Suchtkranke Senioren:"Trinken bis zur Besinnungslosigkeit"

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Einsamkeit, die krank macht: Bärbel Würdinger von der Prop-Suchtstelle Freising über Alkoholprobleme von Senioren.

E.-M. Glück

Dass ältere Menschen zunehmend professionelle Suchtberatungsstellen in Anspruch nehmen müssen, zeigen alarmierende Zahlen des neuen Berichts des Bezirks Oberbayern zur Arbeit der Suchtberatungsstellen und Sozialpsychiatrischen Dienste. Eva-Maria Glück sprach mit Bärbel Würdinger, Geschäftsführerin der Prop-Suchtstelle Freising, über die Suchtprobleme von Senioren.

SZ: Besonders bei den über 65-Jährigen suchten im Jahr 2009 fast 40 Prozent mehr Betroffene als 2007 Hilfe bei der Suchtberatung. Warum?

Bärbel Würdinger: Alkoholprobleme sind Thema bei den meisten Beratungsfällen. Dabei muss man unterscheiden zwischen Menschen, die schon immer viel getrunken haben und solchen, bei denen die Abhängigkeit erst im hohen Alter auftritt. Erschreckend ist auch, dass das Komatrinken nicht nur bei Jugendlichen ein Problem ist. Viele ältere Menschen sitzen alleine zu Hause und trinken sich in kurzer Zeit bis zur Bewusstlosigkeit. In Großstädten sind besonders Drogen und Spielsucht ein Problem, hier in Freising jedoch weniger. Bei uns fällt auf, dass eine hohe Anzahl Hilfesuchender medikamentenabhängig ist. Ältere Leute haben oft den Eindruck, dass Medizin ja "was Gutes" sei und man sie deshalb ruhig öfter nehmen könne. Da wird zu Schmerztabletten dann schnell nicht nur bei Kopfweh gegriffen, sondern auch wenn es einem seelisch schlecht geht. Vor allem Ärzte sind hier angesprochen, nicht immer gleich alles zu verschreiben.

SZ: Welche Gründe sehen Sie für das verstärkte Auftreten von Suchtproblemen im Alter?

Würdinger: Einsamkeit meines Erachtens das Hauptproblem. Man lebt isoliert allein zu Hause und vereinsamt, ist getrennt von der Familie und muss ständig den Tod von Freunden miterleben. Oft sind die Betroffenen auch selbst krank und verlieren den Lebensmut. Bei einer Fachtagung zum Thema, die ich kürzlich besucht habe, wurde als Ursache aber auch angesprochen, dass Menschen heute länger leben, aufgrund der besseren medizinischen Versorgung. Das ist für mich aber nicht der Hauptgrund.

SZ: Wenden sich die Betroffenen in der Regel selbst an die Suchtberatung oder geht das eher von den Angehörigen aus?

Würdinger: Meistens sind es die Kinder, die den betroffenen Elternteil zur Beratung bringen. Kinder fühlen sich mit zunehmendem Alter natürlich selbst für ihre Eltern verantwortlich und haben Angst, dass der Betroffene zum Pflegefall wird. Ältere Menschen ergreifen kaum die Initiative und verhalten sich sehr beratungsresistent. Das muss dann natürlich bei der Therapie berücksichtigt werden.

SZ: Inwiefern?

Würdinger: Senioren fällt es viel schwerer sich zu öffnen, oft dominieren Schamgefühle. Es ist nicht leicht, eine Sucht zuzugeben und deshalb ist in der Beratung Geduld zentral. Anders als zum Beispiel bei jugendlichen Alkoholikern muss man das Augenmerk auf die Biographie legen und sich mehr Zeit nehmen. Auch zum Hausbesuch beim älteren Menschen sollte man bereit sein. Oft denken Senioren auch, dass sie sowieso alt sind und bei ihnen alles egal ist. Dieses Gefühl wollen wir in der Therapie nehmen.

© SZ vom 03.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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