Kinder im Holocaust:"Jedes einzelne stand für seine Generation"

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Das Foto von Rosa Wurman-Wolf entstand während des Zweiten Weltkriegs in einem Kinderheim in Weezembek, Belgien. Sie überlebte den Holocaust. (Bild aus der Sammlung Yad Vashem) (Foto: Marco Einfeldt/Marco Einfeldt)

Die von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem konzipierte Ausstellung "Sterne ohne Himmel" widmet sich dem Leben der Kinder im Holocaust. Nun ist sie auch in Eching zu sehen.

Von Francesca Polistina, Eching

Kurz bevor das Ghetto von Bratislava liquidiert wurde, gelang es Elizabeth Silberstein, ein Versteck für ihre Töchter Eva und Vera zu finden. Die zwei Mädchen wurden jedoch verraten und folglich nach Auschwitz-Birkenau geschickt. "Die Worte meiner Mutter klangen in meinen Ohren - dass ich die große Schwester sei und in jeder Situation auf Vera aufpassen müsse", erzählte Jahre später Eva, die damals 15 Jahre alt war. Deshalb bewegte sie sich zunächst keinen Zentimeter, als sie nach rechts und ihre zwei Jahre jüngere Schwester nach links gewiesen wurde. Ob sie bei ihrer Schwester bleiben könnte, fragte sie den SS-Arzt. Nein, antwortete er, denn "sie muss in die Schule gehen, und du musst arbeiten". Also lief die kleine Schwester fröhlich weg. Es war das letzte Mal, dass Eva sie sah.

Das tragische Schicksal der Schwestern Silberstein ist Teil einer Wanderausstellung der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die durch Europa tourt und gerade in Eching Stopp macht. "Sterne ohne Himmel. Kinder im Holocaust", so der Name der Ausstellung, die bis zum 14. Dezember im Bürgerhaus zu sehen ist, stellt einen besonderen Aspekt des Holocaust in den Mittelpunkt: die gestohlene Kindheit der jüdischen Kinder.

Schätzungen zufolge waren unter den 6 Millionen ermordeten Juden auch etwa 1,5 Millionen Kinder. Sie wurden von den Nazis geschlagen, erschossen, erhängt und vergast, sie verhungerten und erfroren, sie wurden Opfer von perversen Experimenten. Diejenigen Kinder, die überlebten, mussten jahrelang getrennt von der Familie leben, etwa weil die Eltern und Verwandten sie in Kinderheime oder in ein Versteck gegeben hatten oder selbst in ein Konzentrationslager deportiert wurden. "Während des Holocaust brach die Familie als Einheit auseinander", liest man in der Ausstellung. Die Kinder verloren ihre Heimat und ihr Zuhause, ihre Sicherheit und Geborgenheit. Meistens hatten sie keine andere Wahl, als völlig auf sich allein gestellt um ihr Überleben zu kämpfen.

"Spiel war eine Art von Rettungsanker"

Mit einer Auswahl von Zeichnungen, Gedichten und Briefen will die Ausstellung einen berührenden Einblick in das Leben dieser Kinder bieten. Ein Teil der Ausstellung ist deshalb dem Thema Spiel gewidmet - was zunächst widersprüchlich klingt. In normalen Zeiten fördert das Spiel die Phantasie und Kreativität des Kindes, während des Holocaust hatte das Spiel hingegen eher eine tröstende, aber umso wichtigere Funktion. "Spiel war eine Art von Rettungsanker", liest man in der Ausstellung.

So wie die Puppe von Regina Zimet, geboren 1933 in Leipzig. Die Puppe war der einzige Gegenstand, den sie während der Flucht durch Europa und Nordafrika über sechs Jahre lang bei sich behalten konnte. Die Puppe, erzählte sie Jahre später, war ihre letzte Erinnerung an ihren Geburtsort. Oder wie die Spule von Daniel Ehrenkrantz, mit der er spielte und die er in jedes seiner Verstecke mitnahm, bis der Krieg endlich vorbei war.

Die Geschichte endet nicht mit dem Kriegsende

Unterteilt in thematischen Kapiteln untersucht die Ausstellung auch andere Aspekte des Kinderlebens wie Familie, Identität, Kinderarbeit, Erziehung, Erwachsenwerden, Freundschaften und Zuhause. Für ein vollkommenes Gesamtbild reichen die 27 Schautafeln nicht, aber die verschiedenen Perspektiven helfen sicherlich dabei, die vergessene Geschichte der jüdischen Kinder wahrzunehmen.

Eine Geschichte, die übrigens nicht mit dem Kriegsende endete: "Nur eine kleine Handvoll Kinder blieb zurück... jedes einzelne war, was von einer ganzen Generation übrig geblieben war und jedes einzelne stand für seine Generation", sagte Lena Küchler-Silberman, Mitglied des jüdischen Widerstands, die nach der Befreiung ein Kinderheim gründete. Diese Kinder hatte zwar überlebt, aber den ganzen Rest, den hatten sie für immer verloren.

"Sterne ohne Himmel. Kinder im Holocaust" ist bis zum 14. Dezember im Bürgerhaus, Roßbergerstraße 6, Eching, zu sehen. Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag von 10 bis 12 Uhr. Donnerstag von 14 bis 18 Uhr. Am 9. und 10. Dezember ist die Ausstellung geöffnet. Sie ist eine Kooperation von Bürgerhaus, Gemeindebücherei, Gemeindearchiv und VHS.

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