Verkehr:Was ein Abschlepp-Unternehmer in München alles erlebt

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Heute verfügt Werner Eichenseher über eine Flotte von 77 Fahrzeugen, die sogar Schwertransporte bergen können, und ist mit seinen 110 Mitarbeitern der größte Anbieter in Bayern. (Foto: Robert Haas)

Fünf Nackte im Auto, eine Leiche auf dem Abschleppwagen: Werner Eichenseher hat in seinem Beruf Kurioses, Spannendes und auch Schreckliches gesehen. Doch das Geschäft verändert sich.

Von Philipp Crone

Wer den Parkplatz sieht, denkt: Die können alle nicht Auto fahren in diesem Unternehmen. Werner Eichenseher, 63, frisch gebräunt vom Ski-Urlaub in Anzug und weißem Hemd, sitzt in seinem Büro im ersten Stock und schaut aus dem Fenster runter auf die Fahrzeuge. Frontalschaden, Totalschaden, Leichtschaden.

Demoliertes in jeder gewünschten Variation steht da aufgereiht, und ab und an fährt eines von Eichensehers gelben Abschleppfahrzeugen vorbei, auf das Tor zu und raus auf die Straße im Gewerbegebiet von Freimann, unterwegs zu einem verzweifelten Menschen, der irgendwo gestrandet ist und dessen kaputter Wagen dann hier zwischengelagert werden kann. So wie der Anrufer, der an diesem Vormittag im März mit seinem Wagen um 12 Uhr und 13 Sekunden anruft und einen Einsatz für die Schwanthalerstraße 147 meldet.

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Eichenseher nimmt den Auftrag nicht selbst entgegen. Er sitzt acht Meter weiter in seinem Büro, ein Kollege im Callcenter ist am Telefon. Als alles anfing, mit Werner Eichensehers Vater und seiner Mutter, die noch heute jeden Tag im Familienbetrieb mithilft, da saß die Familie am Telefon, rund um die Uhr. Eichenseher erlebte die Anfänge dieses Berufszweiges in den bald 60 Jahren der Firma, die Veränderungen auf der Straße, sah Schreckliches bei Verkehrsunfällen, hörte und sah Absurdes bei glimpflichen Pannen und Skurriles bei seinen Einsätzen. Etwa von den drei Frauen, alle verheiratet, alle nackt, von denen sich zwei mit angelachten Verehrern während der Fahrt auf der Rückbank vergnügten und die dritte vorne, den Rückspiegel zum Mitschauen eingerichtet, einen Unfall baute, bei dem dann fünf nackte Menschen verletzt geborgen werden mussten.

Eichenseher hat etwas Schimanskihaftes, wenn er ernst über die aus seiner Sicht bescheuerte Verkehrsplanung der Stadt spricht. Diese Grundstrenge, bei der man immer froh ist, wenn der Mann auch mal lacht. Aber das braucht es wohl im Familienunternehmen. Eichenseher sieht sich als Pionier. Keine Frage, auch Selbstvermarktung ist in dieser Firma, die vom Fahrrad bis zum Schwertransporter alles bergen kann, eine angesehene und sehr gewissenhaft erfüllte Disziplin, das geht schon bei den immer blitzeblank gereinigten Fahrzeugen los, von denen 77 auf Münchens Straßen im Einsatz sind.

Am Anfang war es ein einziger Wagen. "Meine Mutter saß zu Hause am Telefon und im Abschleppwagen war eine Zehnerlbox, von der aus mein Vater immer angerufen hat, ob es was Neues gibt, wenn er einen Auftrag erledigt hatte." Eichensehers Vater hatte in den Fünfzigerjahren zunächst mit einem Instandsetzungsunternehmen begonnen, "damals wurden Wagen ja nicht so schnell aufgegeben, die waren noch selten und wertvoll". Das Abschleppen kam dann dazu. Ein Vollzeitjob für die ganze Familie. "Urlaub kannst du da kaum machen." Den macht er dafür heute, wenn seine 110 Mitarbeiter arbeiten.

