Freisinger Wahltage in der guten alten Zeit:Nur nichts nachsagen lassen

Lesezeit: 2 min

Den Stimmzettel persönlich in die Urne zu werfen, gehörte früher zum guten Ton. (Foto: Marco Einfeldt)

Früher gehörte es zum guten Ton, sich persönlich im Wahllokal sehen zu lassen. Heute stimmt etwa die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger per Brief ab. Vielleicht wird das irgendwann auch ein Job für Alexa.

Von Johann Kirchberger, Freising

Es gab Zeiten, da holten SPD und CDU/CSU, die beiden großen, inzwischen aber recht klein gewordenen Volksparteien, bei Bundestagswahlen regelmäßig 40 plus x Prozent. Regieren durfte, wem die FDP ihre Gunst schenkte. Gewählt wurde traditionell am Wahlsonntag, für Briefwahl interessierte sich kaum jemand.

Der Wahlgang am Sonntag war so wichtig wie der Kirchgang, da wurde das Fartagwand (Feiertagsgewand) angelegt und nachdem der Wahlzettel in der Urne lag, ging es zum Frühschoppen ins Wirtshaus. Für die Männer, die Frauen mussten nach Hause, das Mittagessen zubereiten. In späteren Jahren konnten dann immer mehr Frauen ihre Männer davon überzeugen, dass man die Wahl auch mit einem sonntäglichen Spaziergang am Nachmittag verbinden könnte, dem sich eine Tasse Kaffee und ein Stück Käsesahne anschlossen. Wie auch immer, die persönliche Präsenz im Wahllokal, meist war das die örtliche Schule, war wichtig.

Nach der Wahl ging meist noch ein Ratsch her

Der eine war glücklich, endlich mal wieder in seinem Klassenzimmer zu sein, in dem er die Grundschuljahre verbracht hatte. Der andere freute sich darüber, im Wahllokal alte Bekannte zu treffen. Die zwangsrekrutierten oder auch freiwilligen Wahlzettelverteiler und Wahlzetteleinkassierer etwa, die kannte man und nach der Wahl ging meist noch ein Ratsch her. Das persönliche Erscheinen im Wahllokal war schon deshalb Pflicht, weil die Wahlhelfer ja ersehen konnten, wer es nicht so genau nahm mit dem Wahlrecht. Und da wollte man sich nichts nachsagen lassen.

Da gab es etwa ein Ehepaar, das stets entgegensetzt abstimmte. Er kreuzte immer die CSU an, sie immer die SPD. Eigentlich hätten sie deshalb auch zu Hause bleiben können. Denn obwohl Politiker behaupteten, es komme auf jede Stimme an, war ihr Erscheinen für das spätere Wahlergebnis eigentlich ohne Bedeutung. Sie blieben aber nicht daheim, sie gingen zur Wahl, weil sich das so gehörte.

In ein paar Jahren beauftragt man vielleicht Alexa

Eine Briefwahl wurde erst in Erwägung gezogen, als bei Kommunalwahlen die Wahlzettel so groß wurden, dass man damit das Wohnzimmer hätte tapezieren können und es immer mühsamer wurde, in der engen Wahlkabine die richtigen 40 oder 60 Kandidaten anzukreuzen. Heutzutage ist das anders geworden. Rund die Hälfte der Wahlberechtigten nutzten diesmal die Briefwahl, haben sich die Unterlagen schicken lassen und ihre Wahlzettel in einen Briefkasten geworfen oder im Rathaus abgegeben.

Vielleicht ist in ein paar Jahren Briefwahl schon wieder vorbei. Dann lädt man sich eine Wahlapp aufs Handy und klickt die Partei seines Vertrauens an. Oder man erteilt Alexa den entsprechenden Auftrag.

Die Stifte sind nicht mehr kurz angebunden

Noch aber ist es nicht soweit, noch gibt es in Freising 20 Wahllokale und erstmals auch 20 Briefwahllokale. Im Stadtteil Lerchenfeld wird in der Schule gewählt, drei Klassenzimmer wurden dafür umfunktioniert, vor vier Jahren waren es noch sechs. Einiges war heuer allerdings ein wenig anders. Die Wahlhelfer waren maskiert, geschützt durch Spuckschutzwände, und es durften nur drei Wähler auf einmal in die Klassenzimmer. Ach ja, Corona. Immerhin, die Wahlkabinen sahen aus wie immer. Die Stifte waren auch nicht so kurz angebunden, um sein Kreuz nur bei der CSU machen zu können, mit dem Wahlzettel wurde auch ein Kugelschreiber ausgeteilt.

Die Wähler verteilten sich auf den ganzen Tag, die Wahlhelfer vermuteten schon mittags eine hohe Wahlbeteiligung. Die aber war bei Bundestagswahlen schon immer recht hoch - es galt ja nur zwei Kreuze zu machen. Eine durchaus lösbare Aufgabe.

© SZ vom 27.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: