Ehemaliges Kriegsgefangenenlager:Ein Stück Sozialgeschichte

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Die Baracke an der Schlesierstraße mit der Hausnummer 5 war im früheren Stalag VII A eine Offiziersbaracke des Landesschützenbataillons. (Foto: Johannes Simon)

Eine Befundanalyse ergibt, dass ein Erhalt der drei verbliebenen Wachbaracken des Stalag VII A in Moosburg technisch möglich und wünschenswert ist. Die Frage ist, wer es macht und zahlt und wie es mit der geplanten Schulerweiterung vereinbar ist.

Von Alexander Kappen, Moosburg

Am Ende ließ Christian Kayser keinen Zweifel daran, dass es "wünschenswert wäre, alle drei Baracken zu erhalten". Der Architekt und Spezialist für Baugeschichte hat eine Befundanalyse für die drei noch stehenden Wachbaracken des früheren Stalag VII A in Moosburg, eines der größten Kriegsgefangenenlager des ehemaligen Deutschen Reiches, erstellt und präsentierte die Ergebnisse diese Woche im Stadtrat.

Es handele sich um drei unterschiedliche Gebäudekonstruktionen mit drei unterschiedlichen Funktionen. Und durch die verschiedenen Bau- und Nutzungsphasen als Kriegsgefangenenlager, Internierungslager der Amerikaner, Unterkunft für Heimatvertriebene, später Gastarbeiter und noch später Obdachlose "haben sie einiges an Aussagekraft über die Sozialgeschichte der vergangenen 70 Jahre, was dem Landesamt für Denkmalpflege sehr am Herzen liegt", sagte Kayser.

Aber da sei auch "die Last wegen der Bausubstanz". Laut Kayser handelt es sich nicht nur um "ein wichtiges Denkmal", sondern auch um ein "komplexes und sehr schwieriges". Komplex und schwierig ist die Angelegenheit auch für den Stadtrat, weil der nach Jahren des Tauziehens entscheiden muss, wie es mit den denkmalgeschützten Baracken weitergehen soll.

Angetan waren sie im Gremium alle von der fundierten, aufschlussreichen und sehr kurzweilig vorgetragenen Analyse des Architekten. So präsentierte Kayser etwa die "Dienstanweisung über Raumbedarf, Bau und Einrichtung eines Kriegsgefangenenlagers". Datiert auf den 14. März 1939, "also noch vor Beginn des Krieges, der dann komischerweise plötzlich ausgebrochen ist", so der Architekt. Nach dieser Muster-Anweisung als ein Beleg, wie sich Nazi-Deutschland gezielt auf seinen Angriffskrieg vorbereitet hat, wurde im Wesentlichen auch das Stalag VII A in Moosburg gebaut.

Neben dem "Unteren Lager" für die Gefangenen entstand ab Herbst 1939 das "Obere Lager" für die Wachmannschaften, um das es aktuell geht. Dieses bestand ursprünglich aus zwölf Gebäuden und hatte, als Moosburger Spezifikum, auch ein Besucherhaus, ein Hundehaus und eine Kegelbahn. Bis Mitte der 1980er-Jahre war das Lager komplett erhalten. Vor allem in den 1990er-Jahren begann dann der Abriss zahlreicher Baracken.

Auch Fensterläden aus der Bauzeit sind noch erhalten. (Foto: Johannes Simon)
Der Waschbereich in der Baracke Nummer 5. (Foto: Marco Einfeldt)
Viele Böden, hier der Flur, sind noch bauzeitliche Substanz. (Foto: Marco Einfeldt)

In den drei noch stehenden Gebäuden seien "die Elemente der Bauzeit im Wesentlichen noch sehr gut erhalten", sagte der Architekt und nannte etwa die Fensterläden oder den Putz, aber auch Waschräume und Toiletten. "Auch bei den Böden haben wir überwiegend noch die bauzeitliche Substanz", so Kayser. Bei den drei Baracken handelt es sich um eine Offiziersbaracke des Landesschützenbataillons (Hausnummer 5), eine Baracke für Unteroffiziere und Mannschaften der Lagerkommandantur (Nummer 3) sowie um die Baracke der Lagerkommandantur (Nummer 1). Letztere sei "etwas luxuriöser" und habe etwa "größere Klos und Seiteneingänge", erläuterte Kayser. Der hintere Teil dieses Gebäudes wurde 2006 abgerissen, weil es durch einen umgestürzten Baum beschädigt worden war.

