Migration:"Warum soll ich hier bleiben, wenn die Leute mich nicht mögen?"

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Menschen mit Migrationshintergrund werden in Deutschland immer noch mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Wer als Frau ein Kopftuch trägt, stößt bei der Suche nach einem Arbeitsplatz oft auf Ablehnung. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Wie geht es Migranten in der Region nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche und den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus? Zwei Männer und eine Frau erzählen.

Von Vivien Götz und Anna-Lena Schachtner, Erding

Spätestens seit dem Bekanntwerden des Geheimtreffens von Rechtsextremisten und AfD-Funktionären befürchten viele Menschen einen Aufstieg des Rechtspopulismus. Die Enthüllungen des Recherchemediums Correctiv stießen nicht nur eine lebhafte Debatte an, sondern auch eine Welle der Gegenproteste. Diejenigen, die von den Plänen der Extremisten zuerst betroffen wären, waren bei den Demonstrationen in der Region aber meist nur in kleiner Zahl vertreten. Zeit nachzufragen, wie sie die aktuellen politischen Entwicklungen wahrnehmen:

Die 18-jährige Sabina stellt sich vor als Geflüchtete aus einem "traurigen, unglücklichen Land", nämlich Afghanistan. "Als Frau kann ich dort nicht mehr leben." Sabina sei mit der Hoffnung geflohen, in Deutschland "frei leben" zu können und "nie diskriminiert" zu werden. Seit zwei Jahren lebe sie mit ihrer Familie in Deutschland und mache zurzeit ihren Mittelschulabschluss in der Integrationsklasse der Berufsschule in Freising. Insgesamt fühle sie sich in Freising wohl: Viele Menschen würden ihr helfen und auch die Kollegen in ihrem derzeitigen Praktikum in einer Kinderkrippe seien sehr nett.

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Doch Sabina berichtet auch von schlechten Erfahrungen: Vor einiger Zeit habe sie sich per Mail für ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis beworben und eine Zusage erhalten. Als sie am nächsten Tag zur Arbeit erschien, habe man ihr plötzlich doch wieder abgesagt - wegen ihres Kopftuches, wie Sabina vermutet. Dieses Erlebnis habe sie sehr entmutigt. "Egal wo ich hingehe, in mein Heimatland, in dieses Land, ich darf nicht in Ruhe leben." Ihr Sozialpädagoge habe sie jedoch angespornt, nicht aufzugeben und ihre Ziele weiterzuverfolgen.

Große Sorgen bereitet Sabina das Erstarken der AfD. "Die gleiche Angst hatten wir auch vor den Radikalen in Afghanistan." Sie und ihre Mitschüler und Mitschülerinnen hätten angesichts der aktuellen Ereignisse rund um die AfD befürchtet, bald abgeschoben zu werden. "In so einer großen Welt haben wir keinen Platz zu leben", sagt sie sichtlich bedrückt. Der Sozialpädagoge an ihrer Schule habe jedoch mit den Schülern und Schülerinnen über das Thema gesprochen und sie zu beruhigen versucht: Die Rechtspopulisten seien nur eine kleine Gruppe und es gebe viele Politiker, die Geflüchteten helfen wollen.

Mittlerweile sei sie wieder einigermaßen zuversichtlich. "Ich denke, dass das deutsche Volk gebildet ist und weiß, was richtig und was falsch ist." Radikale Menschen seien nun mal sehr laut, während tolerantere Menschen häufig nicht gehört würden. Die "Demos gegen Rechts" zeigten aber, dass viele Bürger und Bürgerinnen für ein harmonisches Miteinander seien. Dennoch könnten die Rechtspopulisten irgendwann die Mehrheit stellen, befürchtet Sabina.

Beleidigungen und Drohungen

Mohamad Jafary fühlt sich in Erding trotzdem nicht mehr wohl. Der 25-Jährige kam 2015 nach Deutschland und lebte zunächst im Ruhrgebiet. 2018 zog er zu seiner Verlobten nach Erding. In den vergangenen drei Jahren habe sich das Klima in der Stadt verschlechtert, erzählt er. "Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich in Erding unterwegs bin. Ich werde auf der Straße nicht zurückgegrüßt und auch im Fitness-Studio redet niemand mehr mit mir", sagt Jafary.

Der junge Mann ist in Afghanistan geboren und in Iran aufgewachsen. In Deutschland hat er seinen Hauptschulabschluss gemacht und ist inzwischen berufstätig. Dass sich Jafary in Erding nicht richtig wohlfühlt, hängt mit einem Zwischenfall im vergangenen Jahr zusammen: "Das war abends am Bahnhof, ein Betrunkener hat mich rassistisch beleidigt und beschimpft und meine Familie bedroht", erzählt er.

Sein Kind, seine Freundin und deren Schwester hätten Angst gehabt und geweint, sagt Jafary. Kein Einzelfall, der 25-Jährige erzählt, dass er schon mehrmals wegen seines sichtbaren Migrationshintergrundes beleidigt und angepöbelt wurde. Auch die Mutter seiner Freundin sei in Erding schon wegen ihres Kopftuches beleidigt worden.

Er habe zwar auch positive Erfahrungen gemacht, etwa mit seinem aktuellen Vermieter: "Der ist wirklich sehr nett und hat meiner Freundin und mir wirklich geholfen", sagt Jafary. Trotzdem denkt er inzwischen darüber nach, aus Erding wegzuziehen. Nach München oder zurück nach Nordrhein-Westfalen, denn dort fühle er sich wohler und hat Menschen und Behörden als viel offener erlebt. "Warum soll ich hier bleiben, wenn die Leute mich nicht mögen?", fragt er.

"Ich glaube an die Gesellschaft"

Etwas optimistischer sieht der 24-jährige Karim (Name von der Redaktion geändert) die aktuelle Situation. Er ist ebenfalls aus Afghanistan geflohen und seit zweieinhalb Jahren in Deutschland. Sichtlich stolz erzählt er, was er hierzulande bereits geschafft hat: Seit September absolviere er in München eine Ausbildung zum Fachinformatiker. Aktuell lerne er außerdem Deutsch in einem Kurs für Fortgeschrittene. "Es gibt hier viele Möglichkeiten, wenn man sie nutzt", findet Karim. Seine Ausbildung mache ihm viel Spaß und die Kollegen seien sehr hilfsbereit. Generell gebe es viele nette Menschen in Freising, auch mit den Behörden habe er gute Erfahrungen gemacht. Anfeindungen oder Ausgrenzungen habe er persönlich bisher nicht erlebt.

Ähnlich wie Sabina erinnert ihn der Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland an die Islamisten in Afghanistan. "Ich habe ein großes Problem mit radikalen Leuten", stellt Karim klar. Er mache sich manchmal Gedanken darüber, ob die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland wieder dasselbe Ausmaß wie während des Nationalsozialismus annehmen könnte. Dass das tatsächlich passiert, hält er jedoch für unwahrscheinlich - dafür würden zu viele Menschen die Demokratie unterstützen. "Ich glaube an diese Gesellschaft", sagt Karim. Zudem würden die "Demos gegen Rechts" zeigen, dass viele Menschen gegen die AfD sind. "Es gibt Leute, die einfach Menschlichkeit wollen."

Angesichts vieler Unsicherheiten ist es schwer, zuversichtlich zu bleiben

Zwar seien viele Deutsche nett, doch sehr verschlossen, findet Karim. Das erschwere es, Freundschaften zu schließen. Jedoch plane er, sich ehrenamtlich zu engagieren und einem Verein beizutreten, etwa der Freiwilligen Feuerwehr. Dadurch möchte er "etwas zurückgeben" und mehr Kontakt zu den Einheimischen aufbauen. Nach seiner Ausbildung wolle er weiterhin in der IT-Branche arbeiten und vielleicht irgendwann eine Firma gründen.

Auch Sabina hat Pläne für die Zukunft: Sie wolle gerne eine Ausbildung als Zahnarzthelferin machen und womöglich später Zahnärztin werden. Ob sich dieser Traum erfüllen wird, ist jedoch ungewiss - denn Sabinas Aufenthaltsgenehmigung läuft in wenigen Wochen ab. "Ich weiß nicht, was in zwei oder drei Monaten oder einem Jahr mit mir passiert", schildert sie ihre Ängste. "Ich will nicht nach Afghanistan gehen." Ihre Sozialpädagogen versuchten sie aufzumuntern, doch angesichts der Unsicherheit sei es schwer, zuversichtlich zu bleiben. Am Ende des Gespräches appelliert sie an ihre Mitbürger und Mitbürgerinnen: "Wenn wir als Menschen miteinander leben, wird alles gut."

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