Vortrag über das Moosburger Stalag VII A:"Es platzte aus allen Nähten"

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Das Stalag VII A in Moosburg, das ursprünglich für 10 000 Gefangene geplant war, soll bei Kriegsende mit bis zu 70 000 Gefangenen aus zahlreichen Ländern belegt gewesen sein. (Foto: Stalag-Verein/privat)

Bis zu 70 000 Kriegsgefangene unterschiedlicher Nationen wurden Ende des Zweiten Weltkriegs im Moosburger Stalag VII A festgehalten. Dominik Reither referiert in Freising über einen Ort, der die Geschichte von Krieg, Entnazifizierung und Nachkriegszeit erzählt. Einen Ort, an dem zahlreiche Gefangene starben - und an dem Rugby hinter Stacheldraht gespielt wurde.

Von Lena Meyer, Freising

Es ist ein Bild, das unter die Haut geht. Eine Gruppe an Menschen, entkräftet und teilweise zerlumpt. Ihr Gefängnis: Das Stalag VII A, eines der größten Kriegsgefangenenlager des ehemaligen deutschen Reichs. Rund 1200 Menschen verlieren hier ihr Leben - ein Großteil davon sind sowjetische Gefangene, die bereits schwer verletzt und halb tot im Lager ankommen, dort Misshandlungen und Hunger erfahren oder unter schlechten Hygieneumständen sterben. Es ist ein Ort, der an die Schrecken und das Leid erinnert, mit denen Deutschland einst Europa und die Welt überzog. Und ein Ort, der sich beinahe direkt vor der eigenen Haustür befindet - in Moosburg.

Trotz unmittelbarer Nähe war das Stalag VII A "wenig, bis kaum erforscht", wie Dominik Reither anmerkt. Der gebürtige Moosburger, Richter in Landshut und Historiker, beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte der Kleinstadt; 2022 erhielt er den Kulturpreis der Stadt Freising. In der Aula der dortigen Korbinianschule spricht Reither an diesem Abend über dieses Stück "Neuland" der Landkreisgeschichte um den Zweiten Weltkrieg.

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Das Wort Stalag mutet nach einer für die Nationalsozialisten typische Abkürzung an. Tatsächlich umschreibt es das Wort Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager. Mit diesem durchaus sperrigen Begriff wird die Zentrale eines Lagerkomplexes beschrieben, in dem gefangene Soldaten festgehalten wurden. Was heute bebautes Land ist, erfüllte damals alle Kriterien eines Gefangenenlagers, das im September 1939 - kurz nach Beginn des Krieges - errichtet werden sollte. Doch mit dem Überfall auf Polen war "das Lager noch nicht fertig", so Reither, "erst im Frühjahr standen die festen Baracken". Die etwa 1400 polnischen Kriegsgefangenen wurden daher zunächst in Zelten festgehalten. Und das über den Winter. Mit Voranschreiten des Krieges wurden zudem Soldaten aus Frankreich, dem ehemaligen Jugoslawien, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion festgehalten sowie Soldaten aus Italien, die von den Nationalsozialisten als Verräter betrachtet wurden.

Die wahren Ausmaße des Stalags VII A zeigen Luftaufnahmen der US-amerikanischen Armee von 1945: Wachtürme, Baracken, die im steilen Winkel dicht an dicht stehen, aber auch Sport- und Spielplätze. Hier hatten die Gefangenen Möglichkeiten, sich körperlich zu betätigen. "Es hat teilweise richtige Wettkämpfe gegeben", führt Reither aus, unter anderem Boxkämpfe, Tennisspiele und auch Rugbyturniere. Auch Theatergruppen oder Orchester hätten sich gebildet. Reither berichtet sogar von einer Zeitschrift: Herausgegeben von französischen Gefangenen, soll sie über die verschiedenen Wettbewerbe und Turniere informiert haben. Und auch Gottesdienste seien abgehalten worden - das beweisen Fotografien, die die Gefangenen betend oder bei festlichen Umzügen durch das Lager zeigen.

Das alles hinter einem Zaun aus dichtem Stacheldraht. Diese Möglichkeiten mögen verblüffen, sollten allerdings nicht mit gutem Willen gegenüber den Gefangenen verwechselt werden: Inhaftierte sollten als Arbeitskräfte fungieren und sich daher in einer guten körperlichen Verfassung befinden und sich beschäftigen. Die Köpfe geschoren, mit einer Registrierungsnummer versehen, verweilten sie, bis sie als Arbeitskräfte in Landwirtschaft oder Industrie benutzt wurden. Denn die Wehrmacht, so Reither, plante "von Anfang an, Gefangene für Arbeitseinsätze einzusetzen".

