Mit seiner Ankündigung, dass es eventuell nach den Sommerferien wieder Wechselunterricht an den Schulen geben werde, löste Gesundheitsminister Jens Spahn am vergangenen Wochenende Empörung aus. Auch die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina sprach sich für den Präsenzunterricht, als "die effektivste Art des Lernens" aus. Die Defizite, die gerade Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien während der Pandemie erlitten haben, seien teils enorm, heißt es in der Stellungnahme weiter.
"Der Präsenzunterricht ist sicher der beste, aber nur, wenn es die Inzidenzen erlauben", sagt Kerstin Rehm, Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). Grundsätzlich, so sagt Rehm, habe die Leopoldina mit allem recht. Auch mit ihrer Forderung, dass durch verschiedene Angebote die pandemiebedingten Defizite kompensiert und die Bildungsungleichheit, die nun noch einmal verstärkt wurde, abgebaut werden müssten. Von notwendigen Förderinstrumenten sprach die Leopoldina beispielsweise, von einem Ausbau der Angebote im Bereich Bewegung - und davon, dass Lehrkräfte für psychische Probleme besser sensibilisiert werden müssten. "Ich sage zu allem ja, aber dass können definitiv nun nicht auch noch die Lehrkräfte leisten. Die sind sowieso schon absolut am Anschlag", sagt Rehm.
Gerade bei Kindern aus Migrationsfamilien wäre eine Sprachförderung "dringend notwendig"
Gerade bei Kindern aus Migrationsfamilien wäre beispielsweise eine Sprachförderung "dringend notwendig", aber dafür brauche man eben mehr neues Personal. Auch in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern gebe es Defizite, stellt Rehm fest. Und tatsächlich gebe es immer mehr Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen. Natürlich müssten die Lehrer dafür sensibilisiert sein, das seien sie aber schon jetzt - "lösen können sie die Probleme aber nicht, das müssen die Experten, also Psychologen und Therapeuten, leisten".
Verschärft werde die ohnehin schwierige Situation durch den eklatanten Lehrermangel, stellt Kerstin Rehm fest. "Wir steuern in eine unaufhaltsame Krise hinein." Zwar heiße es immer wieder vom Kultusministerium, es gebe keinen Mangel, wenn alle Lehrer Vollzeit arbeiten würden. Aber der Beruf sei als Vollzeitberuf einfach nicht mehr zu leisten, erklärt Rehm. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen würden ihre Stundenzahl reduzieren, weil sie am Limit seien - auch psychisch. "Was soll der einzelne Lehrer, Mensch, eigentlich noch alles leisten - das ist unglaublich", empört sie sich.
Dass inzwischen auch der Lehrernachwuchs fehlt, ist für Rehm nicht erstaunlich
Inzwischen fehle aber auch der Lehrernachwuchs. Für Rehm ist das nicht erstaunlich: "Wenn man immer mehr Forderungen an die Lehrkräfte stellt, dann ist dieser Beruf einfach nicht mehr attraktiv." In den Sommerferien beispielsweise soll es nun Brückenangebote geben, um in der Pandemie Versäumtes nachholen zu können. "Eigentlich eine nette Sache", sagt Rehm. Die Rektoren seien es nun aber wieder einmal, die die Pläne des Kultusministeriums umsetzen müssen. So sei es auch ihr Job, die notwendigen Leute für dieses Angebot einzustellen.
Unterricht in der Pandemie:Geteilte Gruppen, großer Aufwand
Von Montag an müssen die Klassen an den meisten Schulen im Landkreis Freising wegen der Corona-Auflagen geteilt werden - eine Hälfte wird dann jeweils digital unterrichtet. Für die Pädagogen ist das eine große Belastung.
Die Schulleitungen müssten sehr kreativ werden, um Kräfte über Personalportale zu akquirieren und deren Finanzierung zu organisieren, berichtet Sabine Jackermaier, Rektorin der Freisinger Grund- und Mittelschule Neustift. "Der Aufwand ist enorm." Brückenangebote an sich seien zwar eine gut gemeinte Idee: "Es macht auf jeden Fall Sinn, in Zusatzkursen oder individueller Unterstützung jedweder Form, Kinder zu fördern." Aber das geschehe auch bereits im Rahmen der personellen Möglichkeiten an den Grund- und Mittelschulen. Und beim Personal werde es schwierig, denn mit dem zugewiesenen Stundenkontingent der Lehrkräfte gebe es keinen Spielraum mehr. "Es gilt momentan, intern erkrankte Lehrkräfte zu vertreten, weil keine Mobile Reserve mehr zur Verfügung steht", erklärt Jackermaier. Mit dem bestehenden Lehrerkollegium noch Förderangebote zu stemmen, sei nicht möglich, der Pflichtunterricht habe Vorrang.
Auch an der Grundschule in Haag haben einige Kinder Defizite durch die Pandemie
Auf der Homepage des Kultusministeriums habe sie für das Brückenangebot kürzlich gerade einmal drei Einträge für den Landkreis Freising gefunden - "und das waren alles nicht-pädagogisch vorgebildete Leute", erzählt Daniela Nager, Leiterin der Marina-Thudichum-Grundschule in Haag. Ihre Schule sei nur eine kleine Landschule, aber auch hier habe es durch die Corona-Pandemie bei den Schülern einige Defizite gegeben, vor allem Sozialkompetenzen seien auf der Strecke geblieben. Die entstandenen Lücken bei Lerninhalten dagegen seien nicht besonders groß, schildert Nager. Was Schulen inzwischen aber alles bieten sollen, sei angesichts des Lehrermangels nicht mehr zu erfüllen. "Es gibt einfach kein Personal dafür." Verschiedene, eigentlich notwendige Förderangebote mussten bereits gestrichen werden. "Man muss die Grenze des Machbaren sehen."
Eigentlich, so sagt Nager, wäre es besser, wenn nun alle - Schüler, Eltern und Lehrer - in den Sommerferien durchschnaufen könnten und es danach im Herbst mit einem normalen Regelbetrieb weiterginge.