Russischer Angriff jährt sich zum zweiten Mal:"Unglaublich große Hilfsbereitschaft"

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Stephan Griebel engagiert sich seit 2016 im Helferkreis Zolling für Asyl und Integration. (Foto: oh)

Der Zollinger Stephan Griebel engagiert sich seit vielen Jahren in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. Im Gespräch mit der SZ erzählt er, wie es vor zwei Jahren gelang, die vielen Schutzsuchenden aus der Ukraine schnell unterzubringen - und wie es sein Helferkreis trotz aller Widerstände schafft, heute etwa 240 geflüchtete Menschen zu betreuen.

Von Gudrun Regelein, Zolling

Die Bilder der Tausende am Bahnhof München ankommenden Flüchtlinge im Herbst 2015 bekam Stephan Griebel aus Zolling nicht mehr aus dem Kopf. Sie hätten ihn bewegt, sagt Griebel. So sehr, dass er sich einige Monate später entschloss, sich im neu gegründeten Helferkreis Zolling für Asyl und Integration zu engagieren. "Ich musste einfach etwas tun - allen Widerständen zum Trotz", sagt der 55-Jährige. Seit 2022 ist Griebel Vorstand des damals gegründeten Vereins Helferkreis Zolling, der sich seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine auch um Flüchtlinge aus diesem Kriegsgebiet kümmert.

Herr Griebel, was waren vor zwei Jahren Ihre Gedanken, als Sie erfahren haben, dass Russland die Ukraine angegriffen hat?

Ich dachte mir damals, da bricht eine unvorstellbare Katastrophe über Europa herein. Und mir war im selben Moment klar, dass viele Menschen aus der Ukraine zu uns flüchten werden.

Wie ging es in den Tagen danach weiter? Wie bereiteten Sie sich auf die ankommenden Flüchtlinge vor?

Wir hatten zum Glück einen bereits stehenden Helferkreis, wussten, wie wir das anpacken können. Die Erfahrung und die Struktur waren da. Das Wichtigste in dieser Phase war, Obdach zu organisieren. Binnen zwei Wochen veranstalteten wir einen Infoabend für die Gemeindebürger, die Resonanz war riesig, die Hilfsbereitschaft unglaublich groß. Viele waren bereit, Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Kurz darauf kamen dann tatsächlich die ersten an, die alle privat untergebracht werden konnten. In Wohnzimmern, früheren Kinderzimmern oder ausgebauten Dachböden... es war wunderbar. Sehr schnell kamen dann immer mehr Menschen aus der Ukraine.

Wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer leben derzeit in Zolling?

Es sind rund 120, die verstreut in der Verwaltungsgemeinschaft leben - dazu gehören neben Zolling auch Attenkirchen, Haag an der Amper und Wolfersdorf. Alle wohnen auch heute noch privat, beispielsweise in Einliegerwohnungen. Es ist phänomenal, was in kurzer Zeit an Wohnraum aktiviert werden konnte.

Asylbewerber aus anderen Ländern betreut der Helferkreis aber auch?

Ja, das sind ebenfalls etwa 120, die in der Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von Oberbayern in Zolling untergebracht sind. Es scheinen recht viele Menschen zu sein, was aber Vorteile hat. Es gibt dort beispielsweise Hausmeister, professionelle Asylberatung durch die Diakonie und Security in der Nacht und am Wochenende. Kleine Unterkünfte haben das so nicht. Eine Gemeinschaftsunterkunft dieser Größe ist für eine Gemeinde wie Zolling zu stemmen.

Kritiker sprechen von einem Zwei-Klassen-System Geflüchteter - die Menschen aus der Ukraine würden bevorzugt. Die ukrainischen Flüchtlinge wohnen beispielsweise privat, Asylbewerber aus anderen Ländern in einer Unterkunft. Wie sehen Sie das?

