Benefizveranstaltung im Neufahrner Gymnasium:"Die Ukraine soll ein freies Land bleiben."

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Zhyttya bedeutet übersetzt "Das Leben". Das renommierte Tanztheater aus Lwiw gewann gemeinsam mit der Sängerin Ruslana Lyschytschko 2004 den Eurovision-Song-Contest in Istanbul. (Foto: Marco Einfeldt)

Das renommierte Tanztheater "Zhyttya" erzählt in einer eindrucksvollen Multimedia-Darstellung die Geschichte der Ukraine. Noch in der Nacht nach dem Auftritt in Neufahrn reist die Truppe wieder zurück nach Lwiw. Im Gepäck 2550 Euro an Spenden, die an diesem Abend zusammengekommen sind.

Von Charline Schreiber, Neufahrn

Zwischen Schulplakaten zu Klima- und Plastikverschmutzung taucht das Bühnenlicht die Tänzer des ukrainischen Tanztheaters "Zhyttya" in blaue Farbe. Es ist Donnerstag, 20 Uhr. Die Stuhlreihen in der Aula des Oskar-Maria-Graf Gymnasiums sind belegt. Jung und Alt wollen hier heute sehen und hören, was das Theater ihnen zu erzählen hat. Ketten rascheln, die Rotoren eines Helikopters ertönen. Synchron zum Video im Hintergrund beginnt der erste Tanz.

Zhyttya bedeutet übersetzt "Das Leben". Das renommierte Tanztheater aus Lwiw gewann gemeinsam mit der Sängerin Ruslana Lyschytschko 2004 den Eurovision-Song-Contest in Istanbul, im Oktober vergangenen Jahres feierten sie ihr 35. Jubiläum. Unter der Leitung der Regisseurin Iryna Mazur haben die Artisten diverse Projekte realisiert. Nachdem vor acht Jahren die Krim annektiert wurde, war Mazur auf die Idee zu "Reminiszenzen.UA" gekommen. Reminiszenzen heißt Erinnerung. Erinnern wollen sie an die 300-jährige Geschichte der Ukraine. An Krieg und Angst und Unterdrückung. Aber auch an Glaube, Leben und Hoffnung.

Erinnern wollen sie an die 300-jährige Geschichte der Ukraine... (Foto: Marco Einfeldt)
...an Krieg und Angst und Unterdrückung... (Foto: Marco Einfeldt)
...aber auch an Glaube, Leben und Hoffnung. (Foto: Marco Einfeldt)

Auf der Bühnenleinwand erscheint die Jahreszahl 2022, dann wird runtergezählt, bis zum Jahr 1627. Hier beginnt die Chronik. In emotionalen Tänzen, Liedern und Videoinstallationen erzählen die Künstlerinnen und Künstler, wie der Ukraine ihre Sprache aberkannt wurde. Sie erzählen vom Erlass hunderter Dekrete des russischen Reichs zwischen 1627 und 1910, um die ukrainische Sprache zu verbieten. Erzählen davon, wie Museen, Bibliotheken und Schulen zerstört wurden, wie das Sowjetregime Anfang der zwanziger Jahre die Ukraine in zwei Kulturen einteilte - die städtisch-russische und die ländlich-ukrainische Kultur. Sie erzählen die Geschichte der Kreativ-Intellektuellen, von denen 80 Prozent in den dreißiger Jahren getötet worden seien, von der Novelle der "Sechziger", einer Oppositionsbewegung gegen die Sowjetunion.

"Butscha, Irpin, Mariupol - Städte im Zentrum Europas, die in Blut und Tränen ertrinken."

Dann kommen sie im Jahr 2022 an. "Es ist das 21. Jahrhundert!" prangert einer der Künstler an. "Butscha, Irpin, Mariupol - Städte im Zentrum Europas, die in Blut und Tränen ertrinken. Millionen Menschen wurden vertrieben, Tausende getötet, ausgeraubt, vergewaltigt."

Die Geschichte der Ukraine sei traurig, sagt Lesya Shramko-Kerres vom Dachverband der Ukrainischen Organisationen in Deutschland, ja, dramatisch. Die Aula des Oskar-Maria-Graf-Gymnasiums wirkt zeitweise fast ein bisschen zu einfach für die Theatralik der Künstler und die vielfältigen Kostüme. Sie erinnern an die Uniform der Soldaten, tragen das Symbol des Trysub, den Dreizack als nationales Symbol der Ukraine, auf der Brust und wechseln zu Gewändern mit dem ostslawischen Stickmuster am Körper. Durch Zitate von politischen Akteuren und Kurzgeschichten ukrainischer Kultureller, wird dem Publikum an diesem Abend die Geschichte vom Kampf der Unabhängigkeit der Ukraine nahe gebracht.

Die Kostüme erinnern an die Uniformen von Soldaten. (Foto: Marco Einfeldt)
Geplant war eigentlich nur ein Auftritt beim Katholikentag in Stuttgart. (Foto: Marco Einfeldt)

Angereist war die Gruppe eigentlich für einen Auftritt am Katholikentag in Stuttgart. "Es wäre so schade gewesen, wenn sie die Reise nur für einen Auftritt auf sich genommen hätten", sagt Shramko-Kerres. Deswegen sei sie mit der Neufahrner Flüchtlingshelferin Oskana Elbe in Kontakt getreten, die dem Tanztheater in Neufahrn sofort eine Bühne geben wollte. Unter dem Motto "Neufahrn hilft Lwiw", haben die Flüchtlingshelfer und Sprecherin Gabriele Ostertag-Hill die Aktion innerhalb einer Woche organisiert. Es habe lange gedauert, bis die Tanzgruppe überhaupt aus der Ukraine ausreisen durfte. Der Krieg erlaubt es den Männern nicht, das Land zu verlassen. In der Nacht nach dem Auftritt in Neufahrn reist Zhyttya wieder zurück nach Lwiw. Im Gepäck 2550 Euro an Spenden, die an diesem Abend zusammengekommen sind.

Über 300 Jahre habe Russland der Ukraine ihre Geschichte diktiert. "Die Ukraine soll ein freies Land werden", sagt Oskana Elbe. Dann korrigiert sie sich. "Die Ukraine soll ein freies Land bleiben." Das Land sei verwundet. Aber es sei auch stark und unbesiegt. "Sláva Ukraíni", Ruhm der Ukraine, ruft Sänger Nasar Sawko dem Publikum zu. Von dort kommt die Antwort: "Heróyam sláva!" Ruhm den Helden.

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