Landeskriminalamt:Dieser Polizist erkennt jede Kunstfälschung

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Franz Weber vor einem der gefälschten Werke. Die, die selbst zum Pinsel greifen, sind die Besten, sagt er. (Foto: Robert Haas)

Franz Weber gerät auf seiner Spurensuche mitunter ins Nazimilieu oder zur Mafia. Die Recherchetechniken seines Teams erinnern an Hollywoodfilme.

Von Martin Bernstein, München

Sie gelten als Helden der Kunstgeschichte, ihre Arbeit am Ende des Zweiten Weltkriegs als größte Schatzsuche der Geschichte. Die "Monuments Men" der USA, denen George Clooney vor zwei Jahren einen Kinofilm gewidmet hat, dokumentierten und retteten vom Krieg bedrohte Kulturgüter; sie stellten unzählige Kunstwerke sicher, die deutsche Offiziere und Nazi-Bonzen geraubt und gehortet hatten. Auch das Landeskriminalamt (LKA) in München hat seine "Monuments Men" - und 71 Jahre nach Kriegsende haben diese immer wieder mit Nazi-Beutekunst zu tun.

Ihre Aufgabe ist ähnlich diffizil, nur dass den Frauen und Männern des Sachgebiets 622, deren vielfältige Aufgaben ebenso profan wie geheimnisvoll mit "Sonderermittlungen" überschrieben sind, statt Karabinerkugeln schon eher Gesetzesparagrafen um die Ohren fliegen.

Seit 1975 ist Franz Weber, der Chef der Münchner Kunstfahnder, beim LKA. Der Ermittler hat viel erlebt in dieser Zeit: die Oetker-Entführung, der Fall Ursula Herrmann, der Prozess gegen den KZ-Wachmann John Demjanjuk - Weber war an all diesen Ermittlungen beteiligt. Und jetzt die Kunst. Der Fall des Kunsthändlers Cornelius Gurlitt kommt einem da unwillkürlich in den Sinn.

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War Webers Truppe in die Ermittlungen involviert? "Nein", sagt er, "das war der Zoll." Er wirkt nicht unglücklich, wie er das so sagt. Er hat seine eigene Erfahrung mit dem Namen Gurlitt, dem Vater in diesem Fall.

Eine "Bergpredigt" des Antwerpener Barockmalers Frans Francken war 2008 in der Fernsehsendung "Kunst und Krempel" gezeigt und anschließend vom LKA sichergestellt und zur Fahndung ausgeschrieben worden. Kein Krempel, eindeutig Kunst.

Der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt hatte das Gemälde 1943 in Paris gekauft - im Auftrag Hitlers. Im Führerbau an der Arcisstraße war das Gemälde eingelagert, bis es in der Nacht auf den 30. April 1945 verschwand. Um erst 63 Jahre später wieder aufzutauchen. Weil niemand Ansprüche anmeldete, gab ein Münchner Gericht das Bild den letzten Besitzern zurück.

Der Flur vor Webers Büro in der LKA-Außenstelle an der Barbarastraße ist eine Galerie. Nur dass keine Originale der sichergestellten Bilder oder Skulpturen aus aller Herren Länder und Epochen zu sehen sind. Die werden sicher und kunstkompatibel in klimatisierten Räumen verwahrt, oft jahrelang, bis Richter die schwierigen Rechtslagen und Vermögensansprüche aufgedröselt haben, so gut es die Gesetze erlauben.

Im Fall von religiösen Kunstwerken, die in Nordzypern geraubt und von einem Münchner Raubkunsthändler international angeboten worden waren, dauerte es zwölf Jahre, bis die Fresken, Mosaiken und Ikonen auf die Mittelmeerinsel zurückkehrten konnten. So lange lagen sie im LKA-Kriminaltechnikbau bei 20 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 52 Prozent.

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Keine Originale also auf dem Flur, und doch spielt dort auch die Rückkehr des zypriotischen Schatzes eine Rolle. Auf Schautafeln präsentiert das Sachgebiet 622 sich und seine Arbeit: Kunstdiebstahl, Kunstfälschung, Raub- und Beutekunst, Raubgrabungen - "das ist unser Metier", sagt Weber. Doch nicht nur das.

Auch mit Nazi-Gewaltverbrechen, Dopingvergehen und spektakulären Erpressungen werden die Münchner Sonderermittler betraut. In einem Fall geht es um Amtshilfe, in einem anderen um die Sicherstellung von Kulturgütern, dann wieder darum, Fälscher zu überführen oder notorischen Kirchendieben wie vor einem Jahr in Niederbayern das Handwerk zu legen.

Oft spielt neben dem Straf- auch das Zivil-, das Zoll- und das Steuerstrafrecht eine Rolle, es gibt EU-Verordnungen und Maßnahmen, die das Kunstministerium anordnen kann. Und trotzdem weist die Rechtslage manchmal so große Lücken auf, dass international tätige Raubgräber, Hehler und dubiose Händler leicht hindurchschlüpfen können.

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Weber erinnert sich an "eine ganze Lkw-Ladung" mittelamerikanischer Antiken, die die Ermittler bei einem Händler aufstöberten. Sechs Länder forderten sie zunächst zurück. Doch das "Kulturgüterrückgabegesetz" von 2007 griff nicht, weil keines der Objekte in einem offiziellen Register aufgeführt war. Wie auch - die Gegenstände stammten aus geplünderten Gräbern? Das Gesetz soll jetzt geändert werden, "es hat nie gegriffen", sagt Weber. Am Ende blieben zwei Holzfiguren übrig, die an Mexiko zurückgegeben wurden. Zwei von ursprünglich 1030 Exponaten.

Ein anderes Rechtshilfeersuchen an die Münchner Spezialisten ging im Sinne der Kunst bedeutend besser aus: Im Februar 2015 gab das LKA gut 600 Bücher an Italien zurück. Der ehemalige Direktor der Biblioteca dei Girolamini in Neapel hatte sie aus seiner eigenen Bibliothek gestohlen und über Mittelsmänner an einen Münchner Auktionator weitergereicht.

Gemeinsam mit den italienischen Kollegen hat er Weltkulturerbe bewahrt

Dabei hatten die Werke von Kopernikus, Newton, Kepler und Galilei, die das Denken der Welt grundlegend revolutioniert hatten, schlimm gelitten: Ex-Libris-Zettel waren herausgerissen worden, Bibliotheksstempel waren ausgekratzt, Löcher in 500 Jahre altes Papier gerissen, Einträge mit dicken Tintenklecksen überschmiert. Im LKA wurden die Bücher den Beständen der Bibliothek in Neapel zugeordnet, katalogisiert und geschätzt. Die Ermittler betätigten sich in diesem Fall als Dienstleister und bewahrten mit ihren italienischen Kollegen unschätzbares Weltkulturerbe.

Um Diebstähle aus heimischen Kirchen kümmern sich die Kunstfahnder an der Barbarastraße bereits seit 1978. Früher gab es Hunderte Meldungen pro Jahr. "Das war ein Problem", sagt Weber. War. Denn auch dank intensiver Beratungen durch die Experten des LKA sind die Sicherheitsmaßnahmen in vielen Kirchen verbessert worden. Und offenbar hat die Nachfrage nach sakralen Gegenständen nachgelassen.

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Zudem hilft das Internet den Fahndern, es gibt einen bundesweiten Meldedienst für Kirchendiebstähle. "Dadurch können wir Serien erkennen", sagt Weber. Wie die, für die ein 39-Jähriger aus Niederbayern vor etwa eineinhalb Jahren verantwortlich war. Bei rund 20 Diebstählen aus altbairischen Kirchen erbeutete er Altarkreuze, Putten, Heiligenfiguren. Der Hinweis eines Sammlers und Recherchen auf Auktionsplattformen im Internet brachte die Kunstermittler auf die Spur des Mannes. Im März 2015 nahmen sie ihn fest.

Offensichtlich gibt es auch auf dem illegalen Kunstmarkt Moden, vor allem auf dem weiten Feld der Fälschungen: "Grundsätzlich wird gefälscht, was sich großer Nachfrage erfreut", sagt Weber. Wobei der Chef-Kunstfahnder die Fälscher in mehrere Gruppen unterteilt.

Die Fälscher, die selbst zum Pinsel greifen, "das sind die Besten"

Da gibt es die, die im Internet ein Werk anbieten, von dem sie einfach behaupten, dass es aus der Hand eines mehr oder weniger großen Meisters stamme. Dann gibt es die gewieften Betrüger, die falsche Zertifikate vorlegen, um die vermeintliche Echtheit eines Bildes zu belegen. Und schließlich gibt es die seltenen Fälle der Fälscher, die selbst zum Pinsel greifen und die künstlerische Handschrift eines großen Malers täuschend echt nachahmen.

"Das sind die Besten", sagt Kunstfahnder Weber. Und ein bisschen klingt sogar Anerkennung durch - und die Gewissheit, auch diese zu fassen.

Denn die "Monuments Men" von der Barbarastraße haben inzwischen ihre eigene Fälscher-Datenbank. Sie haben Techniker, die Alter und Zusammensetzung von Farbe und Leim bestimmen. Und sie ziehen Experten zu Rate, die wissen, mit welchem Pinselstrich ein Künstler malte und wie sein Leben verlief.

Bei einem Sammler im Raum Rosenheim stießen die Fahnder vor Jahren auf einen angeblichen Manet. Fast zehn Millionen Euro sollte das Werk aus dem Jahr 1870 wert sein. Doch das Röntgenbild zeigte: Mit der Pariser Stadtansicht war ein anderes Gemälde übermalt worden. Ein Manet auf dem Höhepunkt seines Erfolgs hätte das niemals getan. Letzte Gewissheit brachte die Analyse der weißen Farbpigmente. Titanweiß wird erst seit 1908 hergestellt - da war der Impressionist Édouard Manet seit 25 Jahren tot.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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