Ich sehe positiv, dass die Menschen aus der Ukraine sofort durch das Jobcenter verwaltet werden und eine Arbeitserlaubnis haben. Diese nutzen die meisten auch umgehend, sobald sie eine Wohnung haben, die Kinder untergebracht und eine Anstellung gefunden wurde. Sie haben damit Rechte und Möglichkeiten, die Asylbewerber nicht haben. Diese sind monate- oder sogar jahrelang zum Nichtstun verdammt. Die Asylbewerber in der Gemeinschaftsunterkunft wissen um die Unterschiede und finden es auch ungerecht, haben sich aber damit abgefunden.

Wie läuft es eigentlich bei Ihnen mit der geforderten Integration der Flüchtlinge?

Das ist ein Prozess, der von beiden Seiten aktiv passieren muss. Die Flüchtlinge müssen das wollen - und die meisten tun das auch. Umgekehrt wünschte ich mir, dass die einheimische Bevölkerung noch mehr auf die Geflüchteten zugeht, sie unterhakt und zum Beispiel zu Feuerwehr oder Sportverein mitnimmt. Wir bemühen uns darum durch die Teilnahme mit einer Mannschaft Geflüchteter am jährlichen Turnier der Stockschützen oder durch Bestückung eines Standes beim Bürgerfest und Adventsmarkt. Das sind Beispiele für die Chance, sich gegenseitig kennenzulernen.

20 aktive ehrenamtliche Helfer Ihres Vereins betreuen etwa 240 Menschen. Stößt das Ehrenamt da nicht an seine Grenzen?

Ja, manchmal ist es hart. Wir organisieren Schwimmkurse, haben eine Hausaufgabengruppe, wir gehen in die Unterkünfte, wir unterstützen beim Ausfüllen der unzähligen Formulare. Und wir bieten mit dem Café International einen Treffpunkt, bei dem wir auch auf die Sorgen und Nöte der Geflüchteten eingehen. Der Staat macht sich an vielen Stellen einen schlanken Fuß - ohne die vielen Ehrenamtlichen sähe es anders aus. Das zivilgesellschaftliche Engagement ist glücklicherweise groß.

Sie haben vorhin Widerstände erwähnt: Worüber ärgern Sie sich besonders?

Es geht landespolitisch offensichtlich nicht darum, das System geschmeidig zu machen. Sondern es scheint die Einstellung zu geben, dass es irgendwie läuft, dass wir uns schon kümmern. Das ist das eine. Das andere ist die überbordende Bürokratie. Egal wo, es sind immer wieder die immer gleichen Anträge mit den immer gleichen Angaben auszufüllen. Solange diese bearbeitet werden, fehlt eine notwendige Bestätigung, fließt kein Geld oder es klemmt bei der Krankenkasse. Das heißt, dass dann oft wir einspringen. Wir haben inzwischen eine Art Pool für die Überbrückung eingerichtet - beispielsweise für Mietkautionen. Der Helferkreis bürgt in solchen Fällen mit seinem guten Namen und auch finanziell.

Inzwischen herrscht in Deutschland wohl eher keine Willkommenskultur mehr. Das zeigt beispielsweise die Bezahlkarte, die Flüchtlinge abschrecken soll. Wird das funktionieren?

Nein, das glaube ich nicht. So schlecht kann man die Lebensbedingungen in Deutschland gar nicht gestalten, dass es Menschen vor der Flucht abschreckt. Das sind Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung und Not flüchten, dass sie hier statt Bargeld eine Bezahlkarte bekommen, ist denen egal.

Aber die Zahl der Geflüchteten steigt immer weiter, die Aufnahmekapazität vieler Kommunen ist erschöpft. Muss man da nicht handeln?

Ja, das muss man. Indem man an den Push-Faktoren arbeitet, also die Lebensbedingungen in den Heimatländern so verbessert, dass es keinen Fluchtgrund mehr gibt. Sich an den vorgeblichen Pull-Faktoren abzuarbeiten, wird dagegen nichts bringen. Die Mauern können noch so hoch sein, sie werden überwunden werden. Die Zahl der Schutzsuchenden wird weltweit und damit auch in Deutschland weiter steigen. Angesichts der - noch aufhaltbaren - Klimakatastrophe ist über die kommenden Jahrzehnte hinweg mit einer globalen Völkerwanderung zu rechnen.

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