Buchvorstellung in Moosburg:Den Ermordeten ein Gesicht geben

Buchvorstellung in Moosburg: Polnische Juden im Kriegsgefangenenlager Stalag VII A.

Polnische Juden im Kriegsgefangenenlager Stalag VII A.

(Foto: Stadtarchiv Moosburg)

"Von Moosburg nach Majdanek" zeichnet die Schicksale von 301 polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen nach, die vom Stalag VII A aus in den Tod geschickt wurden - nur ein Einziger überlebte.

Von Alexander Kappen, Moosburg

"Auch wenn das Stalag VII A kein Teil der Vernichtungsmaschinerie des Holocaust war und die polnisch-jüdischen Soldaten hier in erster Linie als Kriegsgefangene betrachtet wurden, besteht doch über die persönlichen Schicksale der Menschen eine Beziehung zwischen Moosburg und der Vernichtung der europäischen Juden, wird das monströse und in seiner Dimension kaum fassbare Verbrechen des Holocaust in der Lebensgeschichte der 301 polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen aus dem Stalag VII A begreifbarer."

Diese 301 Lebensgeschichten, auf die im letzten Satz ihres Buches noch einmal Bezug genommen wird, haben die Historiker Martin Pschorr, Karl Rausch und Dominik Reither sowie Stadtarchivar Wilhelm Ellböck in "Von Moosburg nach Majdanek" in mühevoller Kleinarbeit nachgezeichnet: anhand von Karteikarten aus dem Jüdischen Historischen Institut Emanuel Ringelblum in Warschau. Pschorr, Leiter des städtischen Stalag- und Neustadt-Museums, hatte von einem Kenner der Materie einen entsprechenden Hinweis bekommen.

Mit der Unterstützung von Reither, als Autor weiterer Bücher zur Moosburger Stadtgeschichte bekannt, Rausch, Vorstandsmitglied im örtlichen Stalag-Verein, und dem Stadtarchivar machte er sich auf die Spurensuche. An deren Ende entstand von Februar bis November 2022 dieses Buch über einen weiteren unrühmlichen Aspekt des Moosburger Kriegsgefangenenlagers Stalag VII A, dessen Untertitel in erschreckender Weise für sich spricht: "Der Weg polnischer Juden aus der Kriegsgefangenschaft in den Tod."

Von den 301 polnisch-jüdischen Soldaten, die aus dem Stalag VII A letztlich ins SS-Zwangsarbeitslager Lipowa 7 im von Nazi-Deutschland besetzten Ostteil Polens deportiert wurden, überlebte am Ende nur ein Einziger: Josef Reznik, der später als Zeuge im Prozess gegen Adolf Eichmann aussagte. Letzterer hat als Mitarbeiter im Reichssicherheitshauptamt die Verfolgung, Vertreibung und Deportation mitorganisiert und war so "für die Ermordung von sechs Millionen Menschen im Holocaust mitverantwortlich", schreibt Dominik Reiter in dem Buch, das die Autoren am Donnerstag im Moosburger Feyerabendhaus vorstellten.

Während des Zweiten Weltkriegs richtete die SS im von Deutschland besetzten, aber nicht dem Reich angegliederten Ostteil Polens, dem Generalgouvernement, nicht nur Zwangsarbeitslager wie Lipowa 7 im Distrikt Lublin ein, sondern auch Vernichtungslager wie Treblinka, Sobibor, Belzec und eben Majdanek. In Lublin, so schreiben Pschorr und Ellböck im Vorwort des Buches, gerieten auch die polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen aus dem Stalag VII A "in die Mühlen systematischer Vernichtung jüdischer Menschen". Die Gefangenen in Lipowa 7 mussten unter schwierigsten Bedingungen arbeiten, nur die wenigsten überlebten. "Trauriger Höhepunkt" einer von der SS als "Aktion Reinhard" bezeichneten Mordaktion sei die "Operation Erntefest" gewesen, bei der am 3. und 4. November 1943 im deutschen Vernichtungslager Majdanek 43 000 jüdische Menschen umgebracht wurden.

Mit der Deportation nach Lublin verloren sie ihre Rechte als Kriegsgefangene

Das Perfide war, dass die polnischen Juden im Stalag VII A - die Ersten kamen dort am 19. Oktober 1939 an, als das Lager längst noch nicht fertig war - als Kriegsgefangene eigentlich besondere Rechte hatten. In Moosburg seien sie auch genauso behandelt worden wie alle anderen Kriegsgefangenen ihrer Nationalität, erläuterte Pschorr bei der Buchvorstellung. Allerdings seien Polen im Stalag generell schlechter behandelt worden als etwa Franzosen oder Amerikaner, die für ihre Arbeitseinsätze auch besser bezahlt wurden. Dadurch, dass die polnischen Juden ins Arbeitslager nach Lublin gebracht wurden, verloren sie ihren Status als Kriegsgefangene und die damit verbundenen Rechte. "Sie waren dort in den Händen der SS, das war für Kriegsgefangene so nicht vorgesehen", betonte Pschorr. "Sie wurden nicht in Moosburg erschossen - aber ihr Aufenthalt im Stalag in Moosburg war die Bedingung, dass sie später in Majdanek erschossen wurden", sagte Reither.

Buchvorstellung in Moosburg: Mit ihrem Buch wollen Wilhelm Ellböck, Martin Pschorr, Karl Rausch und Dominik Reither den polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen aus dem Stalag VII A, die später im deutschen Vernichtungslager Majdanek umgebracht wurden, ein Gesicht geben.

Mit ihrem Buch wollen Wilhelm Ellböck, Martin Pschorr, Karl Rausch und Dominik Reither den polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen aus dem Stalag VII A, die später im deutschen Vernichtungslager Majdanek umgebracht wurden, ein Gesicht geben.

(Foto: oh)

Ziel des Buches sei es, das betonten die Autoren immer wieder, den ermordeten ehemaligen Gefangenen des Stalag VII A "ein Gesicht zu geben, auch wenn es abgedroschen klingt", so Pschorr, "wenn man immer nur die Zahlen hört, etwa dass 1,5 Millionen Menschen im Generalgouvernement umgebracht wurden, sagt das ja gar nichts über die Menschen aus". Von dem 414 Seiten starken Buch sind "nur" rund 110 Seiten Text, der Rest sind die Abbildungen aller 301 Karteikarten. "Es war uns wichtig, diese alle zu drucken, damit man die Gesichter sieht, das sind Menschen, die haben Berufe und Verwandte", so Reither. Denn auch diese Informationen sind auf den Karteikarten dokumentiert. Aus den rund 3000 Karteikarten aus dem Warschauer Institut über polnisch-jüdische Gefangene in Lipowa 7 mussten mühevoll jene herausgesucht werden, die aus dem Stalag VII A kamen. Karl Rausch überführte ihre Daten in Excel-Tabellen. Das Jüdische Historische Institut, so die Autoren, habe die Veröffentlichung der Informationen über die Gefangenen aus dem Moosburger Stalag genehmigt und somit "die Herausgabe des Buches erst ermöglicht".

"Von Moosburg nach Majdanek - Der Weg polnischer Juden aus der Kriegsgefangenschaft in den Tod"; Verlag: BoD - Books on Demand; ISBN: 978-3-7568-6069-2

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