Näher geht nicht. Von ihrem Wohnzimmer aus müsste Johanna Gressung das katholische Herz Münchens schlagen hören. Hier oben, fünfter Stock, ist die Frauenkirche für die Augen nur eine Armlänge entfernt. Ein beeindruckender Ausblick bietet sich vom Esstisch der 30-Jährigen, an dem sie frisch gebrühten Cappuccino kredenzt. Die gebürtige Rheinland-Pfälzerin, die hier mit ihrem Mann lebt, ist Pastoralreferentin, also studierte katholische Theologin mit Befähigung für höhere Aufgaben. Am 1. Juni tritt sie ein Amt an, das in der Erzdiözese München und Freising bislang ausschließlich Priestern vorbehalten war: Sie wird geistliche Leiterin des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) des Diözesanverbands München und Freising und gleichzeitig Chefin des Erzbischöflichen Jugendamts. Nennen wird sie sich Diözesan-Jugendseelsorgerin.
SZ: Glückwunsch, Frau Gressung! Sie gehen in die Geschichte der Erzdiözese ein. Bisher durften ausschließlich Priester den politischen Jugendverband geistlich leiten. Jetzt übernehmen Sie das Amt - als Frau. Wie konnte das geschehen?
Johanna Gressung: (lacht). Danke! Bisher konnten lediglich vom Kardinal vorgeschlagene Priester für das Amt kandidieren. Der BDKJ hat dafür gekämpft, dass sich das ändert und wir die Stelle für weitere pastorale Berufsgruppen öffnen, damit wir auch an dieser Stelle diverser werden können. In Zeiten von Priestermangel ist es wichtig, die Frage zu stellen, ob das nicht genauso gut eine Pastoralreferentin machen kann, die auch geistlich ausgebildet ist.
Kardinal Reinhard Marx hat dem Drängen des Jugendverbands nachgegeben - um der Ernüchterung über das Festhängen der Reform des Synodalen Weges etwas entgegenzusetzen?
Ich denke ja, da kann ich nur spekulieren. Aber durch die Öffnung des Amtes gab es diesmal eben zwei Frauen und einen Priester, die zur Wahl zugelassen wurden. Dass ich eine Frau bin, hat schon eine Rolle gespielt - es war Teil der Entscheidung, vermute ich.
Was macht überhaupt eine geistliche Verbandsleitung, die rund 102 000 junge katholische Menschen vertritt?
Das ist unheimlich vielfältig. Da gehört Gottesdienstvorbereitung genauso dazu wie für den BDKJ Stellung zu politischen Themen zu beziehen. Bei den Landtagswahlen wird zum Beispiel die Wahlalterabsenkung, für die wir uns einsetzen, nochmal ganz groß werden. Bei unseren einzelnen Verbänden bin ich weniger für geistliche Inhalte zuständig als dafür, wie die vielfach nicht besetzten geistlichen Stellen wiederbesetzt oder weiterentwickelt werden können, etwa bei den Pfadfinderinnen.
In Ihrer Stellenausschreibung stand, dass sie aktiv für die Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen eintreten sollen. Was haben Sie vor?
Natürlich setze ich mich für den Schutz von Kindern und Jugendlichen ein. Es geht mir aber auch darum, dass die Präventionsstelle, die wir im Erzbischöflichen Jugendamt haben, nicht länger befristet bleibt, sondern verstetigt wird - sie besteht parallel zur allgemeinen Präventionsstelle des Erzbistums. Es geht um die präventive Schulung Ehrenamtlicher, aber auch um den Umgang mit aktuellen Fällen etwa in Jugendfreizeiten.
Von wie vielen aktuellen Fällen sprechen wir?
Zum Glück nur sehr vereinzelte. Wir merken jedoch, dass die Sensibilität in den letzten Jahren enorm gestiegen ist, sowohl bei den Jugendlichen als auch bei den Gruppenleitungen. Das ist viel wert, um zu vermeiden, dass was passiert. Wir haben ein neues Online-Tool, das die Prävention sexualisierter Gewalt niederschwellig unterstützen soll mit Beispielen aus der Lebenswelt der Jugendarbeit (www.eja-muenchen.de/praevention). Es gibt unabhängige Kontaktpersonen für Vorfälle, wenn jemandem etwas komisch vorkommt oder er es nicht einordnen kann.
Gibt es überhaupt noch eine katholische Jugend, die Lust hat, sich zu engagieren?
Ja, vor allem in den Reihen des BDKJ. Die leben unheimlich davon, dass sie Gemeinschaft finden, wo sie sich engagieren, aber sich auch regelmäßig die Frage stellen: Ist das noch meine Kirche? Aktuell steigen die Mitgliedszahlen innerhalb der Verbände des BDKJ wieder.
Kirchliches Leben ist nicht unbedingt das, was Jugendliche im Großstadtmilieu elektrisiert. Ihre Idee, Sie für Glaubensfragen zu gewinnen?
Auf jeden Fall muss es social-media-fähig sein. Wir müssen zeigen, dass wir als katholische Jugend nicht so angestaubt sind wie Kirche im Gesamten gerne wirkt. Und vielfältig, divers, Menschen aller Geschlechter, das heißt auch, dass man in unseren Gruppen Menschen finden darf, die vielleicht nicht alle katholisch sind. Es geht darum, Persönlichkeiten zu fördern, Räume zu öffnen, die Schutzräume sind, wo man schauen kann, wer bin ich eigentlich und was mach' ich mit meinem Leben, dass es ein erfülltes wird?