Flüchtlinge aus Afghanistan:"Jetzt sind wir ein Teil von Deutschland"

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Die Familie Mohmand aus Afghanistan ist angekommen - alle fühlen sich wohl in München. (Foto: Robert Haas)
  • Die Familie Mohmand ist vor fast 20 Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen.
  • Sie flohen vor dem Bürgerkrieg und landeten in München.
  • Heute sind Mutter, Vater und vier Kinder integriert und haben die deutsche Staatsbürgerschaft.

Von Bernd Kastner

Eine Reise mit vielen Stationen

Ein Nein war der Beginn ihrer langen Reise. Der Krieg gegen die Sowjetunion war noch nicht lange vorbei, da sollte Zakir Mohmand im Bürgerkrieg mitkämpfen, aber er wollte, er konnte nicht. Auf Nachbarn schießen? "Wir haben nein gesagt", sagt er. Wer nein sagt, lebt sehr gefährlich in Afghanistan, "die haben mich immer wieder gesucht". Die Mohmands ( Name geändert) sind geflohen, Mann und Frau, sie hatten damals noch keine Kinder. Rabia Mohmand war erst 17 Jahre alt, sie brach die Schule ab.

Vor knapp zwanzig Jahren kamen sie via Frankreich nach Deutschland - und sind zu früh aus dem Zug gestiegen, in Augsburg. Wohin jetzt? Sie suchten irgendein asiatisches Geschäft, einfach so, und trafen dort einen, der ihre Sprache sprach. Dieser Unbekannte ließ sie in seiner Wohnung übernachten. So gastfreundlich verlief ihr erster Tag in Deutschland.

"Das erste Jahr war schlimm"

Kurz darauf standen sie in München. Untersbergstraße, Erstaufnahme, das, was heute die Bayernkaserne ist. Dort teilte man ihnen mit einem anderen, fremden Paar ein Zimmer zu, sie waren zu viert, es war feucht und eng in diesem Heim, es war kein Gast-Haus. "Diese Zeit vergesse ich nie", sagt Rabia Mohmand. "Das erste Jahr war schlimm." Sie wurde schwanger und konnte mit den Lebensmitteln aus den Essenspaketen nichts anfangen. Erst als Sohn Ali geboren war, bekamen sie ein eigenes, kleines Zimmer beim Michaelibad.

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Zakir Mohmand erkrankte 2001 an Hepatitis C. Bis dahin hatte er bei McDonald's gearbeitet, viele Nachtschichten, aber immerhin, er verdiente Geld. Doch dann verlor er seine Stelle, damals hatte die Familie nur ein befristetes Aufenthaltsrecht, bekam keine Sozialhilfe. Die Schulden, die Enge, die Krankheit, die Angst vor der Abschiebung, das alles drückte Zakir Mohmand nach unten, er rutschte in die Depression. "Wie kann ich leben?", fragte er sich.

Die Mutter musste sich um alles kümmern

Der Vater besiegte die Hepatitis, da ahnte er noch nicht, was noch kommen sollte. Eines Tages verspürte er Schmerzen im Gesicht, Blitze durchzuckten seinen Kopf, immer wieder, er konnte nicht schlafen, kaum mehr essen. Die Ärzte diagnostizierten eine Trigeminus-Neuralgie. Der Gesichtsnerv, der sich von der Schläfe aus nach vorne verzweigt, war gereizt. Immer höher dosiert wurden die Medikamente, zehn Jahre lang, aber sie halfen kaum. Die Blitze machten das Leben zur Qual.

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Die Familie zog in die Müllerstraße, dann weiter in die Landsberger Straße. Immer nur ein Zimmer. Sieben Jahre lang blieben sie dort, es kamen das zweite und das dritte Kind, sie lebten zu fünft in einem Zimmer. Die Mutter musste sich um alles kümmern, ihr Mann war zu kraftlos, die Medizin machte ihn müde, und dann erkrankte auch die Mutter. Angststörung, Depression. Es war alles zu viel geworden.

