Familie S. wirft dem Freisinger Grundbuchamt "systematische Zwangsenteignung" vor. Konkret geht es um ein Quellennutzungsrecht in einem Ortsteil der Marktgemeinde Au. Dieses bestand seit dem Jahr 1925. Familie S. hatte ihr Haus, ein altes Baywa-Gebäude, 2014 kurz vor einer Zwangsversteigerung gekauft. Bis zu diesem Zeitpunkt war das betreffende Grundstück mehrmals geteilt und verändert worden. Aufgrund einer fehlerhaften Eintragung in das Grundbuch durch eine Urkunde, deren Vollzugsmitteilung bis heute fehlt, wird Familie S. allerdings das Quellenbezugsrecht seitens der Behörde abgesprochen. Zu Unrecht, wie sie meint. Sie ist bereit, in diesem Rechtsstreit bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
Familie S. ist vor einigen Jahren in den Ortsteil von Au gezogen. Das Haus hatte sie kurz vor einer Zwangsversteigerung gekauft. Das Quellenbezugsrecht war somit noch nicht erloschen, was sonst der Fall gewesen wäre. Das Haus hatten Frau S. und ihr Mann selbst renoviert. 2018 war unter dem damaligen Bürgermeister Karl Ecker ihrer Auffassung nach ein rechtswidriger Bebauungsplan genehmigt worden. Ein Bebauungsplan ist rechtswidrig, wenn er Privatrecht verletzt und somit einen Ermessensfehler hat.
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Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Familie S. einen Brunnen genutzt, um den Garten zu bewässern. "Plötzlich kam kein Wasser mehr", schildert Frau S. den Lauf der Ereignisse. "Wir wurden stutzig, haben aber nichts gemacht", erzählt sie. Sie seien zu gutgläubig gewesen und hatten gehofft, die Angelegenheit werde sich schon regeln. Als Zugezogene waren sie obendrein bestrebt, sich in die Dorfgemeinschaft einzufügen, den Frieden zu wahren, wie sie betont.
Nun ist es so, dass die Quelle über das Gelände verläuft, das als Bauland eingestuft ist. Dort stehen bereits Häuser. Der Nachbar, dem das Grundstück gehört, behauptet, das Quellenbezugsrecht sei verwirkt. Er habe ihnen sogar die entsprechenden Unterlagen gezeigt, sagt Familie S., die daraufhin zu recherchieren begann, und machte das Grundbuchamt auf einen Fehler aufmerksam.
Demnach war das ursprüngliche Grundstück 1974 schon einmal verkauft und in Teilflächen gesplittet worden. Dabei muss nach Ansicht von Familie S. ein Fehler gemacht worden sein. Bei der damaligen Berichtigung des Grundbucheintrags war das Quellennutzungsrecht wegfallen, obwohl es hätte fortgeschrieben werden müssen. Das Grundbuchamt teilte laut Familie S. mit, dass das Quellenbenutzungsrecht schon 1975 erloschen sei, worauf sie einen Antrag auf eine erneute Berichtigung gestellt habe. Sie ist im Übrigen davon überzeugt, dass der Nachbar im Besitz einer falschen Urkunde ist. Der Nachweis liege vom ausstellenden Notariat K. vor, die falsche Löschungsurkunde habe nie das Grundbuchamt Freising erreicht und das Jahr 1975 betreffe auch die vorher verkauften Grundstücke, auf die das Quellenbezugsrecht sich bezog, nicht.
Der Nachbar könnte ja auch eine Entschädigung zahlen
Familie S. hat bereits versucht, den Grundbucheintrag über das Landgericht und das Oberlandesgericht klären zu lassen. "Beide haben diesen nicht berichtigt", stellt Frau S. fest. Sie wirft der Richterin am Landgericht vor, wegen Befangenheit den Grundbuchauszug nicht angeschaut zu haben. Im Oberlandesgericht habe die Vorsitzende Richterin die öffentlich rechtliche Urkunde beziehungsweise den Grundbuchauszug ignoriert und den mündlichen Vortrag der Familie S. außer Acht gelassen. Damit liege eine Grundrechtsverletzung gegen das Gleichheitsgebot und Gehörsverletzung vor.
Eigentlich hätte Familie S. den Konflikt gerne auf friedliche Weise erledigt, wie sie sagt. Die Rohrleitung der Quelle zu ihrem Grundstück könnte verlegt werden. Oder aber, der Nachbar sollte eine Entschädigung zahlen.
Einen Antrag auf eine Änderung des Grundbucheintrags hatte die Behörde bereits abgelehnt. Der Rechtsbeistand von Familie S. hatte daraufhin die zuständige Rechtspflegerin im Grundbuchamt aufgefordert, den Ablehnungsbescheid des Freisinger Amtsgerichts aufzuheben und das offenbar zu Unrecht gelöschte Quellenbezugsrecht wieder einzusetzen. Das Schreiben liegt der Freisinger SZ vor.
Änderungen können nach Ansicht des Rechtsbeistandes nicht nachvollzogen werden
Aufgelistet ist die Geschichte, die das ursprüngliche Grundstück im Laufe der Jahre erfuhr. Demnach ist aufgrund einer Bewilligung vom 23. November 1925 ein Quellenbezugsrecht eingetragen worden. 1956 ist dieses mit einem anderen Grundstück mit neuer Flurnummer und einer Größe von 100 681 Quadratmeter verschmolzen worden. Das Quellenbezugsrecht wurde dabei mitgenommen. Darin heißt es ausdrücklich: Der jeweilige Eigentümer der betreffenden Teilfläche dürfe das Wasser der sich dort befindlichen Quelle nutzen, die Wasserreserve und unterirdische Röhrenleitung unterhalten und sie zwecks Verbesserung und Erneuerung der Wasserreserve und der Leitung und zwecks Regulierung der Leitung betreten lassen.
Der Rechtsbeistand von Familie S. weist auf Umstände wie spätere Änderungen von Flurnummern und Grundstücksgrößen hin, die seiner Ansicht nach nicht nachvollzogen werden könnten. Aus der Historie des ursprünglichen Grundstücks leitet der Rechtsbeistand ab, dass das von Familie S. gekaufte Areal trotz aller erfolgten Änderungen von Flurnummern und Verkäufen von einer Löschungsbewilligung aus dem Jahr 1975 nicht betroffen sei.
Aufgrund der dem Grundbuchamt vorliegenden "Urkunde" habe das Quellenbezugsrecht nicht gelöscht werden dürfen, argumentiert Familie S. Auf der Löschungsbewilligung UR-Nummer P1617/1975 , überlassen vom Grundbuchamt, entspreche die Unterschrift des damaligen Leiters der Baywa AG nicht derjenigen der Löschungsbewilligung, überlassen vom Notariat K. zu derselben UR-Nummer. Das Notariat schreibt dazu, dass die Urkunde dann dem Eigentümer zugestellt werde. "Was die Eigentümer (. . .) danach mit der Urkunde gemacht haben, wissen wir nicht. Nachdem unsere Urkunde keine Vollzugsmitteilung enthält, ist es möglich, dass überhaupt keine Löschung erfolgt ist, und das scheint mir der wahrscheinlichere Fall." Es sei natürlich denkbar, dass die Eigentümer einen anderen Notar damit beauftragt haben und dass die Löschung dort vollzogen worden sei.
Die dem Grundbuchamt vorliegende Urkunde soll nicht echt sein
Beide Urkunden liefen unter derselben UR-Nummer, obwohl für jede Urkunde laut Notaranwalt K. eine eigene vergeben werden müsste. Grundsätzlich müsse man davon ausgehen, dass der Notar keine Kopie einer falschen Urkunde in seiner Handakte führe. Dann, folgert Familie S., könne aber die dem Grundbuchamt vorliegende Urkunde nicht echt sein. Die der Behörde vorliegende Löschungsbewilligung könne nicht vollzogen worden sein, mindestens aber nicht berechtigt, da diese nicht vom Notariat K. stamme. Alle betroffenen Flurnummern seien bereits durch einen Verkauf vor 1975 wegfallen.
Die Rechtspflegerin am Grundbuchamt widerspricht aktuell der Aufforderung des Rechtsbeistands von Familie S., ein zu Unrecht gelöschtes Quellenbezugsrecht wieder einzutragen. Die Grundbuchbeschwerde vom 4. August dieses Jahres werde als Widerspruch ausgelegt. Gegen eine Grundbucheintragung sei grundsätzlich keine Beschwerde zulässig und könne nur mit Einwilligung des Eigentümers geschehen. Die Anregung des Rechtsbeistands von Familie S. lehnt das Grundbuchamt ab. Diese sei nur möglich, wenn das Grundbuchamt eine Eintragung oder Löschung unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften vorgenommen habe. Der Rechtsanwalt von Familie S. habe die Eintragung eines Widerspruchs damit begründet, dass die Löschung des Quellenbezugsrecht aufgrund einer Bewilligung erfolgte, deren Echtheit angezweifelt werde.
