Filmfest:Nasser Kies statt roter Teppich

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Noch bei Tageslicht im Autokino Freimann: Regisseur und Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan mit Sohn Momo (spielt im Film den jungen Kida), Hauptdarstellerin Emma Drogunova (links), und Filmfest-Leiterin Diana Iljine im Hintergrund. (Foto: Robert Haas)

Das Filmfest München Pop-up startet auf dem Schotterparkplatz vor dem Zenith mit einer Weltpremiere von Kida Khodr Ramadan. Der Abend im Auto gibt dem Ganzen ein besonderes Flair

Von Ayca Balci

Kein roter Teppich, kein großes Blitzlichtgewitter und keine Prominenz in Abendgarderobe - dafür nasser Kies und Hunderte von Gästen, die es sich in Auto- statt Kinositzen vor einer großen Leinwand bequem machten: Es war ein Filmfest-Auftakt, den man so noch nie erlebt hat, ein gemütlicher Weltpremieren-Abend unter freiem Himmel, der noch schöner hätte werden können, hätte das Wetter etwas besser mitgespielt. Statt rosarotem Himmel gab es Regen, der es den Premierengästen mit beschlagenen Autoscheiben nicht immer ganz einfach machte. Und doch hatte der Abend etwas Besonderes, oder wie die Filmfest-Direktorin Diana Iljine zur Begrüßung durch die Autoradios sagte: "Ihr wohnt jetzt gerade etwas ganz Speziellem bei." Es herrschte dann doch ein Hauch von Premierenstimmung auf dem Zenith-Gelände. Statt die Premiere auf dem roten Teppich zu moderieren, schalteten sich die Filmfest-Teammitglieder Julia Weigl und Christoph Gröner aus einem roten Beetle in die Autos ihrer Gäste, bevor sie die Stars des Abends Kida Khodr Ramadan ("4Blocks") und Shooting-Star Emma Drogunova ("Bonnie & Bonnie") darin einmal über den vollen Schotterparkplatz vor zur Bühne kutschierten.

Mitgebracht hatten diese für den Auftakt der Pop-up-Version des Filmfests ihren neuen Film "In Berlin wächst kein Orangenbaum". Es ist Ramadans Solo-Regiedebüt, bei dem er auch am Drehbuch mitschrieb und die Hauptrolle übernahm. Stoisch und ruhig, wie er es gerne tut, spielt er Nabil, der nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, weil er nicht mehr lange zu leben hat. Dann verfolgt er nur noch ein Ziel: seinen Anteil aus dem letzten Überfall von seinem ehemaligen Partner zu bekommen, um seiner Exfrau ein besseres Leben zu ermöglichen - bis er erfährt, dass er eine Tochter (Emma Drogunova) hat.

Es ist kein gewöhnlicher Gangsterfilm, denn Nabil ist jemand, der voller Sehnsucht nach der Heimat immer Schriftsteller werden wollte und nun versucht, die verlorene Zeit mit seiner Tochter aufzuholen. Ramadan zeigt in seinem Debüt eine ungewöhnlich ungezwungene Vater-Tochter-Dynamik, die von großen Gegensätzen lebt. Auf der Bühne erzählt der Regisseur und Schauspieler, er habe einen Film machen wollen, in dem der Hauptdarsteller nicht so viel "labert und einfach mal ruhig durch den Film geht" - was ihm gelungen ist, denn im guten ersten Drittel des Kinofilms kommt er in der Rolle Nabils komplett ohne Worte aus. Es flimmerte an diesem ersten Premierenabend also ein außergewöhnlicher Film über die Leinwand - mit Ecken und Kanten, Humor und Gespür für den Berliner Kiez. Vor allem aber einer mit viel Herz, der deutlich zeigt, worauf es dem Filmfest-Team bei der Auswahl der wenigen Filme für ihr Pop-Up-Experiment ankam: um Emotionen. Am Ende gab es Lichter- und Hupapplaus.

Das einzige, was man an diesem Abend nicht tun konnte, sagt Filmfest-Mitorganisatorin Julia Weigl, sei es gewesen, die Fragen aus dem Publikum direkt mitzunehmen. Der Rücklauf zum Aufruf des Filmfest-Teams, ihnen Fragen an die Filmemacher über den Instagram-Kanal zukommen zu lassen, ist für's Erste etwas mager ausgefallen und kann bei der nächsten Premiere am 23. Juli ("Faking Bullshit") nur noch besser werden. Eines hat das neue Filmfest-Experiment aber geschafft: ganz ohne Glamour und ohne die üblichen großen Begegnungen den Fokus ganz auf den Film zu lenken und dabei ein großes Gemeinschaftsgefühl auf den Kiesplatz zu zaubern. Und das ließ sich auch von den Autotüren dazwischen nicht stören.

Filmfest München Pop-up , nächster Termin: Faking Bullshit, Do., 23. Juli, Lilienthalallee 29

© SZ vom 17.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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