Polnische, sowjetische und italienische Gefangene wurden misshandelt und schikaniert

Im Lager hatten Gefangene die Möglichkeit, Briefe und Pakete mit Nahrung oder Büchern zu erhalten. Auch Hilfsorganisationen, wie das amerikanische Rote Kreuz, hätten den Inhaftierten Hilfspakete zukommen lassen. Der Inhalt: Schokolade, Kakao, Zigaretten - Produkte, die es so bald in Deutschland nicht mehr geben sollte. Doch von Luxus konnte keine Rede sein. Polnische, sowjetische und auch italienische Gefangene wurden misshandelt und schikaniert. Nicht selten starteten Gefangene einen Fluchtversuch - davon schätzt Reither allerdings nur etwa zehn Prozent als erfolgreich ein. Bei misslungener Flucht erhielten die Gefangenen als potenzielle Arbeitskraft keine körperliche Bestrafung, sondern wurden unter Arrest gestellt.

Und während gerade Gefangene aus Großbritannien und den USA als am besten versorgt galten, sah das bei den sowjetischen Inhaftierten anders aus. Deren Kalorienbedarf befand sich täglich "unter dem Bedarf", sagt Reither, jeder Tag für sie ein "Kampf ums Überleben". Diesen Kampf schlugen die Gefangenen mit Kreativität. Aus Metall und Holz haben sie so etwa Spielzeug bauen und Moosburger Kindern über den Zaun entgegenwerfen können. Diese wiederum, so Reither, haben sich mit Brot für die Basteleien revanchiert.

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Bei all dem Brot und Spielzeug, das seinen Weg über den Stacheldraht fand - hatte die Moosburger Bevölkerung Kontakt zu den Inhaftierten? Jein. Dominik Reither erklärt, dass ein striktes Näherungsverbot galt. Und das sei hart vollstreckt worden. Ein Fotograf sei beispielsweise verhaftet worden, nachdem er Gefangene aus dem Lager porträtiert hatte. Ebenso Frauen, die mit den Menschen im Lager sprachen. "Für die Moosburger war das Stalag tabu." Nur die Kinder hatten das Verbot missachtet und die Spielzeuge der Gefangenen gegen Nahrung eingetauscht. Dennoch verloren rund 1100 sowjetische Gefangene ihr Leben im Stalag VII A. Tragischerweise sei dies dennoch im Vergleich zu anderen Lagern eine "geringe Todesrate", gibt Reither an.

Obwohl das Stalag VII A kein Konzentrationslager war, in dem Menschen vernichtet wurden, sollte es 1941 bis 1942 auf Juden und Arbeitsunfähigen durchsucht werden, mit dem Gedanken, diese zu erschießen. Offiziere des Moosburger Stalags widersetzten sich diesem Befehl jedoch. Eine Strafe für diese Gehorsamsverweigerung gab es nicht. "Den Offizieren ist nichts passiert", sagt Reither. Das wiederum zeige, dass "im Krieg Widerstand möglich" gewesen ist.

Inhaftierte wurden am Ende auch zwischen den Baracken unter freiem Himmel festgehalten

Ende des Krieges wurden sowohl das Stalag VII A als auch die Stadt Moosburg kampflos übergeben. Zuvor wurden Gefangene aus anderen Lagern nach Moosburg transportiert. Statt angedachten 10 000 Inhaftierten, befanden sich nun rund 70 000 Menschen im Gefangenenlager. "Es platzte fast aus allen Nähten", beschreibt Reither. Inhaftierte wurden "zwischen den Baracken unter freiem Himmel" festgehalten, bis sie 1945 von Soldaten der US-amerikanischen Armee befreit wurden.

Dieses Datum markiert das Ende der Gefangenschaft und des Leidens für viele zehntausende Menschen, die nach und nach in ihre Heimatländer zurückgebracht wurden. Das Ende für das Stalag ist es allerdings nicht. So erklärt Reither, dass nach dem Sieg der Alliierten auch deutsche Kriegsverbrecher dort inhaftiert wurden. Darunter sei auch ein Mitglied der Wannsee-Konferenz gewesen. Weit nach dem Krieg in den 1960er-Jahren seien zudem Gastarbeiter, unter anderem aus der Türkei, im Stalag untergebracht worden, ehe man eine geeignete Wohnung für sie finden konnte, so Reither. Seiner Meinung nach sei das Stalag "eine Möglichkeit, Geschichte an einem Ort nachzuvollziehen". Über "Krieg, Entnazifizierung" bis hin zur Nachkriegszeit.

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