Geschichte:"Plakate sind das Twitter des 20. Jahrhunderts"

Lesezeit: 3 min

Die Plakate erzählen von den schicksalshaften Jahren 1918 bis 1923, in der sich die politische Lage in Bayern durch Hass und Hetze zuspitzte. (Foto: Marco Einfeldt/Marco Einfeldt)

Die Moosburger Ausstellung "Mahnung aus der Vergangenheit" zeigt anhand von Wurfzetteln und Aushängen aus den schicksalshaften Jahren 1918 bis 1923, wie sich die politische Lage in Bayern durch Hass und Hetze zuspitzte. Gewisse Parallelen zur Gegenwart sind unverkennbar.

Von Petra Schnirch, Moosburg

Es ist ein wahrer Schatz, den Michael Kerscher, der Leiter des Moosburger Heimatmuseums, vor gut einem Jahr bekommen hat. Eine Kiste voller Überraschungen, darunter ein brauner Papierumschlag mit politischen Plakaten aus den Jahren 1918 bis 1923, welche die turbulenten und schicksalhaften Ereignisse jener Zeit direkter wiedergeben als jedes Geschichtsbuch.

Gemeinsam mit dem Historiker Dominik Reither konzipierte er daraus die Ausstellung "Mahnung aus der Vergangenheit", die noch bis kommenden Montag in der Aula der Volkshochschule in Moosburg zu sehen ist. Gewisse Parallelen zur sich aufheizenden Stimmung der Gegenwart lassen sich leider unschwer erkennen.

Die Ausstellung "Mahnung aus der Vergangenheit" mit Plakaten aus den Jahren 1918 bis 1923 haben (von links) Historiker Dominik Reither und Museumsleiter Michael Kerscher konzipiert. (Foto: Marco Einfeldt)

Der geschichtsinteressierte August Alckens, Jahrgang 1897, erkannte als Zeitzeuge die Bedeutung der Flugblätter sehr schnell, sammelte sie und vermerkte darauf akribisch, wann sie ausgehängt wurden. Zum Fundus gehört auch eines der rosaroten Originale vom 7. November 1918, mit denen - laut Alckens nachts gegen 22.30 Uhr - die "Bayerische Republik" ausgerufen wurde. Unterzeichnet waren sie mit "Arbeiter- und Soldatenrat. Kurt Eisner". Es sei ein "erhebendes Erlebnis", wenn man das Plakat in Händen halte, sagt Dominik Reither. "Das ist ein Schatz", meint auch Museumsleiter Kerscher. Er hat die Ausstellung entwickelt, das geschichtliche Konzepte und die Begleittexte stammen von Reither.

Ein buntes zeitgeschichtliches Sammelsurium

Aufbewahrt hatte die Sammlung Alfred Engelsberger, der sich viele Jahre lang im Heimatverein engagierte. Nach seinem Tod übergab seine Tochter Ulrike Schwaiger die Kiste im September 2022 an Kerscher. Darin befand sich ein buntes zeitgeschichtliches Sammelsurium, darunter eine Zeitung aus dem Jahr 1969 mit dem Bericht zur Mondlandung, und eben die 156 Plakate.

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Kerscher und Reither war schnell klar, dass sie daraus eine Ausstellung konzipieren wollten. Zum einen jährte sich am 8./9. November 2023 der Hitler-Putsch in München, zum anderen lassen sich gewisse Parallelen zur Gegenwart mit Umsturz-Fantasien von Reichsbürgern, zunehmendem Antisemitismus, Hetze und Hasskommentaren ziehen.

Die Ausstellung ist in vier Abschnitte aufgeteilt, zu den 40 Plakaten und Wurfzetteln von SPD, Spartakusbund und Nationalsozialisten bis zu christlichen und jüdischen Verbänden gibt es jeweils kurze Erklärungen, damit auch Nicht-Historiker den Inhalt leicht einordnen können. Sie sollen einen "Einstieg in die Zeit" ermöglichen, sagt Reither.

Die ersten Revolutionswochen nach dem Ende der Monarchie in Bayern verliefen weitgehend friedlich. Ein Plakat mit Karikaturen macht sich über den Brotzeit machenden Monarchen lustig, der wenige Tage zuvor abdanken musste. Dann aber verschärft sich der Ton. Ministerpräsident Eisner wird ermordet. Antisemitische "Fake News entstehen", erklärt Reither, sodass sich der "Zentralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" genötigt sieht, mit Fakten zu kontern - natürlich per Plakatanschlag.

Aufrufe, Informationen, aber auch Hetze: Anfang des 20. Jahrhunderts spielten Plakate und Wurfzettel eine wichtige Rolle. (Foto: Marco Einfeldt)
Ein Aufruf des Bürgerrats München vom 16. März 2020, wieder an die Arbeitsplätze zurückzukehren. (Foto: Marco Einfeldt)

"Plakate sind das Twitter des 20. Jahrhunderts", sagt Reither, Propaganda konnte billig, schnell und auch anonym verbreitet werden. Viele Hetzblätter sind nicht unterzeichnet. "Im Hintergrund standen oft Geldgeber", schildert Kerscher. Im Frühjahr und Sommer 1919 eskalierte die Lage, es gab Aufrufe zum Generalstreik und Aufforderungen an die Arbeiter, bewaffnet in ihre Betriebe zu kommen. Die ganz Rechten fordern dazu auf, keine Juden auf Wahlvorschlägen der Parteien zu dulden und hetzen ohne Unterlass gegen den Versailler Vertrag. "Das ist ein großes Thema", sagt Reither, es tauche auf den Plakaten immer wieder auf.

Demokratie ist nichts, was "vom Himmel fällt"

Das gilt auch für die These von der angeblichen jüdischen Weltverschwörung, die von der NSDAP wiederholt aufgegriffen wird. Die Ausstellung zeige, wie extrem diese Strömungen damals schon waren - auch wenn der Hitler-Putsch erst einmal scheiterte. Zudem habe Hitler die nötige Publicity für die Machtübernahme zehn Jahre später bekommen, sagt Kerscher. Es habe aber selbst 1923 gar nicht so viel gefehlt und der Umsturz wäre gelungen, fügt Reither hinzu - auch wenn der Marsch auf die Feldherrnhalle aus heutiger Sicht als aberwitzig erscheine. Der Leidensdruck in der Bevölkerung sei nach Kriegsende und durch die enorme Inflation groß gewesen. Das war laut Kerscher "ein Pokerspiel". Zeigen möchten die beiden Ausstellungsmacher auch, dass die Demokratie nichts ist, was "vom Himmel fällt". Auch das sollen die Besucherinnen und Besucher mitnehmen.

Die Ausstellung in der Aula, Stadtplatz 2, ist während der Öffnungszeiten der VHS auch am Wochenende noch bis kommenden Montag, 27. November, zu sehen.

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