"Das Grundbuchamt hat nicht gegen Vorschriften verstoßen"
Die Rechtspflegerin argumentiert nun, dass das Grundbuchamt nur zu prüfen habe, ob ein Antrag und Bewilligung vom Berechtigten vorliege. Es werde davon ausgegangen, dass die vom Notar vorgelegte und beglaubigte Urkunde der Richtigkeit entspreche. "Das Grundbuchamt hat hier nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Somit kann kein Widerspruch eingetragen werden".
Familie S. folgert daraus, dass die Fortschreibung der Dienstbarkeit zu Unrecht unterblieben seien und die wirtschaftlichen Interessen der Marktgemeinde Au und des Ackerlandbesitzers in den Vordergrund gestellt würden. Damit werde Privatrecht verletzt. Dieses alte Wasserrecht sei auch im Wasserbuch beim Landratsamt Freising eingetragen, nur bei Grundbuchamt Freising soll es durch eine nicht vollzogene Löschungsbewilligung gelöscht sein?, zweifelt Familie S.
Als "wirklich schwierig", beurteilt Hans Sailer, Bürgermeister der Marktgemeinde Au, die Rechtslage. Er weiß von den bisher ergangenen Urteilen, die ihm der Grundstückseigentümer hat zukommen lassen. Die Rathausverwaltung ist juristisch nicht involviert. Der Marktgemeinderat befasst sich ebenfalls mit der Angelegenheit und versucht diese zu analysieren.
Im Jahr 2016 hatte der Marktgemeinderat beschlossen, in seinem Ortsteil ein Baugebiet mit 24 Parzellen für Einfamilienhäuser auszuweisen. 13 davon sollten nach einem Einheimischenmodell vergeben werden, der Rest privat vom Grundstückseigentümer. Die Flächen seien teilweise schon bebaut, Wasserleitungen seien verlegt. Die Marktgemeinde befindet sich jetzt aber in einem Dilemma: Alle Grundstücke, die zu dem Einheimischenmodell gehören, sind noch nicht verkauft. Denn solange die juristische Auseinandersetzung nicht beendet ist, kann die Marktgemeinde keine Parzellen mehr vergeben. Und das kann dauern.
Das Grundbuchamt erklärt auf Nachfrage dazu, dass die Besonderheit des Vorgangs darin liege, dass das "Quellenrecht" vor Jahren gelöscht worden ist und durch mehrere Grundstückstellungen- und verschmelzungen wohl nicht klar sei, auf welchem Grundstück dieses Recht lastete. "Die Löschung einer solchen Grunddienstbarkeit kann dann erfolgen, wenn sie vom Berechtigten, dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks, bewilligt wurde. Familie S. habe laut Grundbuchamt einstweilige Verfügungen beantragt, die zurückgewiesen worden seien. "Gegen eine dieser Entscheidungen hat sie Beschwerde eingelegt."
Das "Quellenrecht" ist eine sogenannte Grunddienstbarkeit. Ein Beispiel dafür ist das Wegerecht: Eine Person darf einen Gehweg oder Fahrweg auf fremdem Grund als Durchfahrt nutzen. Die Behandlung von Grunddienstbarkeiten kommt in der amtsgerichtlichen Praxis häufig vor.
Familie S. ist jedenfalls gewillt, ihr Anliegen bis in die letzte juristische Distanz durchzufechten. "Es kann nicht sein, dass man eine öffentlich-rechtliche Urkunde beziehungsweise einen Grundbuchauszug einfach ignoriert. Wir hoffen, dass der Bundesgerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht diese Ungerechtigkeit und Grundrechtsverletzung der willkürlichen Gesetzesanwendung der Grundbuchordnung erkennt und anhand der Nachweise dem Ganzen Abhilfe schafft." Des Weiteren läuft noch die Klage des Ackerlandbesitzers gegen die Familie. Aus wirtschaftlichem Interesse, sagt die Familie.