Forschung zu häuslicher Gewalt:Wenn Papa zum Mörder wird

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Nach der Tat trauern Kinder nicht nur, sie leiden an den Folgen. (Foto: Robert Haas)
  • 236 Frauen wurden im vergangenen Jahr in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.
  • Oft werden die Kinder dieser Familien zu vergessenen Opfern - dabei haben sie mit den Taten Vater und Mutter verloren.
  • Die Karlsruher Diplom-Psychologin Alexandra Schmidt erforscht, was die Taten mit den Kindern des Opfers anrichtet.

Von Christian Rost

Vor den Augen der vier Jahre alten Tochter stach der 47-Jährige zu. 18 Mal traf er mit der Klinge seine zehn Jahre jüngere Frau, die schließlich blutüberströmt in der Küche am Boden lag. Das Paar hatte vier Kinder, die durch die Tat des eifersüchtigen Juristen praktisch zu Vollwaisen geworden sind: Die Mutter ist tot, der Vater sitzt lebenslang im Gefängnis.

Diese schockierende Tat vom Juni 2012 in Schäftlarn ist leider kein Einzelfall. "Voriges Jahr wurden bundesweit 236 Frauen von ihrem Mann oder Ex-Partner ermordet", sagt Sibylle Stotz vom Frauenhaus "Frauen helfen Frauen e. V. München". Die Kinder blieben dann als die "vergessenen Opfer" zurück.

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Ein beklemmendes Bild

Der Verein beteiligt sich an den noch bis 1. Dezember laufenden Münchner Aktionswochen gegen Gewalt an Frauen, Mädchen und Jungen und lud am Montag zur Vorstellung eines Forschungsprojektes ins Gerichtsgebäude an der Pacellistraße. Alexandra Schmidt, Diplom-Psychologin und Mitarbeiterin des Jugendamts in Karlsruhe, stellte ihre wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel "Wenn Papa die Mama getötet hat - aus Sicht der hinterbliebenen Kinder und Jugendlichen" vor.

Das Forschungsprojekt ist noch nicht abgeschlossen und auch nicht repräsentativ, doch schon anhand des Zwischenberichts konnten sich für die Zuhörer ein beklemmendes Bild machen, was ein Tötungsdelikt bei den Kindern des Opfers anrichtet.

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Acht Kinder und Jugendliche, die in sieben Fällen ihre Mutter und in einem Fall ihren Vater durch die Gewalt des jeweiligen Ehepartners verloren haben, hat die Psychologin interviewt. Die Befragten sind mittlerweile volljährig. Außerdem sprach Schmidt mit drei Helfern, die sich um die Betroffenen kümmerten. Zwei der Befragten waren als Kinder Zeugen der Morde geworden, die die oft alkoholisierten Täter zumeist mit einem Messer ausführten. Andere erwürgten oder erdrosselten ihre Partner, in einem Fall schoss ein Mann auf seine Frau.

Die Hälfte der Kinder hatten zuvor schon Gewalt in ihrer Familie erlebt. In den anderen Familien gärte es hinter einer bürgerlichen Fassade. Zur Eskalation kam es in den meisten Fällen dann, wenn Veränderungen anstanden, sich etwa ein Partner trennen wollte. Eifersucht ist in Beziehungstaten ein häufiges Motiv, das den Kindern allerdings völlig unverständlich ist. In einem der von Schmidt untersuchten Fälle hatte der Vater der Tochter gesagt, die Mutter sei abgehauen. Jahre später begann sich die Tochter Fragen zu stellen und nach der Mutter zu suchen. Am Ende entdeckte sie ihre Leiche.

Wird die Familie durch einen Mord auseinandergerissen, zieht es den Kindern den Boden unter den Füßen weg. Minderjährige müssen in Pflegefamilien untergebracht werden. Manche gewöhnen sich daran und freuen sich, wenn es mit den Ersatzeltern in den Urlaub oder zum Eisessen geht, während die eigenen Eltern in einem prekären Umfeld gelebt und ihre Straße nie verlassen hatten.

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In manchen Fällen funktioniert das Zusammenleben in den Pflegefamilien aber auch nicht. Eine junge Frau, so berichtete Alexandra Schmidt, hat den Umzug zu ihrer Tante als schlimmer empfunden als den gewaltsamen Tod ihrer Mutter. Und eine Pflegemutter, die mehrere Kinder bei sich wohnen ließ, wird in der Studie mit den Worten zitiert: "Hätte ich gewusst, was das für ein Stress mit euch ist, hätte ich euch nie genommen."

Die psychischen Folgen für die Kinder nach der Tat sind massiv. Sie quälen sich mit Fragen nach dem Warum, machen sich Selbstvorwürfe. Ein Junge sagte: "Wäre ich an dem Tag nicht zur Schule gegangen, dann würde meine Mutter noch leben." Ein Mädchen tat sich schwer, ihren Vater zu hassen: "Er war ein guter Papa, aber er hat mir die Mama genommen." Die inneren Konflikte, die tiefe Trauer und die Ängste zeigen sich in Symptomen wie Schlaf- und Essstörungen. Später dann kommt häufig übermäßiger Alkoholkonsum dazu.

Für die Zeit nach der Tat hätten sich alle befragten Kinder und Jugendlichen ein Mitbestimmungsrecht gewünscht. Dass man nicht über ihren Kopf hinweg entscheidet, wie es mit ihnen weiter geht, sondern dass man sie fragt, wo sie künftig leben wollen. Den Umgang der Behörden mit ihrem Schicksal empfanden sie oft als unsensibel. Diese Botschaft kam bei den Zuhörern am Montag an. Eine Vertreterin des Münchner Jugendamtes sagte: "Man muss sich Zeit nehmen. Darüber sollten wir nachdenken."

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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