Filmfestival:Abwege und Auswege

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Die 15. Tschechische Filmwoche zeigt sieben aktuelle Spiel- und Dokumentarfilme aus Tschechien und - neu - der Slowakei. Die Regisseure setzen sich kritisch und einfühlsam mit ihrer Heimat auseinander

Von Barbara Hordych

Was passiert, wenn man Surrealismus à la Luis Buñuel, Philosophie und Kunstgeschichte miteinander verquickt, das Ganze mit antiklerikalen Seitenhieben versetzt und mit einem genretypischen Film-Noir-Setting beginnen lässt? Man erhält "Reise nach Rom", das Spielfilmdebüt des in Polen geborenen Regisseurs Tomasz Mielnik, der nach einigen Semestern Kunstgeschichte in Breslau Regie an der Prager Filmhochschule studierte und derzeit als großes Talent unter den jungen Regisseuren in Tschechien gilt. Mit seiner "tschechisch-polnisch-geistlichen Komödie" wolle er "mittels Übertreibung Antwort auf die Frage finden, was eigentlich der Sinn des Lebens ist", sagt der Regisseur über sein skurriles Roadmovie, das im Juli dieses Jahres bei den Internationalen Filmfestspielen in Karlvoy Vary uraufgeführt wurde und an diesem Mittwoch um 19 Uhr die 15. Tschechische Filmwoche eröffnet.

Erzählt wird die Geschichte des unschuldigen und gutgläubigen Museumswärters Vasek, der durch die Begegnung mit einer verführerischen Femme Fatale auf Abwege gerät: Ihr zuliebe stiehlt er ein wertvolles Gemälde und flieht im Zug nach Rom, um seine Beute skrupellosen Kunstsammlern zu verkaufen. Unterwegs hat er allerlei denkwürdige Begegnungen mit exzentrischen Fahrgästen, die ihm ihre Lebensgeschichten erzählen - darunter Priester, die sich als Scharlatane entpuppen, aber auch ein junger, gut gekleideter Mann, der Wasser in delikaten Wein verwandeln kann und deshalb von einer Winzerfamilie in der italienischen Provinz als Bräutigam für ihre Tochter anvisiert wird.

Alle Wege führen nach Rom? Nicht für Vasek (V. Hrzina), der in "Reise nach Rom" von einer Schönen (B. Kohoutová) verleitet wird, ein Bild zu stehlen. (Foto: Background Films)

Eigentlich hatte Regisseur Mielnik zur Eröffnung des Festivals seinen Besuch angekündigt, "doch dann kam uns China mit seinem Silk Road International Film Festival in Fuzhou dazwischen - das will den Film ebenfalls zeigen, machte aber zur Bedingung, dass der Regisseur eine Woche lang anwesend ist", erklärt Programmkoordinatorin Anett Browarzik vom Tschechischen Zentrum, das gemeinsam mit der Volkshochschule und Ahoj Nachbarn e. V. die Filmwoche veranstaltet. Stattdessen reisen nun die beiden Produzenten und der Drehbuchautor Vit Polacek zu Filmgespräch und Empfang an.

Neu ist bei der diesjährigen Tschechischen Filmwoche, "dass wir nicht nur das gegenwärtige Filmschaffen in Tschechien, sondern auch dasjenige in der Slowakei berücksichtigt haben, die Trennung halte ich sowieso für künstlich", sagt Browarzik. Bewusst hat sie beispielsweise zur Roma-Problematik je einen Film aus den beiden Ländern eingeladen: Das Sozialdrama "Ausweg" von Petr Václav ist nach sechzehn Jahren der erste tschechische Film, der auf dem Internationalen Filmfestival in Cannes 2014 präsentiert wurde. Zudem gewann er sieben von zehn Tschechischen Löwen, dem wichtigsten nationalen Filmpreis. Neben Buch und Regie wurde Klaudia Dudová als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Sie verkörpert die Hauptfigur Žaneta, die mit ihrem Mann David in einem Teufelskreis steckt: Eigentlich wünscht sich das junge Roma-Paar nur ein anständiges Leben für sich und seine kleine Tochter, doch Arbeitslosigkeit, Bildungsdefizit und Schulden lassen das schier unmöglich erscheinen. Wäre da ein Verbrechen der Ausweg? David denkt schon, doch für die kämpferische Žaneta kommt dies nicht in Frage: "Ich will nicht, dass unsere Tochter später ihren Vater im Gefängnis besuchen muss."

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Für die Recherchen reiste Regisseur Václav sechs Monate lang durch die Republik, sprach mit Tausenden Roma, drehte an realen Orten und arbeitete zudem ausschließlich mit Laiendarstellern. "Wir wollten den Film unbedingt dabei haben, auch wenn er in seiner Heimat kein Publikumserfolg war", sagt Browarzik. Der slowakische Beitrag zur Situation der Roma ist sogar noch schonungsloser: Für "Alle meine Kinder" begleitete der Dokumentarfilmer Ladislav Kaboš über mehrere Jahre den Priester Marián Kuffa bei seinen Versuchen, den Bewohnern eines Roma-Slums in der Ost-Slowakei zu Bildung und neuem Selbstbewusstsein zu verhelfen. Überhaupt sei das Dokumentarische im gegenwärtigen Filmschaffen, einerlei ob in Tschechien oder in der Slowakei, auffällig stark vertreten, ist Browarzik bei der Filmsichtung für das Festival aufgefallen - "eine Entwicklung, auf die wir bei unserer Auswahl reagiert haben".

So ist auch der mit Sicherheit kontroverseste Beitrag des Festivals ein Dokumentarfilm: "Daniels Welt" porträtiert einen 25-jährigen Literaturstudenten in Tschechien, der entdeckt, dass er pädophil ist - auch wenn er nicht vorhat, dies in die Tat umzusetzen. Sein Coming Out wirbt für mehr Verständnis für seinesgleichen, was noch jedes Mal zu hitzigen Debatten im Anschluss an die Filmvorführungen geführt hat. "Natürlich war uns gerade bei diesem Beitrag wichtig, jemanden vom Filmteam zur Diskussion vor Ort zu haben", sagt Anett Browarzik. Diesen Part übernimmt Produzent Zdeněk Holý, von dem auch die Idee zum Film stammt. "Nachdem er einen Beitrag über Pädophile im Fernsehen gesehen hatte, fragte er sich: Wie ergeht es Betroffenen, die ihre Neigung bewusst nicht ausleben?", erzählt Anett Browarzik.

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Was wünscht sie sich in Zukunft für die Tschechische Filmwoche? "Schön wäre eine Entwicklung hin zu einem ,Mitteleuropa-Festival', zu dem neben der Slowakei auch Polen und Ungarn gehören". Eine Kooperation der Visegrád-Gruppe also, "es ist ja eher tragisch, wenn dies nur im Hinblick auf die Flüchtlingskrise passiert".

Tschechische Filmwoche , 23. bis 27. Sep., Arena Kino, Hans-Sachs-Str. 7, www.tschechischefilmwoche.com

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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