Unwetter in Dorfen:"So viel Wasser habe ich noch nie erlebt"

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Keller laufen voll, die Goldach tritt über die Ufer, eine Schlammlawine wälzt sich durch Schwindkirchen - und ein Dorffest fällt buchstäblich ins Wasser: Wie ein Unwetter Dorfen in Atem hält.

Thomas Daller

Ein heftiges Unwetter hat im Goldachtal eine Schneise der Verwüstung hinterlassen: Stromversorgung und Telefonverbindungen brachen zusammen, 40 Liter Wasser pro Quadratmeter wurden zu Schlammlawinen, die über Schwindkirchen hereinbrachen. In Sankt Wolfgang trat die Goldach über die Ufer und überflutete das benachbarte Dorffest. Keller standen bis zur Decke unter Wasser, Tiere mussten aus Ställen gerettet werden. Alle Feuerwehren aus dem Großraum Dorfen und Erding waren im Einsatz, um das Chaos in den Griff zu bekommen.

Um 19.05 Uhr schlug der Blitz am Donnerstagabend in eine Hochspannungsleitung neben dem Umspannwerk in Stollnkirchen ein. In Dorfen, Sankt Wolfgang und Lengdorf brach die Stromversorgung zusammen. Auch die Telefonfestnetze fielen aus und übers Handy konnten nur noch Notrufe getätigt werden. "Der Blitz hat die 20-KV-Leitung bei Armstorf getroffen", erläuterte Wilhelm Haunolder, technischer Leiter der Stadtwerke Dorfen. "Der Kurzschluss hat das Schutzrelais im Umspannwerk ausgelöst."

Während im Dorfener Krankenhaus und im Altenheim Marienstift die Notaggregate ansprangen und in den drei Gemeinden die Menschen bei Kerzenlicht zu Abend aßen, wurden die Regenfälle heftiger. In Schwindkirchen gingen innerhalb einer Stunde mehr als 40 Liter pro Quadratmeter nieder. Die von den tagelangen Niederschlägen bereits gesättigten Böden konnten kein Wasser mehr aufnehmen und von den Hängen des Goldachtals rauschten Ströme ins Tal.

Rita Brandlhuber, Putzfrau in der Grundschule Schwindkirchen, war die Sache nicht geheuer und sie sah abends noch mal in der Schule nach: Der ganze Keller, in dem sich Werkräume und die Turnhalle befinden, war voller Schlamm. Das Wasser hatte hangabwärts das oberhalb der Schule liegende Baugebiet passiert und jede Menge Erdreich mitgerissen. Die Schlammlawine lief auf der Nordseite in die Kellerschächte und entwickelte dort einen so hohen Druck, dass die Kellerfenster barsten. Weil die Telefone nicht mehr funktionierten, lief Brandlhuber zu Fuß zur Feuerwehr und schlug Alarm.

Innerhalb kurzer Zeit stand der ganze Schwindkirchener Ortskern unter Wasser: Wie ein fehlgeleiteter Flutkanal spülte die Straße nach Wasentegernbach die braune Brühe ins Dorf, in 15 Häusern stand das Wasser teilweise bis zur Unterkante der Kellerdecke. Zudem fiel die Straßenentwässerung aus, weil Schlamm die Kanalisationsschächte verstopfte. Pflastersteine wurden aus den Gehwegen geschwemmt, in den Straßen trieben Mülltonnen.

Die Feuerwehren aus Dorfen, Schwindkirchen, Schiltern, Maithenbeth und Isen forderten Unterstützung aus Erding und Altenerding an, die mit weiteren Schlammpumpen anrückten. In den meisten Kellern befanden sich Ölheizungen und Öltanks, die Einsatzkräfte verhinderten, dass Öl in Gewässer oder ins Erdreich geriet. Hinzu kam noch ein Rettungseinsatz in Unterschiltern, wo Schweinen in einem Stall schon das Wasser bis zum Hals stand. Und in Großkatzbach war ein Pferdehof bedroht, die Reithalle musste ausgepumpt werden. Die Hilfe kam rechtzeitig, kein Tier musste sterben. Aber die Hackschnitzel, die sich in Seemühle in einer vollgelaufenen Lagerhalle befanden, "kann man wohl wegwerfen", sagte Tobias Brandl, Zugführer der Feuerwehr Dorfen.

Unterdessen wurde in Sankt Wolfgang fröhlich gefeiert, es war der erste Abend des großen Dorffestes mit fünf Festzelten. Dass der Strom eine Stunde ausfiel und die Handys nur noch Verbindung ins Notrufnetz hatten, hatte man zwar registriert, auch dass eine Stunde extrem geregnet hatte. Doch plötzlich trat die benachbarte Goldach über die Ufer. Im Diskozelt, das am tiefsten Punkt der Hochwassermulde aufgebaut war, wurde umgehend der Notfallplan umgesetzt: Stromleitungen abbauen, Sicherungen raus. Als das Wasser ins Zelt schwappte, musste auch noch die Hälfte das Holzbodens rausgerissen werden, um einen Abfluss zu schaffen. "So viel Wasser habe ich noch nie erlebt", sagte Bürgermeister Jakob Schwimmer.

Überraschend sei das Hochwasser erst eine Stunde nach dem Regen gekommen: Die Niederschläge hätten sich wohl auf den Oberlauf des Baches zwischen Sankt Wolfgang und Haag konzentriert und von dort aus sei die Flutwelle dann abwärts geschwappt. Das Gewitter habe sich in der Region Gatterberg festgesetzt, sagte Schwimmer, eine unheilvolle Konstellation: "Dort gibt es lauter Bäche, die im Sommer trocken fallen. Aber wenn dann das Wasser kommt, sind das Wildwasser. Da bist machtlos."

Glücklicherweise sei man beim Dorffest noch mit einem blauen Auge davongekommen, bis auf einige Landwirte, die wegen des Stromausfalls nach ihren Höfen sahen, wären die meisten Besucher geblieben. "Sankt Wolfgang ist heiter, die Feier geht weiter", reimte Schwimmer.

In Schwindkirchen hatten die Feuerwehren am Freitag gegen vier Uhr morgens alle Keller ausgepumpt und in der Grundschule den restlich Schlamm weggespritzt. Mitarbeiter des Dorfener Bauhofs reinigten am Morgen die Kanalisationsschächte vor der Schule und entfernten die Glassplitter aus den geplatzten Kellerfenstern. Schulleiterin Gisela Steinberger hatte zusammen mit Schülern die Keller ausgeräumt, die Handwerker bestellt und ihren Unterricht abgehalten. Keine Stunde sei ausgefallen.

Rita Brandlhuber, die die Feuerwehr alarmiert hatte, war bis Mitternacht im Einsatz und ab fünf Uhr morgens wieder da. "Ich putz' jetzt seit elf Jahren, aber sowas habe ich noch nie erlebt."

© SZ vom 19.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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