Nach Kriegsende folgten verschiedene Bau- und Nutzungsphasen, in denen die Gebäude baulich aber auch von der Einrichtung her verändert wurden. Vieles ist heute noch im Inneren der Baracken zu sehen. Von 1945 an nutzten die Amerikaner das Stalag im Zuge der Entnazifizierung als Internierungslager, ab April 1948 ließen sich Heimatvertriebene dort nieder und von 1961 an Gastarbeiter. Nach 1990 wurden die Baracken dann als Obdachlosenunterkünfte genutzt.

Noch heute sieht man im Inneren der Baracken, wie diese nach dem Krieg genutzt wurden. (Foto: Marco Einfeldt)
Ein später als Wohnzimmer umgebauter Raum der Baracke Nummer 3, in der im Stalag Unteroffiziere und Mannschaften der Lagerkommandantur untergebracht waren. (Foto: Marco Einfeldt)

Die Baracken seien alle in einer relativ einfachen Bauweise mit einer Mauerstruktur ohne große Finessen errichtet worden und sind demnach "grundsätzlich aus rein technischer Sicht nicht besonders schwierig zu erhalten", sagte der Architekt auf Nachfrage von Alexander Strobl (Linke). "Aber es ist die Frage: Was macht man damit?" Wolle man die Gebäude museal nutzen, müsse man sich mit dem Thema Haustechnik et cetera beschäftigen. Die Dachkonstruktionen seien zudem "ein etwas problematischer Bereich, in dem man sich nicht gerne länger aufhält", weil dort gesundheitsgefährdendes Material verbaut wurde.

Im Stadtrat war man sich einig, dass irgendwann geklärt werden müsse, wie es mit den denkmalgeschützten Baracken weitergeht. Die Stadt hat bereits vor mehr als einem Jahrzehnt einen Abbruchantrag gestellt, weil sie Platz für die Erweiterung ihrer Schulen braucht. "Dass wir den Antrag, die Baracken 3 und 5 abzureißen, irgendwann mal zurücknehmen müssen, ist mir klar, das ist nicht mehr realistisch", sagte Bürgermeister Josef Dollinger (FW) in der Sitzung. "Aber alle drei müssen wir nicht erhalten, man muss einen Kompromiss finden." Einen solchen fordert auch CSU-Fraktionssprecher Rudolf Heinz. Die Baracken seien "gebaute Zeitzeugen, die für die Erinnerungskultur wichtig sind". Andererseits müsse man dem Bedarf der Schulen gerecht werden.

Der Aufbau und Betrieb einer Gedenkstätte übersteigt die Möglichkeiten der Stadt

Auch Martin Pschorr (SPD) mahnte: "Wir sollten die Kinder nicht vergessen." Und wenn man aus den Baracken ein Museum oder Dokumentationszentrum über das Stalag VII A, in dem während des Zweiten Weltkriegs insgesamt mehr als 150 000 Gefangene registriert wurden, machen wolle, "brauchen wir eine solide Finanzierung". Johannes Becher (Grüne) brachte deshalb wieder die Idee eines Zweckverbands ins Spiel. "Der Betrieb einer solchen Gedenkstätte übersteigt die Möglichkeiten der Stadt Moosburg", deshalb gelte es, alle möglichen Fördertöpfe bis hin zur EU anzuzapfen.

Die Kombination aus Kriegsgefangenenlager, Internierungslager, Heimatvertriebenen- und Gastarbeiterunterkünften "gibt es so sonst sicher nirgends", meinte Kayser. Daher glaube er, dass es nicht schwierig sei, Fördermittel für dieses Projekt zu bekommen. Seine Analyse wurde übrigens auch zu 100 Prozent aus zwei verschiedenen Fördertöpfen finanziert. Skeptischer war da der Bürgermeister und verwies auf die letzte Gefangenen-Unterkunft der Stadt, die Sabathiel-Baracke: "Da haben wir für eine Investition von 100 000 Euro einen Förderbescheid über 1500 Euro bekommen."

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