SZ-Adventskalender:Erfahren, was Timon denkt und fühlt

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Timon mit seiner Individualbegleiterin Venera Ruhani. Sie unterstützt ihn bei seinen Kindergartenbesuchen. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Fünfjährige hat eine Autismus-Spektrum-Störung. Er spricht zwar Worte nach, aber er spricht nicht wirklich. Mit einem sprachgestützten Tablet könnte er nicht nur die Sprache erlernen, auch eine Teilhabe wäre ihm dann leichter möglich.

Von Gudrun Regelein, Eching

Timon, der im wirklichen Leben anders heißt, ist ein sehr fröhliches, lebhaftes Kind, sagt Annette Clauß, Leiterin der Echinger Kita Bunte Arche der Lebenshilfe Freising. Der Fünfjährige ist aber kein Junge wie jeder andere, er hat eine Autismus-Spektrum-Störung. Das bedeutet, dass er Schwierigkeiten hat, normale soziale Beziehungen aufzubauen, dass er nicht normal oder auch gar nicht spricht und ein zwanghaftes und ritualisiertes Verhalten an den Tag legt. Deshalb besucht Timon seit September 2021 gemeinsam mit einer Individualbegleitung eine Kindergartengruppe in der integrativen Einrichtung, er hat dort einen Förderplatz.

Die anderen Kinder distanzieren sich

"Wir haben ihn erst einmal kennengelernt und ihn genau beobachtet", schildert Clauß. Timon habe zwar viel gelacht, aber er habe zu den anderen Kindern keinen Kontakt aufnehmen können. Er habe Schwierigkeiten, die Emotionen anderer Menschen einzuschätzen oder empathisch zu sein. Häufig irritiere er mit seinem Verhalten die anderen Kinder. Wenn Timon beispielsweise einen mühsam aus Holzklötzen aufgebauten Turm umwirft, gefällt zwar ihm das, die anderen Kinder dagegen sind traurig. Timon aber freut sich, lacht und hüpft. So komme es immer wieder zu Missverständnissen, die anderen Kinder distanzierten sich von ihm. "Wir haben in den vergangenen Monaten versucht, ihn in seiner Kommunikation zu unterstützen, so dass er in eine Interaktion kommt", sagt Clauß. Timon wolle ja vielleicht Kontakt aufnehmen, aber er könne sich eben nicht artikulieren. Bildsymbole und Gesten helfen: So gebe es beispielsweise ein Symbol für "hinsetzen" - wenn er das sieht, weiß er, dass er sich im Morgenkreis auf einen Stuhl setzen soll und dort sitzenbleiben muss. "Er hat ziemlich schnell gelernt", sagt Clauß.

Mit dem Tablet die Sprache erlernen

Timon spricht zwar Worte nach, aber er spricht nicht wirklich. Er hat Schwierigkeiten in der lautsprachlichen Kommunikation, diese aber ist über die Bildkarten sehr begrenzt. Durch ein Tablet mit Apps für die unterstützte Kommunikation würden sich sein Kommunikationsrahmen und sein Wortschatz verbessern, er könnte sich besser mitteilen, erklärt Clauß. Zudem könnten Verhaltensauffälligkeiten, die sich durch das Fehlen einer wirklichen Kommunikation und den Mangel an Teilhabe manifestieren, verhindert werden. Noch wisse man nicht, was Timon fühlt und denkt - das sei ein Ratespiel. Trotz der Symbolkarten. "Wir wollen aber, dass er seine Bedürfnisse äußern kann und wir Rücksicht darauf nehmen können", erklärt Clauß. Mit dem Tablet könnte Timon nicht nur die Sprache erlernen, auch eine schnelle Kommunikation ohne Missverständnisse wäre möglich.

Ein geregelter Tagesablauf

Die Eltern von Timon seien sehr bemüht, aber auch sie seien manchmal hilflos, erzählt Clauß. Die Familie kommt aus Griechenland, erst im August 2021 zog Timon mit seiner Mutter nach Deutschland zum Vater, der schon länger hier lebt. Dann wurde das zweite Kind geboren, die erste Zeit sei sehr anstrengend und schwierig gewesen, schildert Clauß. Die Ankunft war sehr holprig. Kinder wie Timon brauchen eigentlich einen klaren, geregelten Tagesablauf. Mit dem Baby sei alles durcheinander gekommen. Für Timon sei es damals nicht einfach gewesen: Der Umzug in ein fremdes Land, das Baby, das die Aufmerksamkeit seiner Eltern beanspruchte, und dazu noch Sprachschwierigkeiten. Mittlerweile sei die Familie jedoch auf einem guten Weg.

Kassen bewilligen oft nur zögerlich

Das Geld aber ist bei nur einem Verdiener in der Familie knapp. Das Tablet kann sich die Familie selbst nicht leisten, dass die Krankenkasse die Kosten übernimmt, ist sehr unwahrscheinlich. "Die Kassen bewilligen gerade so etwas oftmals nur sehr zögerlich", sagt Clauß. Die Notwendigkeit eines Rollstuhls beispielsweise sei unübersehbar. Dafür, dass ein Kind ein Tablet brauche, da es in seiner Wahrnehmung gestört sei, gebe es aber keine Belege. Dass mit Hilfe eines sprachgestützten Tablets aber große Fortschritte möglich sind, zeigt die Geschichte eines anderen Jungen aus der Bunten Arche. "Er besucht seit diesem Schuljahr eine Inklusionsklasse in der Grundschule - das konnten wir uns zu Beginn nicht vorstellen", berichtet Clauß. "Das ist großartig. Die meisten Kinder, die eine ähnlich Beeinträchtigung wie Timon haben, kommen nämlich in die Förderschule."

Ein riesiger Verwaltungsaufwand

Familien mit einem Kind mit Beeinträchtigung müssten mit vielen Schwierigkeiten kämpfen, sagt Clauß. Die Bürokratie sei immens, der Verwaltungsaufwand riesig - alles müsse beantragt und begründet werden. Oftmals lehnten Krankenkassen eigentlich dringend notwendige Hilfsmittel ab oder es dauere sehr lange, bis endlich die Bewilligung komme. So musste eine Familie in der Bunten Arche ein halbes Jahr lang auf die eigentlich dringend notwendige Gehhilfe für den Sohn warten. Ein anderer Vater aus der Kita habe dann für den Jungen ein Provisorium gebastelt.

Daneben kosten die Besuche bei Ärzten und Therapeuten viel Zeit. Das alles sei sehr anstrengend und kräftezehrend, dazu kommen oftmals Geldsorgen. In vielen Familien könne nur ein Elternteil arbeiten, da die Betreuung des Kindes viel Zeit in Anspruch nimmt. "Die Eltern hätten mehr Unterstützung verdient", sagt Clauß. Der "Adventskalender für gute Werke" möchte gerne der Familie von Timon helfen. Der Junge soll die Chance haben, sich mitteilen - und damit auch teilhaben zu können.

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