Das erste Funkgerät im Abschleppwagen

Eichenseher senior revolutionierte Anfang der Sechzigerjahre die Branche, sagt sein Sohn, als er als einer der ersten Funk im Wagen einbaute, "das kostete 10 000 Mark", viel Geld und von den Konkurrenten belächelt. Aber nicht lange. Eichenseher etablierte sich in einem Markt, der bis in die Neunzigerjahre viele Mitbewerber hatte, "34 allein in München". Das Abschleppen hatte Konjunktur. Aber das sollte sich ändern.

"Die Stadt hat sich gewandelt", sagt Eichenseher, "allein bei den Feuerwehrzufahrten rund um die Kaufingerstraße gab es früher viele Einsätze." Doch durch die Verkehrsüberwachung, das bessere öffentliche Verkehrsangebot, mehr verkehrsberuhigte Zonen "und auch die bessere Moral der Autofahrer" sei das Abschleppen von Falschparkern stark zurückgegangen. "Heute sind wir ein Full-Service-Unternehmen, bei dem Falschparker höchstens noch zehn Prozent ausmachen." Spannend sind da noch vor allem die Fälle, bei denen die Fahrzeuge den Verkehr behindern.

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"Ein Pkw steht schräg und blockiert die Durchfahrt von einem Bus. Oder, was im Lehel oft passiert, ein breiter Wagen blockiert die Durchfahrt der Tram." Dann wird es teuer. Üblicherweise kostet den Falschparker der Eichenseher-Einsatz zwischen 90 und 140 Euro, je nachdem, wie weit der Abschleppdienst den Wagen dann bis zur einzigen Verwahrstelle Münchens in Trudering fahren muss. "Dann kommt noch einmal die gleiche Summe dazu für die Verwahrstelle, die Hinterstellungsgebühr und die Polizei-Kosten." Ein Falschparker-Auftrag läuft immer über die Polizei. Wenn dann jedoch die Tram blockiert ist, stellt die MVG Regressansprüche, "da geht es gleich mal um bis zu 1000 Euro".

Die Fahrer kümmern sich

Der Auftrag in der Schwanthalerstraße ist im Callcenter mittlerweile eingespeist und der nächstgelegene Abschleppfahrer hat auf dem Display in seinem Wagen die Adresse erhalten. Er ruft zunächst den Wagenhalter an. "Das beruhigt die Leute, weil sie hören, dass jemand unterwegs ist", sagt Eichenseher. Wenn ein Polizei-Beamter einen Auftrag rausgibt, spielt das keine große Rolle, "aber wenn in einem Tunnel auf der Autobahn eine Mutter mit kleinem Kind einen Auto-Schaden hat, sind das emotionale Extremsituationen". Deshalb haben Autobahn-Aufträge Vorrang. Je nach Distanz muss der Abschleppdienst innerhalb von 15 bis 30 Minuten vor Ort sein, so sind die Vorgaben der Polizei.

Eine Kooperation mit dem ebenfalls gelben ADAC macht aus Eichenseher in der Wahrnehmung aus dem eher bösen Abschlepper einen Spieler der guten Seite. Pannendienst, Leihwagen-Service, Unfall-Wagen abholen und zwischenlagern. Das können auch Schwertransporter oder Busse sein. Gerade fährt an diesem Vormittag unten der "Big Boss" vorbei, ein Abschlepp-Lkw, der eine halbe Million Euro kostet, und schwerste Fahrzeuge bergen kann. "Big Boss, benannt nach meinem Vater."

Dass Werner Eichenseher die Firma vom Big Boss übernahm und noch immer leitet, war gar nicht sein Plan. "Ich wollte nach dem Fahrzeugbau-Studium eigentlich nur übergangsweise bei meinem Vater einsteigen. Das Abschleppen hatte damals keinen guten Ruf." Doch der Job machte ihm Spaß. "Wenn du mit einem Kran einen Lkw aufstellst, ist das schon ein geiles Gefühl." Und in den allermeisten Fällen würden er und seine Leute heute den Menschen ja auch einfach zur Hilfe kommen in einem schwierigen Moment.

