Eugen-Biser-Preis:Sichtlich bewegt

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Charlotte Knobloch wird ausgezeichnet und warnt

Von Jakob Wetzel, München

Eine Preisverleihung sei in der Regel eine schöne Veranstaltung, sagt Norbert Lammert. Häufig sei sie auch fröhlich, manchmal sogar gemütlich. Doch an diesem Abend sei das etwas anders. Lammert steht am Rednerpult in der Allerheiligen-Hofkirche an der Residenz. Es ist Montagabend, kurz nach acht Uhr; die Menschen im Saal sind geradezu andächtig still. Der Präsident des Deutschen Bundestags ist gekommen, um als Laudator über Charlotte Knobloch zu sprechen - und damit, sagt er, auch über die jüdische Geschichte in diesem Land. Und das sei selten völlig problemfrei, und schon gar nicht gemütlich.

Charlotte Knobloch, langjährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens und Oberbayerns und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, wird am Montagabend von der Münchner Eugen-Biser-Stiftung mit dem Preis gleichen Namens geehrt. Die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung wird seit 2003 in unregelmäßigen Abständen an Personen verliehen, die sich für Frieden, Freiheit, Toleranz und Menschenwürde einsetzen - also für diejenigen Werte, für die auch die Theologie des 2014 verstorbenen Religionsphilosophen Eugen Biser stand. Die 83-jährige Münchnerin Charlotte Knobloch hat angekündigt, ihr Preisgeld zu spenden.

Sie ist eine in mehrfacher Hinsicht besondere Preisträgerin: Knobloch ist nicht nur die erste Frau und die erste jüdische Persönlichkeit, die ausgezeichnet wird. Zu den Geehrten zählten bisher neben Laudator Lammert drei muslimische und zwei christliche Theologen. Knobloch, die den Holocaust als junges Mädchen versteckt auf einem fränkischen Bauernhof überlebt hat, steht auch wie keine zweite für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des jüdischen Lebens in Deutschland.

Die Vergangenheit ist an diesem Abend erschreckend präsent. Seit 70 Jahren würden Christen und Juden im Dialog daran arbeiten, Vorurteile vor allem auf christlicher Seite abzubauen, sagt Heinrich Bedford-Strohm, Bayerns Landesbischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Doch diese Aufgabe sei noch lange nicht abgeschlossen: Immer noch sei Judenfeindschaft verbreitet, und zwar, was ihn besonders schmerze, auch in christlichen Gemeinden. Dagegen werde man vorgehen: "Antisemitismus und Rassismus haben in den Kirchen keinen Platz!" Norbert Lammert berichtet, rechtsextreme Gewalt nehme exorbitant zu - das gehe aus dem Verfassungsschutzbericht hervor, sei also kein eingebildetes, sondern ein tatsächliches Problem. Es gebe Zuwanderer, die mit ausgeprägtem Hass auf Juden ins Land kämen. "Diese Menschen werden in Deutschland keine Heimat haben", betont der 67-jährige Bundestagspräsident. Die Festgäste klatschen, aber nur verhalten, wie um die Feierlichkeit des Abends nicht zu stören.

Als der Preis überreicht wird, stehen die Menschen im Saal und spenden Applaus, Charlotte Knobloch ist sichtlich bewegt. Sie habe Deutschland nach dem Krieg eigentlich verlassen wollen, anders als ihr Vater Siegfried Neuland, hat sie zuvor gesagt. Er habe das gebrochene Heimatland wieder aufbauen wollen, "ich wollte nur weg von dem mörderischen Hass". Gekommen sei alles anders. Sie habe wieder Vertrauen gefasst, und heute danke sie Gott dafür, dass sie helfen durfte, dem jüdischen Leben in Deutschland wieder eine Heimat zu geben. Für den Preis und das Lob danke sie: "Mein gottseliger Vater hätte sich über all dies so sehr gefreut." Aber die Arbeit sei nicht beendet.

Die Welt sei aus den Fugen geraten, sagt Knobloch. Der sicher geglaubte Konsens über Demokratie und Freiheit, Menschenrechte und Toleranz werde wieder in Frage gestellt. Die jüdische Gemeinde spüre die Brüchigkeit dieser Werte auf ihre Weise. Antisemitische Thesen würden immer ungenierter artikuliert. Die Erfolge rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien seien Signale, die kein Demokrat überhören dürfe. Die Parteien müssten auf die "sogenannten Besorgten" eingehen, die Gesellschaft auf ihren Werten bestehen, fordert sie. Und die Religionsgemeinschaften müssten den Dialog pflegen. Man dürfe die Geschichte nicht vergessen, um der Zukunft willen.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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