Fünf Wochen S-Bahn-Sperre:Das große Chaos ist ausgeblieben

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Noch eine gute Woche lang warten die Schienenersatz-Busse am Freisinger Bahnhof auf ihre Fahrgäste. Dann ist die große Bahnsperre zwischen Freising und Feldmoching vorbei. Von Dienstag, 11. September, an fährt wieder die S-Bahn. (Foto: Marco Einfeldt)

Pendler stellen sich dem Schienenersatzverkehr zumeist mit einer gewissen Gelassenheit. Lob für die Bahn gibt es sogar von der Polizei.

Von Angelina Knauer, Petra Schnirch, Thilo Schröder und Alexandra Vettori, Freising

Seit fünf Wochen ist die Bahnlinie von Freising nach München gesperrt, Busse transportieren stattdessen die geschätzt 50 000 Pendler am Tag. Das befürchtete Durcheinander im Schienenersatzverkehr ist ausgeblieben, das betont ein Sprecher der Bahn: "Wir haben eindeutig den Eindruck: Dieses Chaos hat nicht stattgefunden", sagte er. Sein Fazit: "Es hat gut geklappt." Planmäßig zum Schulstart am Dienstag, 11. September, wird der Zugverkehr wieder aufgenommen. Wo genau man derzeit steht mit dem Verlegen neuer Gleise und Weichen auf der 33 Kilometer langen Baustelle, das will er nicht verraten. Am kommenden Mittwoch lädt die Bahn zur Pressekonferenz, dann gibt es die offizielle Bilanz. Die Sperre hat die Bahn auch genutzt, um die Bahnhöfe in Unterschleißheim und Lohhof behindertengerecht umzubauen, mit diesen Arbeiten, räumt er ein, werde man in einer Woche nicht komplett fertig sein, lediglich der Bahnbetrieb sei gewährleistet. Die SZ hat Erfahrungsberichte gesammelt.

"Es klappt gut"

Ingrid Richter ist als Disponentin am Freisinger Bahnhof während der Bauarbeiten tätig. Sie hilft den Fahrgästen, wenn diese Fragen zu den Schienenersatzbussen haben und weist sie dem richtigen Verkehrsmittel zu. "Es klappt gut", sagt auch Richter. Die Pendler seien dankbar für die Hilfestellung. Richter ist auch dafür zuständig, den Busfahrern den Startschuss zu geben. "Wenn man jemanden angelaufen kommen sieht, kann man die Busse auch mal ein bis zwei Minuten länger warten lassen", sagt die Disponentin. Und sollten sie einem doch vor der Nase wegfahren, sei eine Wartezeit von maximal zehn Minuten für ein Konstrukt, das den Ersatzverkehr regelt, wirklich mehr als gut.

Puffer vor Prüfungen

Die junge Frau in der S-Bahn kennt den Weg von München nach Freising gar nicht anders als im Bus. Sie hat Anfang August eine Praktikumsstelle in der Domstadt angetreten, das mehrfache Umsteigen ist für sie also eine Selbstverständlichkeit. "Ich habe mich von Anfang an auf eine eineinhalbstündige Fahrt zum Arbeitsplatz eingestellt", erklärt sie. Die Praktikantin findet es sogar ganz angenehm, dadurch habe sie die Zeit, abzuschalten oder ein Buch zu lesen. "Außerdem gibt es Wege, um die Strecke abzukürzen", sagt sie und meint zum Beispiel die Fahrt mit dem Schienenersatzbus vom Freisinger Bahnhof zum Besucherpark. "Dadurch spart man Zeit und wird zusätzlich von den Busfahrern nett begrüßt und verabschiedet."

Kritischer sieht Nirma Delibasic den Schienenersatzverkehr. Sie macht derzeit ihren Master in Technologie und Biotechnologie der Lebensmittel an der Technischen Universität München und muss zu ihren Prüfungen ans Wissenschaftszentrum Weihenstephan nach Freising fahren. Für sie erweist sich der SEV als sehr umständlich. Die junge Frau muss wegen der Bauarbeiten bis zu fünf Mal pro Fahrt umsteigen. "Ich fahre bis zu zwei Stunden in die eine Richtung", klagt sie. Beim Umsteigen verliert sie viel Zeit. "Die öffentlichen Verkehrsmittel sind nicht koordiniert und fahren einem vor der Nase weg", so ihre Erfahrungen. Um trotz möglicher Zugverspätungen und -ausfälle pünktlich zu sein, rechnet die Studentin vor Prüfungen eine Stunde als Puffer mit ein.

Karin L. dagegen ist eine erfahrene Pendlerin. Sie fährt die Strecke von München nach Freising schon seit etlichen Jahren, ihr Urteil fällt insgesamt positiv aus. "Alles klappt wie am Schnürchen", so ihre Meinung zum Schienenersatzverkehr. Nur mit den Bussen hat sie so ihre Probleme: "Die brauchen ewig. Eigentlich wäre die Strecke in zehn Minuten zu bewältigen, doch der Bus braucht mindestens das Doppelte an Zeit."