Und das machen sie so zuverlässig, dass auch der Fuhrpark der Stadt von Eichenseher betreut wird. Da schleppt dann mal der gelbe Big Boss eine orangefarbene Müllabfuhr ab. Heute ist der 63-Jährige stolz auf seine Firma. Im Schicht-Dienst wird hier gearbeitet, in ruhigen Zeiten wie Schulferien sind drei Personen im Call-Center, bei Hochbetrieb wie etwa zur Sicherheitskonferenz oder zur Wiesn sind alle acht Plätze besetzt.

"Das Oktoberfest war früher immer das absolute Highlight, da haben wir drauf hingefiebert." Wenn Dutzende Autofahrer noch am Vorabend der Meinung waren, sie könnten am nächsten Morgen erst ihr Auto wegfahren, bevor der Einzug der Wirte beginnt, dann aber da schon um sechs Uhr in der Früh geräumt wird. "Durch die Sicherheitszone ist das aber auch deutlich weniger geworden."

Der Einsatz an der Schwanthalerstraße 147 läuft reibungslos, der Kunde mit der Panne wird abgeschleppt. Auch der Auftrag drei Minuten später, Maximilianstraße 9, ist nicht erwähnenswert. Anekdoten hat Eichenseher aber in beliebiger Menge vorrätig.

"Du erlebst da alles. Einmal kamen wir zu einem Schauplatz, bei dem der Mann das Auto, in dem seine Frau saß, von außen völlig demoliert hat. Ein Ehekrach. Die beiden kamen dann allerdings händchenhaltend und grinsend zur Polizei." Die schwierigste Bergung sei die aus einer Duplexgarage gewesen. In einem frisch gebauten Haus sei der Schacht für die Garage fertig gewesen und der Wagen des Besitzers in den Schacht gerollt. "Da ist kein Platz, um das Ding da rauszuheben." Über Holzplanken haben sie dann den Wagen an der Seite hochgezogen.

Traumatische Erlebnisse nach Unfällen

"Ein Klassiker ist auch der Versuch, sich vom Abschleppdienst die Strafgelder zurückzuholen, indem man sich beschwert, dass die Felge kaputt gegangen ist." Eichenseher grinst. Die Polizei nimmt alle Macken eines Wagens vor der Bergung auf, außerdem werden die Fahrzeuge mit Textilschlaufen angehoben, "und wenn uns einer blöd kommt, holen wir die Kollegen der Unfallfluchtfahndung zur Hilfe." Die Polizeikollegen seien extrem versiert beim Zuordnen von Spuren am Auto. Da wird jeder Betrugsversuch entlarvt, sagt Eichenseher.

Er hat in seiner Zeit auf der Straße allerdings auch traumatische Dinge erlebt. "Ich bin schon an Unfallstellen hingefahren, bei denen der Wagen ausgebrannt war und man noch eine verkohlte Hand aus dem Fahrerfenster rausragen sieht. Darauf bist du ja nicht vorbereitet." Er hat auch beim berühmten ersten Münchner Taxi-Mord einen Einsatz gehabt. "Ich sollte das Taxi abschleppen, was ich auch gemacht habe. Und zwar mit Leiche zur Polizei, damit dort die Spuren gesichert werden können." Mit einem Toten durch die Stadt, heute unvorstellbar.

Seine Leute seien in jeder Hinsicht geschult, sagt Eichenseher, vor allem auch dafür, dass ein aggressiver Wagenhalter mal handgreiflich wird. "Das passiert schon mal, dass ein Fahrzeughalter aus Frust schimpft oder einen Außenspiegel abtritt." Oft hörten seine Leute auch wunderbare Ausreden, dass man die kranke Oma dringend irgendwo hinbringen musste oder so. "Die Aggressivität hat bei den Leuten aber in den Jahren deutlich zugenommen", sagt Eichenseher. Das Unrechtsbewusstsein sei immer weniger da. "Und auch die Schadenfreude hat zugelegt. Ein Auto, das auf den Abschlepper geladen wird, das filmen immer einige."

Eichensehers Mutter läuft mit einem Ordner vorbei, als der Sohn sagt: "Ich selbst bin zum Glück noch nie abgeschleppt worden, allerdings meine Tochter." Und das Schlimmste daran war: nicht einmal vom eigenen Unternehmen.

© SZ vom 12.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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