Wie gerne hätten die Eltern ihren Kindern ein paar schöne Dinge gekauft, einen neuen Kinderwagen vielleicht, aber es reichte nur fürs Überleben. Bis 2003 dauerte es, da spürten sie zum ersten Mal Boden unter den Füßen, sie erhielten ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Sie wissen noch genau, wie sie im Kreisverwaltungsreferat saßen, dieses Papier in Händen hielten und dann sofort ein paar Etagen nach oben gegangen sind, um den Antrag auf Einbürgerung zu stellen. Wenig später zogen sie in eine etwas größere Wohnung um, es kam ihnen vor wie ein Lottogewinn.

2007 wurde Rabia Mohmand erneut schwanger. Die Monate bis zur Geburt waren voller Komplikationen, und dann, während der Geburt, wäre die Mutter beinahe gestorben. Der Vater hat alles noch vor Augen. Intensivstation, der Monitor, keine Herzfrequenz mehr, viele Ärzte, rein und raus. Sie holten die Mutter zurück ins Leben. Nach elf Tagen durfte sie heim, aber dort wurde sie bewusstlos. Wieder Klinik, einen Monat lang. Der Vater war mit drei kleinen Kindern und einem Neugeborenen allein zu Hause. "Wie kann ich das schaffen?", fragte er sich. Blitze durchzuckten seinen Kopf, wieder und wieder.

Die Zukunft hat 2007 begonnen

Er hat es geschafft. Und dann wagte er die Operation, damit die Blitze verschwinden. Die OP glückte. Er fand wieder Arbeit, fährt jetzt für eine Klinikapotheke Medikamente aus. Die Zukunft hat begonnen. Die Mohmands sind nicht nur seit 2007 deutsche Staatsbürger, sie sprechen gut Deutsch, leben ein deutsches Leben. "Es war eine schwierige Zeit", sagt die Mutter. "Jetzt sind wir ein Teil von Deutschland. Wir haben so sehr darum gekämpft."

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Ali, der Älteste, lernt bei der Telekom. Yalda besucht die achte Klasse im Gymnasium, ihre beiden jüngeren Schwestern Husna und Muzna die Grundschule. Ihre Mutter will auch auf die Schule gehen. Sie will endlich den Abschluss nachholen und dann als Arzthelferin oder Erzieherin arbeiten, das ist ihr nächstes großes Ziel. Aber jetzt, da die Eltern gesundheitlich recht stabil sind, kämpft die älteste Tochter mit Skoliose, einer Verkrümmung der Wirbelsäule. Zehn Stunden hat die OP gedauert. Sie muss jetzt sehr aufpassen, darf keinen Sport treiben, kein Fahrrad fahren, und das mit 14 Jahren.

Der größte Wunsch: eine schöne Wohnung

Noch immer lebt die sechsköpfige Familie beengt. Die drei Mädchen teilen sich ein Zimmer. Im ganzen Haus gibt es Probleme mit Schimmel, viele Möbel sind befallen, auch in der Küche. Und die Unterseiten der Matratzen. Dringend bräuchten sie neue, und endlich auch Bettgestelle. Allein, das Geld reicht nicht. Und sie suchen wieder, nach einer etwas größeren Wohnung, frei von Schimmel, und näher zur U-Bahn als jetzt, weil Yalda das Laufen so schwer fällt.

Die Mohmands werden weiter kämpfen müssen, aber ihnen ist nicht mehr bange. "Wir sind mit zwei Tüten angekommen", sagt Rabia Mohmand. Heute lebt die Familie in Sicherheit, das ist ihnen das Wichtigste, und ihre Kinder haben eine Zukunft. "Wir sind zufrieden", sagt die Mutter. Sie wisse, wem sie ihre Zukunft zu verdanken habe. Gott und Deutschland. Sie sagt, dass sie sich bedanken wolle für alles.

© SZ vom 24.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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