Freie Platzwahl

Gute Erfahrungen macht auch eine Fahrgast, der nach Landshut will. Es ist später Nachmittag. Es sind noch zehn Minuten bis zur Abfahrt und der Zug steht schon im Freisinger Bahnhof. Zwar an einem anderen Bahnsteig als üblich, aber bevor man noch über die Treppe oben angekommen ist, fragen die hilfsbereiten Einweiser bereits, wo man denn hin will - trotz der ungewohnten Doppelstock-Optik der Wagen ist es das richtige Gleis. Der Zug ist fast leer, freie Auswahl, während man sonst um diese Zeit oft Probleme hat, überhaupt einen Sitzplatz zu finden. Ein Traum. Wer mit Startpunkt Freising in Richtung Landshut fahren will, zählt zu den Gewinnern des Schienenersatzverkehrs. Kurz vor Abfahrt hetzen dann noch einige Pendler herein, die aus Richtung Flughafen oder München kommen. Sie sehen deutlich weniger entspannt aus.

Wüste Beschimpfungen

Der gläserne Fußgängertunnel, der am Besucherpark beim Flughafen den S-Bahn-Steig und die Bushaltestelle verbindet, kann wohl als Inbegriff visueller Transparenz gelten. Gerade in Zeiten des SEV ist das sehr praktisch. Wer aus München kommend nach einer ausgedehnten Bahnfahrt den kurzen Fußmarsch rüber zum Bus nach Freising zurücklegt, kann schon von weitem und aus großer Höhe sehen, ob es sich lohnt zu spurten oder ob der nächste Bus noch gar nicht da ist. Doch es gibt auch eine dritte Konstellation, die einen Fahrgast kürzlich ziemlich auf die Palme gebracht hat: Beim Blick durch die Glasverkleidung musste er mit ansehen, wie ein Bus genau vor seiner Nase davonfuhr - was ihn derart erzürnte, dass er, neben wüsten Beschimpfungen, dem metallenen Tunnelgeländer einen kräftigen Tritt versetzte. Ist aber auch ärgerlich, schließlich hätte der Busfahrer den fluchenden Fahrgast ja durchaus bemerken können - wenn er denn ausgestiegen wäre und aufmerksam schräg hoch nach hinten Richtung Fußgängertunnel geblickt hätte. Kann halt nicht jeder immer in die Röhre schauen.

Den Mut verloren

Wer an der regulären S-8-Bahnstrecke zwischen München und Flughafen wohnt, muss sich derzeit wie im siebten Pendlerhimmel fühlen. Statt im 20-Minuten-Takt fährt dort dank SEV alle zehn Minuten eine S-Bahn, mal eine S 1, mal eine S 8. Immer aber mit der Kennzeichnung "Flughafen", schildert Deborah Bichlmeier, die in Freising arbeitet. Freitagmorgen habe sie am Ismaninger Bahnhof gewartet, als die Durchsage kam, die nächste S-Bahn Richtung Flughafen falle aus. Schade, heute also mal kein SEV-Luxus, dachte sie sich. Zehn Minuten später ertönte eine laute Hupe - und eine S-Bahn inklusive Fahrgästen brauste in hohem Tempo durch, eine warnende Durchsage gab es nicht. Den Grund dafür weiß eine Pendlerin, die sich just in der Bahn befand: Schon am Leuchtenbergring, berichtet sie, habe es im Zug eine Durchsage gegeben, dass man aufgrund einer Verspätung die Haltepunkte Unterföhring und Ismaning auslasse. Bis zum Ismaninger Bahnsteig ist das offenbar nicht durchgedrungen. Zehn Minuten später habe eine weitere S-Bahn am Bahnsteig gehalten, erzählt Bichlmeier. Diese sei mit "Freising" gekennzeichnet gewesen. Etwas misstrauisch sei sie eingestiegen. "Ich dachte mir: Da bin ich mal mutig." In der Bahn seien kaum Leute gewesen. Am Besucherpark sei sie doch lieber ausgestiegen, sagt sie, und habe den SEV-Bus nach Freising genommen.

Keine Beschwerden

Voll des Lobes ist die Freisinger Polizei für den Schienenersatzverkehr der Bahn. "Das läuft ganz gut, besser als erwartet. Wir haben keine Probleme", sagt der stellvertretende Dienststellenleiter Michael Ertl. Der Leiter des Fachbereichs Verkehr, Josef Deml, kann nur zustimmen: "Das haut gut hin. Wir haben keine Staus wegen der Busse und keine Beschwerden bisher." In der Planungsphase habe es ein wenig Hickhack gegeben, weil die Bahntochter Aurelis der Bahn die Fläche erst nicht zur Verfügung stellen wollte, wo jetzt der Behelfs-Busparkplatz eingerichtet ist. "Dafür, wie viele Leute da täglich abgefertigt werden, läuft es wirklich gut. Da muss man die Bahn auch mal loben", so Deml.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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