist kann heute noch nicht verstehen, was damals passiert ist. "Wir konnten immer miteinander reden", sagte er nach dem Prozess. Vielleicht hätte viel eher einer der Jugendlichen ein paar Tage im Gefängnis verbringen sollen. Endgültig aufgelöst hat sich die Szene im Frühjahr 2009 nach einem Selbstmord innerhalb der Gruppe.

Richter Christian Baier sagt in seinem Urteil, nach der langen Verfahrensdauer sei die rechtliche Aufarbeitung schwierig. "Sie haben sich ja alle zum Positiven entwickelt", betont er. "Sie haben sich von der Szene losgesagt und sind alle in Lohn und Brot." Den 20-jährigen Moosburger verurteilte er zu einer Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt ist. Ein weiterer Moosburger, der ebenfalls als besonders aggressiv aufgefallen war, muss ein Wochenende als Freizeitarrest im Landshuter Gefängnis verbringen. Die übrigen sechs Mitglieder der Gruppe sind entweder zu Geldstrafen oder Sozialdiensten verurteilt.

"Sanktionen müssen her", betont Richter Christian Baier. Schon allein wegen der Gewaltbereitschaft, welche die Jugendlichen gegenüber den Polizisten gezeigt haben. "Das sind keine Prügelknaben für euch oder andere", betont der Richter während der Verhandlung. "Finger weg von Polizeibeamten", warnt Christian Baier. Prinzipiell habe die Polizei zuerst immer recht. Wenn sich jemand ungerecht behandelt fühle, könne er sich hinterher beschweren. Wenn ein Polizist angegriffen werde, müsse er sich wehren und dabei auch Pfefferspray oder den Schlagstock einsetzen. "Auch für die Stadt Freising war das kein Ruhmesblatt", rügt der Richter die Angeklagten. "Die Leute denken sich ja, da kann man nicht mehr hinfahren, weil dort Punks am Bahnhof randalieren."

© SZ vom 17.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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