Ein Land verändert sich:Wenn die Leichtigkeit plötzlich fehlt

Lesezeit: 3 min

Wie die Freisinger zur Volksfestzeit haben die Syrer gerne gefeiert - doch beliebte Feste und Trachten sind verschwunden.

Von Aladdin Almasri, Freising

Wer am Freisinger Bahnhof ankommt und nicht weiß, wie er am besten zum Volksfest kommt, sollte einfach irgendeiner Gruppe in traditioneller bayerischer Tracht folgen. Die führt einen zum Ziel. Auf dem Weg zwischen den Bäumen werden die Geräusche immer lauter, je näher man kommt: Kinder lachen, Freunde machen Witze. Man riecht das Volksfest auch: zum Beispiel die gebrannten Mandeln, bereit zum Verkauf.

Vor unseren Augen spielen sich dann Szenen zwischen Gegenwart und Vergangenheit ab. Altmodisch dekorierte Kutschen verlassen den Platz, manche werden von Pferden gezogen, andere von Kühen. Ältere Männer tragen Lederhosen und Hüte mit Federn, dazu alte Gewehre in braunen Holzhalterungen. Die werden aber nur für Paraden genutzt, haben sie mir erzählt.

Frauen tragen Dirndl, die waren früher Arbeitskleider für Dienstmädchen, seit dem 19. Jahrhundert sind sie ein beliebtes Kleid auf Volksfesten. Dirndl haben einen Bund in der Mitte: Wenn die Schleife links gebunden ist, heißt das, die Frau ist Single. Das schönste Dirndl, das ich auf dem Volksfest gesehen habe, hat eine Frau mit weißen, modernen Sportschuhen kombiniert. Auch Kinder sind in Dirndl und Lederhose unterwegs. Sie halten die Hände der Eltern, ihre Augen sind nach oben gerichtet: Sie schauen den Achterbahnen beim Auf und Ab zu, die Schreie der Menschen darin und das Adrenalin füllen den Platz. Ein Kind besteht darauf, eines der Fahrgeschäfte auszuprobieren; die Mutter versucht es zu überzeugen, dass es ungeeignet ist. Auf der anderen Seite bereiten sich junge Mädchen auf eine Fahrt im Riesenrad vor, Zwillinge verkaufen mit ihrem Vater Spielzeug. Innen im Zelt mit den weißblauen Fahnen sitzen Menschen auf Holzbänken, die meisten trinken Bier oder essen Fisch und gegrilltes Huhn. Sie lachen und reden, manche tanzen. Dazu spielt eine Band auf dem Podium in der Mitte eine Melodie mit mitreißendem Rhythmus, die Musiker singen mit bayerischem Akzent, manche von ihnen konnte ich fast nicht verstehen.

Unterstützung beim Neuanfang
:Mit "Newscomer" zurück in den Beruf

Der syrische Journalist Aladdin Almasri arbeitet bei der SZ Freising mit: über das Projekt "Newscomer" für geflüchtete Journalisten.

Beim Erntefest haben alle zusammengeholfen

In Syrien ist es ganz anders. Früher haben sich Menschen auf dem Land getroffen und ein sehr bekanntes Fest gefeiert. Man nannte es das Erntefest. In der Erntezeit helfen die Leute einander, man geht dem Besitzer der Feldfrüchte zur Hand und macht die Erntearbeit gemeinsam. Die Menschen haben immer mit Freude gearbeitet, haben Lieder und Reime gesungen und bekannte Tänze aufgeführt. Die Regierung hat sich nicht eingemischt. Leider haben wir seit Jahrzehnten keine Feiern dieser Art mehr. Stattdessen gibt es in Syrien viele Feste mit offiziellem nationalen Charakter. Dort gehen zwar viele Syrer hin, aber als Gäste, nicht als Beitragende und Teilnehmer. Sie fühlen sich nicht als Teil der Feier oder so, als würde das Fest sie repräsentieren. Es ist nicht besonders beliebt, die Menschen haben keine emotionale Bindung dazu. Und es gibt keine wirkliche Freude wie in Deutschland. Der Grund dafür ist, dass die Leute von der Regierung und deren Sicherheitsapparat überwacht werden. Und sie werden manipuliert und ausgenutzt, um der Strategie und Politik des Regimes zu dienen.

Auch der Konsum alkoholischer Getränke ist in Syrien anders als hier. Sie sind nicht beliebt bei öffentlichen Veranstaltungen. In Syrien sind Tee und Kaffee die Lieblingsgetränke der Bevölkerung. Trotzdem darf aber jeder Alkohol trinken: Dem Gesetz und den Traditionen der syrischen Gesellschaft widerspricht es nur, wenn man betrunken ist und den Leuten auf der Straße Ärger oder Schaden zufügt.

Traditionelle Kleidung trägt heute niemand mehr

In Syrien und vor allem in Damaskus und den Vororten hatte nach der Tradition jeder Bezirk oder jede Nachbarschaft ein spezielles Gewand für Frauen. Wo ich herkomme zum Beispiel, aus einem Vorort von Damaskus, haben Frauen vor 50 Jahren ein Kleid namens Mamluk getragen: Eine Schürze und darüber ein buntes Kleid. Dazu Kopfschmuck, den nur verheiratete Frauen getragen haben. Heutzutage sieht man keinen mehr, der das trägt oder überhaupt davon weiß.

Das trifft auch auf den Rest der traditionellen Kleidung und auf die beliebten Feiern in ganz Syrien zu: Sie verschwinden alle. Aber warum ist das so? Sind die Menschen selbst schuld daran, dass der Zusammenhalt verloren geht und Brauchtum und Kultur auch - oder fängt jedes Unglück damit an, dass man die Freiheit einschränkt?

Aladdin Almasri, 34, floh 2013 aus Syrien in die Türkei. Zwei Jahre später kam er nach Bayern. Im Programm "Newscomer" schreibt er in loser Folge für die SZ Freising. Übersetzung: Nadja Tausche.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Erinnerungen
:Langsamer Tod eines Flusses

Der Barada in Damaskus ähnelte einst der Isar. Heute spiegelt die Natur die Lage in Syrien wider.

Von Aladdin Almasri

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: