Fasangarten:"Eine Verhöhnung der Opfer"

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Die Herbert-Quandt-Straße ist nach einem Mann benannt, der vom NS-Regime profitierte. Eine Mehrheit im Bezirksausschuss fordert deshalb, ihn nicht länger zu ehren - noch dazu unweit der Gräber der Geschwister Scholl

Von Hubert Grundner, Fasangarten

Was wurde wegen des Durchstichs der Herbert-Quandt-Straße zur Erschließung der Europäischen Schule nicht schon gestritten? Erst erkämpfte diese Lösung die Bürgerinitiative Amisiedlung. Das gleiche Ziel verfolgte der Bezirksausschuss Obergiesing-Fasangarten, nur um zu erleben, dass die Bürgerversammlung 2018 genau das ablehnte, während doch früher viele Nachbarn noch dafür waren. Überdies sendeten Verwaltung und Rathaus lange Zeit recht widersprüchliche Signale zu dem Thema, ehe sich der Stadtrat für die Verlängerung bis zur Lincolnstraße aussprach. Wobei seitdem über die - noch nicht entschiedene - endgültige Trasse gezankt wurde und wird. Fast überflüssig zu erwähnen, dass der Protest immer dann besonders laut wurde, wenn Bäume vom Durchstich bedroht waren.

Nur über eines hat sich in den vergangenen sechs, sieben Jahren nie jemand aufgeregt oder gewundert: Warum hat die Stadt 1987 die Straße nach dem NSDAP-Mitglied und Ausbeuter von Zwangsarbeitern Herbert Quandt benannt? Doch mit der posthumen Ehrung des Industriellen soll nun Schuss sein. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat der Bezirksausschuss (BA) Obergiesing-Fasangarten in nichtöffentlicher Sitzung mehrheitlich einen entsprechenden Antrag der Grünen-Fraktion verabschiedet. Darin wird die Stadt gebeten, die Umbenennung der Herbert-Quandt-Straße in die Wege zu leiten.

Die Herbert-Quandt-Straße in München-Fasangarten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Auf Nachfrage bestätigt die BA-Vorsitzende Carmen Dullinger-Oßwald (Grüne), dass dieser Beschluss gefasst worden ist. "Einen konkreten Anlass gab's dafür nicht", sagt sie. Es war wohl eher das wachsende Unbehagen der Lokalpolitiker darüber, ausgerechnet hier auf den Namen Quandt zu stoßen - mit dem früheren Standort eines Lagers für russische Kriegsgefangene östlich davon und dem Perlacher Friedhof westlich davon, wo die Geschwister Scholl und andere Mitglieder des Widerstands gegen das NS-Regime begraben liegen.

Angesichts des verstörenden Nebeneinanders von Opfern und Täter könnte man fast denken, jemand wollte die von den Nazis ermordeten Menschen nach dem Tod ein zweites Mal verhöhnen. Dullinger-Oßwald sagt denn auch, dass sich der Name Herbert Quandts "an einem Ort, der historisch so belastet ist, ganz einfach verbietet, das geht gar nicht".

In diese Richtung zielt auch die Begründung des Antrags, der jetzt verabschiedet wurde: Straßenbenennungen nach Personen seien die höchste Form der Ehrung im öffentlichen Raum in München, heißt es darin. Im Jahr 1987 wurde die Verlängerung der Schwanseestraße nach Süden nach Herbert Quandt (1910-1982) benannt. Vermutlich weil der Unternehmer nach dem Zweiten Weltkrieg BMW übernahm, vor der Übernahme durch Mercedes bewahrte und anschließend als erfolgreiche Automarke etablierte.

Verstörende Koinzidenz: Die Stadt München - hier OB Dieter Reiter 2018 - ehrt sowohl die von den Nazis ermordeten Mitglieder der Weißen Rose, aber auch den Unternehmer Herbert Quandt, der von Zwangsarbeit in der NS-Zeit profitierte. (Foto: Florian Peljak)

Tatsache ist jedenfalls, dass sich auf dem Gelände der heutigen Herbert-Quandt-Straße eines der vielen Kriegsgefangenenlager Münchens während der NS-Zeit befand - das Lager Schwanseestraße, in dem hauptsächlich sowjetische Kriegsgefangene interniert und von dort aus für Zwangsarbeit eingesetzt und in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden. In unmittelbarer Nähe liegen mit der Justizvollzugsanstalt Stadelheim und dem Friedhof am Perlacher Forst zwei der bedeutendsten Gedenkorte für den Widerstand gegen das NS-Regime im Viertel. Weshalb es im Antrag heißt: Seit nunmehr 34 Jahren werde auf diesem geschichtsträchtigen Gelände eine Person geehrt, die gemeinsam mit dem Vater eine Schlüsselposition in der NS-Kriegswirtschaft innehatte, vom Zwangsarbeitersystem und der Ausbeutung von KZ-Häftlingen profitierte und zudem seit 1940 NSDAP-Mitglied war. Es sei "geschichtswissenschaftlich mehr als einmal aufgearbeitet und belegt - auch durch die von der Familie Quandt in Auftrag gegebene Studie von Joachim Scholtyseck -, dass der Einsatz von Zwangsarbeit in der Quandt-Gruppe enorm war". Und weiter: Die Benennung einer Straße nach Herbert Quandt, "dessen Unternehmen von der menschenverachtenden Ausbeutung verschleppter Zivilisten, zumeist Frauen aus Ost- und Südosteuropa profitierte, ist eine Verhöhnung der Opfer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter und ihrer Angehörigen".

Während des Zweiten Weltkriegs war Herbert Quandt der Direktor der Pertrix GmbH, einer in Berlin ansässigen Tochtergesellschaft der Accumulatoren-Fabrik AG (AFA; seit 1962 VARTA), deren Vorstand er angehörte. Außerdem leitete er an der Seite von Günther Quandt die Personalabteilung der AFA. Das Unternehmen setzte Zwangsarbeiterinnen ein, darunter polnische Frauen, die aus Auschwitz überstellt worden waren. Ein KZ-Außenlager, komplett mit Galgen, wurde auf dem Gelände des AFA-Werks Hannover errichtet.

Nach dem Unternehmer Herbert Quandt ist eine Straße in der Nähe der Gräber der Geschwister Scholl benannt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Benjamin Ferencz, einer der Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen, war im Rückblick jedenfalls der Überzeugung, dass Herbert Quandt und sein Vater Günther ebenso wie Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Friedrich Flick und die Verantwortlichen der I.G. Farben als Hauptkriegsverbrecher angeklagt worden wären, wenn die erst später zugänglichen Dokumente den Anklägern damals schon vorgelegen hätten.

Aus diesen und weiteren Gründen fordert der BA deshalb die umgehende Änderung des Straßennamens. Von einer Erläuterungstafel unter dem Straßennamensschild Herbert-Quandt sei abzusehen, da diese im Gewerbegebiet von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und die Ehrung von Herbert Quandt mit Beibehaltung des Straßennamens weiter aufrechterhalten würde.

Die 250 Meter lange Herbert-Quandt-Straße sei auch nur eine relativ kleine Stichstraße mit zwei Wendehammern. Der Aufwand der Adressenänderung infolge einer Straßenumbenennung hielte sich angesichts der wenigen dort angesiedelten Gewerbebetriebe - hauptsächlich Betriebe der Münchner Abfall- und Recycling-Wirtschaft - in einem vertretbaren Rahmen, so die Lokalpolitiker.

Den Antrag, betont Dullinger-Oßwald, hätten zwar die Grünen eingebracht, er sei aber geschlossen von der SPD-Fraktion unterstützt worden. Im Grunde gebühre auch deren Stadträten die Anerkennung dafür, dass man sich auf diese Weise jetzt der NS- Vergangenheit stelle. Schließlich waren es die Sozialdemokraten, die im Juni 2015 erfolgreich den Antrag stellten, der überschrieben war: "Historisch belastete Straßennamen untersuchen und einen Vorschlag für den Umgang damit erarbeiten."

Weiße Rose und Steine auf dem Grabkreuz von Sophie Scholl auf dem Friedhof am Perlacher Forst. (Foto: Robert Haas)

Den Auftrag für eine entsprechende Studie erhielt Andreas Heusler vom Stadtarchiv. Als Projektleiter stellte er Ende 2019 ein Gremium zusammen, das sich damit befasst. Wann die Studie fertig vorliege, sei noch nicht absehbar, erklärt Heusler, man stecke noch mitten in der Arbeit. Auskunft zu einzelnen Namen könne er - noch - nicht geben, das sei vertraulich. Zugleich wirbt er um Verständnis: "Wir prüfen gerade die Einzelfälle - da geht Sorgfalt vor Schnelligkeit."

© SZ vom 22.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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