Vor ein paar Wochen hat die Schule in Bayern wieder begonnen. Auch in Freising fällt da einmal mehr ins Auge, was die Schüler vor allem umtreibt: die richtigen, also die coolen Klamotten. "Das Markenbewusstsein der Jugendlichen steigt merklich. Vor allem auch durch teure Marken drücken sie ihre Identität aus", erklärt Hans-Joachim Röthlein, Schulpsychologe am staatlichen Schulamt im Landkreis Freising. Emerica, Neff, Nitro, Volcom, Vans - so heißen die Marken der Skater-Jugend, die man schon bei Grundschulkindern entdecken kann. An den weiterführenden Schulen sind auch Labels von Dolce&Gabbana auf Hosen oder Gucci auf den Taschen der Mädchen keine Seltenheit mehr.
Das deutlich steigenden Markenbewusstsein der Schüler bringt allerdings Probleme mit sich: "Es hat auch immer einen exklusiven Beigeschmack", findet Röthlein. Vor allem in der Pubertät sei es wichtig, zu einer Gruppe zu gehören. Das funktioniere dann über die Verwendung einer Jugendsprache oder eben auch über Markenkleidung. Durch die Werbung werde den Kindern und Jugendlichen suggeriert, dass sie nur dazugehören können, wenn sie eine bestimmte Marke tragen.
Nicht jeder, der sich die teueren Kleidungsstücke nicht leisten könne, wird aber zwangsläufig gemobbt, so der Schulpsychologe. "Mein persönlicher Erfahrungswert ist, dass es vielmehr mit der Persönlichkeit eines Kindes oder Jugendlichen zusammenhängt, wenn es von den anderen schikaniert wird. Die soziale Kompetenz und wie so jemand auf Hänseleien reagiert, ist ausschlaggebender, ob er zum Mobbing-Opfer wird als alles andere", meint Röthlein.
So gebe es zum Beispiel auch Schüler, die sich der alternativen Szene zugehörig fühlen und daher aus Überzeugung keine Markenkleidung tragen. Diese Jugendlichen seien meist sehr selbstbewusst; die alternative Kleidung gelte dann eher als Markenzeichen denn als Anlass zum Mobbing.
Bei den Grundschulkindern kann sich Röthlein aus entwicklungspsychologischen Gründen nicht vorstellen, dass das Markenbewusstsein von den Kleinen selbst ausgehe: "Dafür sind sie eigentlich zu jung, das kommt erst mit der Pubertät. Hier sind es häufig die Eltern, die ihre Kinder beeinflussen. Dass sich das Markenbewusstsein dann auch auf die Kinder überträgt und sie es als ein wichtiges Kriterium empfinden, geht also nicht auf ihre eigene Persönlichkeit zurück, sondern auf die der Eltern."
In der Grundschule komme es ebenfalls bereits häufig zu Mobbing-Fällen, erzählt Röthlein. "Hier ist das Hauptthema allerdings der Übertritt ans Gymnasium. Der ist ja auch häufig gekoppelt mit der finanziellen Situation der Eltern. Diese spiegelt sich wieder in der Kleidung der Kinder. Man sieht also, dass es eine Reihe von Anhaltspunkten gibt, die beim Thema Mobbing alle zusammenspielen." Der Schulpsychologe ist deshalb davon überzeugt, dass Schuluniformen einige Probleme lindern könnten: "Das macht durchaus Sinn, weil soziale Ungleichheiten unter den Schülern nicht mehr sofort erkennbar sind."
Röthlein beobachtet noch ein weiteres Problem: "Meiner Einschätzung nach sinkt die Bereitschaft der Schüler, sich gegen soziales Unrecht wie Mobbing zu engagieren. Die Meinungsführer unter den Jugendlichen, die man früher dafür gebraucht hat, werden immer weniger, weil auch sie sich der Gefahr ausgesetzt sehen, nicht mehr dazuzugehören." Röthlein empfindet diese Entwicklung als schleichenden, gesamtgesellschaftlichen Prozess: Die Bereitschaft zum Engagement für Schwächere sinke, während die Bereitschaft, sich auf Kosten seiner Mitmenschen zu profilieren, stetig steige.